Auf einer Safari
wähnte sich womöglich so mancher Gast Anfang September im
Bonner Museum König bei der Feierstunde des Bundestages zum
60. Jahrestag der Eröffnung des Parlamentarischen Rates. Den
Lichthof des naturkundlichen Museums bevölkern wie schon 1948
ausgestopfte Zebras, Elefanten und Giraffen — damals standen
sie allerdings hinter Vorhängen. Als Festredner war der
französische Politologe Alfred Grosser geladen. Er betonte im
Anschluss an die Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert
die Wertorientierung des Grundgesetzes, das 1948/49 in der
achtmonatigen Arbeit des Parlamentarischen Rates entstand:
„Die Bundesrepublik ist in Wirklichkeit nicht im Hinblick auf
die Nation gegründet worden, sondern im Namen einer
politischen Ethik der Freiheit”, sagte Grosser.
Stille in der Großstadt
Die Politik macht Pause, die Touristen beherrschen das Bild in der
Hauptstadt. Wer dem touristischen Trubel entkommen will, kann sich
in einem „Raum der Stille” im Brandenburger Tor
für einige Minuten besinnen. Der etwa 30 Quadratmeter
große Raum ist leicht abgedunkelt, nur durch einen der beiden
hellen Vorhänge dringt Licht von außen. Ein
Punktstrahler beleuchtet einen braunen Webteppich an der Stirnwand.
Oft ist man einziger Besucher hier. Einige Menschen kommen
neugierig in den Vorraum, lesen die Beschreibung, gehen wieder.
Christa Schwabe ist eine der vielen ehrenamtlichen Betreuerinnen,
die Auskunft geben und Broschüren in 21 Sprachen anbieten. Sie
kommt einmal im Monat, geht „je nach persönlicher
Stimmung” auch mal selbst in den Raum. Christiane und Georg
Grimm aus Pörtschach am Wörthersee sind auf dem Weg vom
Reichstagsgebäude zurück zu ihrem Bus hierher gekommen.
„Stille und Besinnung, das tut in diesen Zeiten gut”,
meint Georg Grimm. Seine Frau ergänzt, hier stehe man auf
historischem Boden, direkt an der früheren Grenze zwischen Ost
und West. „Unseren Kindern ist zu wünschen, dass ihnen
die Turbulenzen, die dieses Tor verkörpert, erspart
bleiben.”
Verfolgte des NS-Regimes
Ein Stückchen weiter südlich, am Rande des Tiergartens,
steht eine graue Betonstele, die denen des gegenüberliegenden
Denkmals für die ermordeten Juden Europas nachempfunden ist.
Ein paar Tage zuvor haben Unbekannte das Fenster zerschlagen,
hinter dem vorher ein küssendes Männerpaar zu sehen war.
Die meisten Spaziergänger gehen achtlos vorüber, nicht
aber Malika und Bernd Amlung, eine Französin und ein
Deutscher. Er, der in Amerika für eine deutsche Großbank
arbeitet, findet es wie seine Frau richtig, dass auch den im
Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen ein Denkmal gesetzt
wurde. Ein anderer Erinnerungsort soll erst noch entstehen. Hinter
einem Metallgitterzaun an einem Weg im Tiergarten wird der Bau des
nationalen Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma
angekündigt. Florrie Tegtmeyer und Tabe Sander studieren den
Text. Sie besuchen die elfte Klasse eines Gymnasiums in
München. Beide meinen, es sei gut, dass auch der ermordeten
Sinti und Roma gedacht werde. In der Schule sei dieses Thema nicht
gerade vertieft behandelt worden.
Europa in Berlin
Auf dem Boulevard „Unter den Linden” hat die
Europäische Kommission ein Informationsbüro, den
„Europa-Punkt”, eingerichtet. Anna Straka und Thomas
Schaal aus Düsseldorf stöbern in dem Behälter, in
dem Miniausgaben der Grundrechte-Charta der EU in den 23
Amtssprachen zu finden sind. Anna, die gebürtige Polin, lebt
seit 20 Jahren in Deutschland. Sie haben Freunde in Osteuropa und
suchen die Büchlein in den passenden Sprachen. Thierry
Monasse, ein in Brüssel lebender Franzose, macht hier eine
Pause. Der freiberufliche Fotograf arbeitet an einer Reportage
über die ehemalige innerdeutsche Grenze zwischen Hof und
Lübeck. Seine nächste Station ist der frühere
Checkpoint Charlie. In seiner Kameratasche hat er einen
knallgrünen Spielzeugtrabi, der auf allen seinen Fotos zu
sehen sein wird.
Text: Klaus Lantermann
Erschienen am 24. September 2008