Alle spüren es: Die Finanzkrise hat Deutschland und die Deutschen fest im Griff. Zuerst ging es nur ums Geld. Um die Sicherheit von Bankkonten, Aktien und Anlagen, die oft für den Lebensabend vorgesehen waren. Doch inzwischen hat sich dazu die Sorge um den Erhalt des Arbeitsplatzes, um soziale Sicherheit und Wohlstand gesellt. Die Wirtschaftsordnung selbst steht auf dem Prüfstand, denn offensichtlich hat das Markthandeln der Finanzjongleure mitnichten den Nutzen der globalen Gesellschaft gesteigert – sondern weltweit größte Schäden verursacht.
Wie konnte das passieren? Und vor allem: Wie kommen wir aus der Krise wieder heraus? Darum geht es im Streitgespräch von BICKPUNKT BUNDESTAG zwischen dem Bundestagsvizepräsidenten Hermann Otto Solms und dem Wirtschaftsethiker Bernhard Emunds.
Längst ist aus der Finanzkrise eine massive globale Wirtschaftskrise geworden, die selbst ungefährdet geglaubte Renommierunternehmen erfasst hat. Der Motor der Volkswirtschaft ist ins Stottern geraten, die freie Marktwirtschaft diskreditiert und die Wirtschaft fast am Rande des Ruins.
Nachträglich sind nun viele schlau. Die Defizite und Versäumnisse, die die soziale Marktwirtschaft eines Ludwig Erhard zum Kasinokapitalismus haben verkommen lassen, sind plötzlich in aller Munde. Unzählige Finger zeigen auf den Fetisch des Geldes, die Gier nach maximalem Profit, die moralische Bindungslosigkeit manches Managements, aber auch auf eine zu sorglose Politik, die glaubte, staatliche Regulierung gehöre in die Mottenkiste eines Karl Marx.
Bundespräsident Horst Köhler höchst persönlich las den in Verruf gekommenen Bankern die Leviten und forderte eine grundlegende Erneuerung ihrer Branche. Sie hätten den Finanzmarkt zu einem „Monster” gemacht, sich von der Realwirtschaft abgekoppelt, sich an Renditen berauscht, seien dabei aber blind für die Risiken geworden. Was nötig sei, sei wieder eine Kultur des Gemeinsinns, des Anstandes und der Bescheidenheit. Bundeskanzlerin Angela Merkel schloss sich der Kritik an und propagierte eine „menschliche Marktwirtschaft”.
Der zweite Mann im Staat, Bundestagspräsident Norbert Lammert, sieht Versäumnisse auch bei der Politik. Zu lange habe man resigniert der Verselbstständigung der Finanzwirtschaft zugesehen, sich der Dominanz des Ökonomischen gebeugt und zugelassen, dass das Primat der Politik in Zeiten der Globalisierung durchlöchert wurde. Ohne ein Mindestmaß an Regulierung könne keine soziale Marktwirtschaft gedeihen. Auch ein Lob kam vom Parlamentspräsidenten: Bei der Blitzverabschiedung des fast 500 Milliarden Euro schweren Rettungspakets durch den Bundestag habe „die Demokratie einen Test bestanden”.
So unausweichlich und alternativlos der Rettungsschirm für den kurz vor dem Kollaps stehenden Finanzmarkt war – wichtige Fragen bleiben dennoch zurück. Etwa: Wieso soll der Staat mit gewaltigen Steuermitteln jene vor dem Absturz retten, die mit fremdem Geld Monopoly gespielt und dabei verloren haben? Eine Frage, die sich bei Unterstützungsaktionen für große Automobilkonzerne in Abwandlung stellt, da einige von ihnen fröhlich am Markt vorbei produziert haben. Gehört es nicht zu den essenziellen Grundsätzen des freien Marktes, dass einzelne Teilnehmer bei ausbleibendem Erfolg aus dem Markt ausscheiden müssen? Schon gehen politische Parteien mit dem Vorwurf in den Vorwahlkampf des Jahres 2009, dass Gewinne wieder einmal privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Doch bloße Parolen helfen in dieser schwierigen Lage niemandem. Gefragt sind neben schnellen Lösungen für akute Probleme vor allem solide Spielregeln für die künftige Organisation der Märkte.
Online-Expertenforum
des Bundeswirtschaftsministeriums zur Finanzkrise:
www.bmwi.de/go/finanzkrise
Text: Sönke Petersen
Erschienen am 25. Februar 2009