Ein Bürger vor Dani Karavans
Kunstwerk 'Grundgesetz 49' im Berliner Parlamentsviertel. Die
Grundrechtsartikel formulieren fundamentale Schutzrechte.
© DBT/studio kohlmeier
Datenschutz als Grundrecht
Ist Datenschutz ein Grundrecht?
Europaweit genießt der Datenschutz Grundrechtsstatus, doch
eine entsprechende Formulierung fehlt bislang im Grundgesetz. In
vielen Verfassungen der Bundesländer ist das Recht auf den
Schutz der personenbezogenen Daten allerdings verankert. Die
Väter und Mütter des Grundgesetzes haben den Datenschutz
zwar nicht ausdrücklich als Grundrecht benannt – doch
mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts haben seinen
Grundrechtsrang klar formuliert.
Mit dem Volkszählungsurteil gab das
Bundesverfassungsgericht 1983 den Gegnern der Volkszählung
recht und schrieb das „Recht auf informationelle
Selbstbestimmung” fest. Es wurde zur Basis des modernen
Datenschutzrechts. Die Grundüberlegung des obersten Gerichts
bestand darin, dass „eine Gesellschaftsordnung und eine diese
ermöglichende Rechtsordnung” mit dem „Recht auf
informationelle Selbstbestimmung” nicht vereinbar wäre,
„in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was
wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß”.
Beeinträchtigend für diese Selbstbestimmung sei es, wenn
ein Mensch nicht mehr „mit hinreichender Sicherheit
überschauen kann”, welche Informationen über ihn
„in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt
sind”. Denn „wer das Wissen möglicher
Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen
vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus
eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu
entscheiden”.
Wie wichtig diese für ein demokratisches
Selbstverständnis der Bürger ist, beschrieb das Gericht
an folgendem Beispiel: „Wer damit rechnet, dass etwa die
Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative
behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken
entstehen können, wird möglicherweise auf eine
Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte verzichten.”
Damit seien dann aber nicht mehr nur „die individuellen
Entfaltungschancen des Einzelnen” beeinträchtigt,
sondern die des Gemeinwohls”, da die „Selbstbestimmung
eine elementare Funktionsbedingung eines auf
Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner
Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen
Gemeinwesens ist”.
Für das Gericht ist die informationelle Selbstbestimmung also
elementar für eine lebendige Demokratie. Sie ist damit auch
ein Maßstab, der an jede neue Technologie und ihre Verwendung
angelegt werden muss. In zwei Urteilen im Jahr 2008 hat das
Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung sogar noch erheblich gestärkt und sogar ein
neues Grundrecht zum Schutz digitaler Kommunikation geschaffen.
Anlass hierfür waren Gesetze gegen Terror und
Schwerkriminalität, die datenschutzrechtliche Grundsätze
nicht hinreichend berücksichtigt hatten.
„Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den
modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen
gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe
seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von
dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG
umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis
des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe
und Verwendung seiner persönlichen Daten zu
bestimmen.”
Aus dem
Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts
1983
Mit dem Urteil vom 27. Februar 2008 zur Zulässigkeit von
Online- Durchsuchungen schuf das Gericht das „Recht auf
Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität
informationstechnischer Systeme”. Es stellte darin fest, dass
eine Überwachung der Nutzung von IT-Systemen und eine
Auswertung der auf den Speichermedien befindlichen Daten
weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit
des Nutzers bis hin zu einer Profilbildung ermöglichen. Daraus
ergebe sich, so die Richter, ein erhebliches Schutzbedürfnis,
dem die bisherigen Regelungen jedoch keine Rechnung tragen
würden.
Um dieses Schutzdefizit zu beheben, definierten die Richter das
neue Grundrecht, das schwerwiegende Ein- griffe in die
Privatsphäre auf ein Mindestmaß begrenzt. Es ist dann
anzuwenden, wenn ein Eingriff Systeme erfasse, die
„personenbezogene Daten des Betroffenen in einem Umfang und
in einer Vielfalt enthalten können, dass ein Zugriff auf das
System es ermöglicht, einen Einblick in wesentliche Teile der
Lebensgestaltung einer Person zu gewinnen”. Nur wenn es
Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für bestimmte
Rechtsgüter gebe, sei dieses Recht nachrangig zu behandeln.
Solche Rechtsgüter seien etwa „Leib, Leben und Freiheit
der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren
Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die
Grundlagen der Existenz der Menschen berührt”.
In einem weiteren Urteil vom 11. März 2008 entschied das
Bundesverfassungsgericht, dass eine automatische Erfassung und
Speicherung von Kfz-Kennzeichen auf Straßen und Plätzen
ohne konkreten Anlass unzulässig ist. Zweck und Umfang des
Datenabgleichs müssen klar benannt werden. Die Richter
stellten fest, dass das Sammeln des Bewegungsverhaltens des Fahrers
oder sonstige persönlichkeitsrelevante Informationen über
einzelne Fahrten ein Grundrechtseingriff „von erheblichem
Gewicht” sein könne.
Über die Verfassungsbeschwerde gegen die
Vorratsdatenspeicherung beziehungsweise das „Gesetz zur
Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer
verdeckter Ermittlungsmaßnahmen” hat das Gericht noch
nicht entschieden. Die Beschwerdeführer zeigen sich
optimistisch, dass eine Analogie zur automatisierten Erfassung von
Kfz-Kennzeichen herzustellen ist.
Die im Grundgesetz verankerten Grundrechte gelten im
Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern. Nur mittelbar
wirken sie auch im Verhältnis der Bürger untereinander,
da aus der Rechtsprechung entsprechende Prinzipien abgeleitet
werden. Damit Bürger ihre Rechte aus der Verfassung klar
entnehmen können, wird nun die Verankerung eines umfassenden
Kommunikationsgrundrechts im Grundgesetz gefordert.
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Text: Christiane
Schulzki-Haddouti
Erschienen am 19. November 2008