SCHWEDEN
Die Protestbewegung hat es schnell ins politische Establishment geschafft. Unklar ist, ob sie dort bleiben wird
Binnen weniger Monate hat die Piratenbewegung, eine Graswurzelbewegung mit schwedischen Ursprüngen, Einfluss auf die europäische Debatte in Medien- und Internetfragen bekommen. Mit Christian Engström wurde im Juni ein Mitglied der schwedischen "Piratpartiet" (Die Piratenpartei) ins EU-Parlament gewählt. Sie ist damit im politischen Establishment angekommen. Hierzulande bekam die deutsche Schwesterpartei Unterstützung durch den Parteiwechsel des ehemaligen SPD-Politikers Jörg Tauss, der bis zum Ende der Legislaturperiode als fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag sitzt.
So schnell schaffen neue Parteien den Marsch in die Institutionen nur in turbulenten Zeiten. Erst Anfang 2006 ist die Piratenpartei in Schweden gegründet worden. Schon im Herbst desselben Jahres wurde eine Schwesterorganisation in Deutschland ins Leben gerufen, mittlerweile gibt es Neugründungen am laufenden Band. So viele, dass Generalsekretär Mårten Fjällström in Schweden einräumen muss, er kenne die aktuelle Zahl der Piratenparteien in Europa nicht. Jedenfalls, so Fjällström, arbeite man in Österreich und Finnland daran, bei den kommenden Wahlen ebenfalls anzutreten. Auch in Frankreich, Spanien, USA, Slowenien und etlichen anderen Ländern gibt es Piratenparteien. "Die Bewegung wächst international und ist in rund 20 Ländern aktiv", sagt Anders Rydell, Co-Autor des Buches "Piraterna" (Die Piraten). "Allerdings hängt mancherorts alles an ein paar Engagierten. Wenn die nicht mehr weitermachen, stirbt das Projekt vor Ort. Die Partei ist längst nicht überall solide aufgestellt."
Das schwedische Original ist als Protestpartei entstanden. Sie wäre ohne das Internet nicht denkbar. Die weltweite Vernetzung von Computern hat den Austausch riesiger Datenmengen über weite Distanzen und in kürzester Zeit ermöglicht. Die Kosten für Herstellung und Versand immaterieller Güter wie Musikdateien tendieren gegen Null . Und sogenanntes Filesharing, also der gemeinsame Zugriff auf Dateien, nimmt zu. Als Schweden gegen Internetnutzer vorging, die über das Netz Musikdateien und anderes urheberrechtgeschütztes Material austauschten, entstand die Piratenbewegung.
In Schweden und außerhalb wurde Filesharing durch die von einigen Schweden betriebene Website Pirate Bay erleichtert. Auf dem Server von www.thepiratebay.org - vor wenigen Tagen kündigte ein Computerspielhersteller an, die Domain zu kaufen - waren zwar keine kopiergeschützten Werke gespeichert, doch die Seite half, sie im Internet zu finden und herunterzuladen. Deshalb wurden gegen die Betreiber von Pirate Bay Ermittlungen eingeleitet. Und deshalb entstand die Piratenpartei mit dem Ziel, das Urheberrecht radikal umzubauen. "Es war eine Solidaritätserklärung und ein Schritt, eine Debatte um das Urheberrecht anzustoßen", sagt Gustav Nipe, Parteimitglied der ersten Stunde.
Mirttlerweile dürfte Mitgliedsnummer 50.000 gerade vergeben worden sein. In Schweden sind nur noch die Sozialdemokraten und die liberalen Moderaten größer. Kritiker meinen, die Zahl der Parteimitglieder sei übertrieben, weil sich unter den Anmeldungen womöglich einige Falschnamen befänden. Schließlich kostet die Mitgliedschaft nichts und ist mit ein paar Mausklicks online schnell erledigt. Doch die Partei verspricht, falsche Anmeldungen auszusortieren und Mitglied ist schließlich Mitglied, ob mit oder ohne Beitrag. Spätestens seit dem Einzug ins Europaparlament hat die Piratenpartei bewiesen, dass sie ernst genommen werden muss. Schließlich ist sie nun Teil des Politikbetriebs.
Da aber will sie so schnell wie möglich wieder weg. "Das Beste wäre, wenn wir in Europa bei Patentrecht, Datenschutz und Urheberrecht für einen Richtungswechsel sorgen könnten", sagt EU Parlamentarier Engström. "Wir wollen, dass unsere Politik in diesen Bereichen umgesetzt wird. Geschieht das, haben wir unser Ziel erreicht und werden eigentlich nicht mehr gebraucht."
Sicherlich kokettiert der 49-Jährige ein wenig und versucht, sich und seine Mitstreiter als Gegenentwurf zu dem Klischee des nur an Machterhalt interessierten Politikers aufzubauen. Und dennoch ist etwas dran an dem Plan, nur ein paar Politikbereiche beeinflussen zu wollen und dann wieder von der Bühne zu verschwinden. Anders als die etablierten Parteien hat die Piratenpartei nämlich nur drei Punkte im Programm stehen: Der private Austausch von urheberrechtlich geschütztem Material soll erlaubt , Patente sollen weitgehend abgeschafft und der Datenschutz gestärkt werden. Sind diese umgesetzt oder haben die etablierten Parteien sich der Themen angenommen, hat sich die Partei praktisch von selbst erledigt.
Wegen ihrer sehr spezifischen Programmatik wird die Piratenpartei immer wieder mit den grünen Parteien in ihren Anfangsjahren verglichen. Eine weitere Parallele tut sich auf: So wie die Grünen es geschafft haben, die Umweltpolitik auch bei anderen Parteien zum Thema zu machen, könnte die
Piratenpartei in ihrem Segment zum sogenannten Agendasetter werden. "Die Piratenpartei ist die einzige, die sich den Konsequenzen der neuen Technik wirklich stellt", sagt Håkan Hydén, Professor für Rechtssoziologie an der Universität Lund in Südschweden. "Wir werden das aktuelle Urheberrecht im digitalen Zeitalter kaum aufrecht erhalten können. Das haben die großen, etablierten Parteien noch nicht erkannt." Hydén erwartet, dass sich die Gesetzgebung längerfristig auf Forderungen, wie sie von der Piratenpartei erhoben werden, zubewegt - selbst, wenn sie nicht an die Macht kommt. "Das Urheberrecht wird zukünftig mehr von Rechteinhabern und Interesseorganisationen, die beispielsweise Filesharing betreiben wollen, untereinander verhandelt werden", prophezeit er.
Die etablierten Parteien werden zumindest teilweise auf die Forderungen der Piratenpartei eingehen. Schließlich müssen sie um Wählerstimmen fürchten, wenn es ihnen nicht gelingt, deren Sympathisanten zurückzuholen.
Mit Jörg Tauss gibt es in Deutschland seit einigen Wochen einen Piraten im Bundestag. Der Schritt hat für jede Menge Aufmerksamkeit gesorgt, doch weil gegen ihn wegen des Besitzes kinderpornografischen Materials ermittelt wird, ist er in der Partei nicht unumstritten. Tauss argumentiert wie seine neue Partei und etliche andere Bundestagsabgeordnete auch gegen technische Lösungen, die den Zugriff auf Kinderpornografie im Netz unterbinden sollen. Das sei Zensur und nicht das richtige Mittel, um das Problem zu bekämpfen, heißt es.
Die Wähler und Mitglieder der Piratenpartei in Schweden sind zumeist jung, gebildet und männlich. Computerenthusiasten sind stark vertreten, aber die 50.000 Mitglieder sind längst nicht nur sogenannte Nerds. Der Großteil der neuen Mitstreiter ist in den vergangenen Monaten zur Piratenpartei gestoßen. Genauer, seitdem am 17. April 2009 die Betreiber der Website The Pirate Bay jeweils zu einem Jahr Haft und insgesamt rund 2,75 Mio. Euro Schadenersatz verurteilt wurden. "Wir sind zwar nicht die Partei von Pirate Bay, aber das Urteil hat uns Aufschwung gegeben. Viele vor allem junge Leute finden es ungerecht und meinen, dass das private Austauschen von Liedern und Filmen übers Internet erlaubt sein sollte. Genau dafür steht unsere Partei", sagt der Volkswirtschaftsstudent Nipe von der Lokalgruppe Malmö.
Zwar hat die in Schweden vor einigen Jahren aufkommende Debatte um die Filesharingseite Pirate Bay dazu geführt, dass die Piratenpartei Anfang 2006 gegründet wurde. "Doch mit der Zeit ist der Datenschutz für uns ein immer wichtigeres Thema geworden", sagt Generalsekretär Fjällström. Schließlich plante die im Herbst 2006 angetretene liberal-konservative Regierung ein Gesetz durchzusetzen, dass das Abhören von jeglichem digitalem Datenverkehr über Schwedens Grenzen möglich machte. Im Protest dagegen gingen nicht nur ungewöhnlich viele Schweden auf die Straße, sondern traten auch der Piratenpartei bei. "Dass die Partei sich so für die Integrität der Bürger einsetzt, war für mich Hauptargument, einzutreten", sagt Louise Anjou, eine 21-Jährige Studentin aus Südschweden.
Telefonabhöraktionen, Kameraüberwachung, Speicherung von Verbindungsdaten und dergleichen wären heutzutage viel zu häufig, meint die Partei. "Wenn der Staat Einwohner überwacht, die nicht eines Verbrechens verdächtigt werden, ist das eine Kränkung der Persönlichkeitsrechte des Einzelnen in einer unakzeptablen Weise", heißt es im aktuellen Parteiprogramm, das passend zum Softwarezeitalter "Version 3.3" genannt wird.
Sollte man einmal vor der Möglichkeit stehen, in Schweden eine Koalition eingehen zu können, sei man in allen anderen Punkten bereit, sich der Partei zu beugen, die koalieren wolle, heißt es. Für EU-Parlamentarier Engström ist das kein Opportunismus, sondern eine Notwendigkeit. "Parteien, die zwischen fünf und zehn Prozent erhalten und mitregieren, können meist nur zwei, drei Programmpunkte durchsetzen. Mit der klaren Zielrichtung sind die Chancen auf Macht am Größten", sagt er.
In Schweden erreichte die Partei bei den Europawahlen im Juni 7,1 Prozent der Stimmen. Engström sieht daher realistische Chancen, dass die Partei bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr in den schwedischen Reichstag einzieht. Für die deutsche Schwesterpartei sieht es allerdings nicht so gut aus. Mit 0,9 Prozent erzielte sie bei der Europawahl zwar einen Achtungserfolg. Doch die Fünf-Prozent-Hürde ist noch weit entfernt.