Wirtschaftskrise
Vor allem kleinen und mittleren Unternehmen fehlen Kredite zur Finanzierung des Wachstums
Tradition und Fortschritt hat sich das 1924 gegründete Familienunternehmen Rauschenberger Metallwaren GmbH auf die Fahne geschrieben. Der in Asperg in der Nähe von Stuttgart ansässige Metallverarbeiter setzt mit 70 Mitarbeitern rund 12 Millionen Euro im Jahr um, beliefert unter anderem die Automobilindustrie, ist aber auch Marktführer bei Gelenken für Garten- und Campingliegen. Nach dem Bau einer neuen Umformanlage mit Kosten von fünf Millionen Euro könnte Eigentümer Jörg Rauschenberger zur Begleichung der restlichen 1,6 Millionen Euro einen Investitionsmittelkredit aus dem Sonderprogramm der Förderbank KfW oder einen zusätzlichen Betriebsmittelkredit zur Finanzierung des laufenden Geschäfts sehr gut gebrauchen. "Webfehler in der Durchführungsverordnung" führen aber nach den Worten von Rauschenberger dazu, dass der Mittelständler kein Geld bekommt.
So wie ihm gehe es auch vielen seiner "Kollegen", sagt er. Von dem Sonderprogramm der Bundesregierung von 40 Milliarden Euro waren bis Mitte Juni erst 1,3 Milliarden Euro bei den Unternehmen gelandet. "Rauschenberger ist kein Einzelfall", weiß Andreas Möhlenkamp. Er ist Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) in Düsseldorf, der 4.900 meist familiengeführte Betriebe mit 450.000 Beschäftigten und 83 Milliarden Euro Umsatz vertritt. Viele Unternehmen steckten in der Klemme, weil starke Lieferanten auf frühere und schnelle Bezahlung ihrer Lieferungen drängten und große Kunden später zahlen wollten, beschreibt Möhlenkamp die Zwickmühle. Außerdem seien Warenlager wegen des Verfalls der Vormaterialpreise mit Verlusten abgewertet worden.
Schon im Frühjahr hatten die Stahl- und Metallverarbeiter in einer Verbandsumfrage geklagt, von den Sonderprogrammen der KfW abgeschnitten zu sein. "Wovor wir früh gewarnt haben, ist leider eingetreten", sagt Verbandspräsident Ulrich Galladé. Der WSM sei einer der ersten Wirtschaftsverbände, der die damals drohende und heute reale Kreditklemme, die Tücken des KfW-Sonderprogramms und die zweifelhafte Rolle der Kreditversicherer auf die Tagesordnung gebracht habe. Hauptaufgabe der nächsten Monate werde sein, das Feld für neues Wachstum und dessen Finanzierung zu bestellen. Bis zu sechs Monate müssten die Firmen das Vormaterial vorfinanzieren. Ohne Rückendeckung sei dies für die mittelständischen Firmen kaum möglich. "Die Banken müssen sich hier und jetzt ihrer Verantwortung stellen. Das gilt auch für die Warenkreditversicherer", fordert Galladé.
"Der Mittelstand steckt in einer Kreditklemme und erwartet deswegen von der Bundesregierung ein klares steuerpolitisches Signal", sagt auch Mario Ohoven, der Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW). Fast die Hälfte der Mittelständler (46,7 Prozent) beklagt in einer Umfrage eine Verschlechterung ihrer Liquiditätslage im Vergleich zum Vorjahr. Von den vom Bundestag verabschiedeten Konjunkturpaketen hätten weniger als zehn Prozent der Klein- und Mittelbetriebe profitiert. Der übergroßen Mehrheit (88,3 Prozent) wurden keine KfW-Mittel von der Hausbank angeboten. Ohoven ist für eine befristete Aussetzung des Hausbankenprinzips. "Die Bundesregierung muss die Banken notfalls mit gesetzlichem Nachdruck dazu bringen, ihre Kernaufgabe zu erfüllen, den Mittelstand mit Krediten zu versorgen", verlangt er.
Nach wochenlanger Kritik an einer zu zögerlichen Kreditvergabe der Banken haben Bundesregierung und Politiker inzwischen ihren Druck auf die Kreditwirtschaft verschärft. Die Banken bekämen derzeit von der Bundesbank sehr viel Geld für den extrem niedrigen Zinssatz von einem Prozent, steckten es aber lieber in den Handel mit Devisen, Rentenpapieren und Aktien, statt es als Kredite weiterzugeben, wird Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) zitiert. Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sagte, "ein solcher Zustand ist gerade für den Mittelstand im Lande nicht hinnehmbar". Bundesbankchef Axel Weber kündigte an, die Notenbanken müssten die Wirtschaft direkt stützen, sollten die Kreditinstitute nicht für die notwenige Liquidität sorgen. Die Europäische Zentralbank hatte den Leitzins in mehreren Schritten bis auf das Rekordtief von 1,0 Prozent gesenkt. Vor wenigen Tagen hatte sie außerdem über 440 Milliarden Euro für ein Jahr zum Zins von einem Prozent an die Banken verteilt.
Die Wirtschaftskrise habe Spuren hinterlassen, doch könne nicht von einer allgemeinen Kreditklemme gesprochen werden, heißt es indessen in der Kreditwirtschaft. "Der Vorwurf, die Banken würden willkürlich strengere Maßstäbe anlegen und von der Krise profitieren, trifft nicht zu", erklärt Manfred Weber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Banken. Die Banken haben nach eigenen Angaben ihre Kredite an Unternehmen im ersten Quartal 2009 um 5,2 Prozent gegenüber der entsprechenden Vorjahreszeit ausgeweitet. Probleme in gewissen Branchen und Kreditsegmenten bestreitet indessen auch der Bankenverband nicht. Die Institute müssten zurzeit schärfere Bedingungen bei der Vergabe von Krediten anwenden.
Die Banken hätten die Stellschrauben bei der Kreditvergabe angezogen, sagt Andreas Gontermann, Chefvolkswirt des Zentralverbands der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI). 57 Prozent der Unternehmen berichteten von einer Kreditklemme. Im März waren es nur fünf Prozent. Er selbst habe deutliche Unterschiede im Verhalten seiner Hausbanken erlebt und höre viel Negatives von anderen Mittelständlern, sagt der Metallverarbeiter Rauschenberger. Gut aufgehoben fühlt er sich aber bei seiner örtlichen Volksbank. Als es kein KfW-Geld gab, habe diese ihm ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Finanzkonzept geboten.