Bremer Stadtmusikant in Hamburg:
Theatermacher Michael A. Wenz auf dem Bürgerfest
© DBT/Werner Schüring
Im Parlamentsviertel an der
Elbe
550.000 Menschen strömten in die
Elb-Metropole, die die Feier zur Deutschen Einheit erstmals mit
einem Motto versah – „Kulturnation Deutschland”.
Der Bundestag war mit einem Pavillon und Veranstaltungen dabei. Ein
Streifzug durch das Parlamentsviertel an der Elbe.
Drei Tage lang hatte das Berliner Parlamentsviertel einen
Ableger an der Elbe. In der Hamburger Speicherstadt wurde das
traditionelle Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit
gefeiert. Etwa 550.000 neugierige Menschen und alle staatlichen
Institutionen aus Berlin waren dabei. Bei ihren Auftritten ging es
oft um die Kultur. Denn die Hansestadt hatte dem Fest erstmals ein
Motto gegeben. Das lautete „Kulturnation
Deutschland”.
Einigen Trägern dieser Kulturnation läuft man an diesen
Tagen über den Weg. Zum Beispiel Michael A. Wenz, der mit
schwarzem Zylinder und roter Frackjacke für eine
Aufführung seines „Theaters 62” aus Bremen wirbt.
Wenz erzählt, er habe das Theater 1962 als 15-jähriger
Schüler „mit null Mark” gegründet. Wie auf
jedem Bürgerfest spielt die Truppe wieder „Die Bremer
Stadtmusikanten”. Wenz hat das grimmsche Märchen
bearbeitet, er führt Regie, sorgt für die Maske und hat
sich Bühnenbild und Kostüme ausgedacht. Die
Stadtmusikanten sind ihm zufolge das weltweit bekannteste
Märchen. In Russland müssten es die Kinder der zweiten
Klasse sogar auswendig lernen. Er sei mit seiner Truppe schon oft
in Russland gewesen, zuletzt am Baikalsee. Wenz ist stolz darauf,
dass sein Theater keine Staatsgelder erhält. Er nimmt nicht,
sondern gibt noch: Ehrenamtlich organisiert er
Hilfsgütersendungen nach Osteuropa.
Deutschland ist für
ausländische Künstler attraktiv, meint die Journalistin
Mely Kiyak
© DBT/Werner Schüring
Kulturnation Deutschland?
Um staatliche Förderung geht es auch im Pavillon des
Bundestages. Bei einer Matinee sitzen Vertreter der
„Kulturnation Deutschland” auf dem Podium: eine freie
Journalistin, ein Politiker, Intendanten von staatlichen und
privaten Bühnen, ein Liedermacher, ein Direktor eines
öffentlich- rechtlichen Senders. Ähnlich wie Wenz betont
Theaterintendant Corny Littmann, seine beiden Bühnen auf der
Reeperbahn erhielten keine Subventionen. „Wir möchten
kein Staatsgeld. Damit sind wir auch sehr glücklich.” Er
bemängelt, dass in Deutschland kaum noch eigentliche
Kulturförderung stattfinde, sondern dass vor allem die
Institutionen mit ihren Beamten finanziert würden.
Das alles seien „polemische Gerüchte”, kontert
Littmanns Kollege Peter Spuhler. Es gebe an deutschen Theatern
überhaupt keine Beamten. Der Heidelberger Intendant nennt ein
paar bemerkenswerte Zahlen: Das Anfangsgehalt eines deutschen
Künstlers nach einem Eliteabschluss betrage 1.550 Euro brutto.
Er habe sechs freie Sonntage im Jahr, müsse Sonntags- und
Feiertagsarbeit ohne Zuschläge leisten. Trotzdem ist
Deutschland für ausländische Künstler sehr
attraktiv, wie die türkischstämmige Journalistin Mely
Kiyak berichtet. Viele Menschen anderer Nationalität
arbeiteten an deutschen Opernhäusern und Theatern. Kiyak
vergleicht das mit Lebensmitteln, von denen die meisten auch
importiert seien. „Obst und Gemüse mit
Migrationshintergrund” nennt sie das.
Kiyak spricht die Rolle der deutschen Sprache an. Obwohl es immer
noch ein Bedürfnis nach nationalen Identitäten gebe,
„werden wir im Radio zugeballert mit englischen
Texten”. NDR-Hörfunkdirektor Joachim Knuth widerspricht.
Die deutsche Sprache spiele in den Hörfunkprogrammen des NDR
eine große Rolle. Allerdings sei für ihn Kultur weit
mehr als die Betrachtung deutscher Kunstwerke oder deutscher
Dramen. Heinz Rudolf Kunze, Musiker und Literat, erinnert sich. Als
er vor 30 Jahren mit seinem Beruf angefangen habe, sei Englisch die
Sprache der Popmusik gewesen. Mit seinen deutschen Texten seier
damals fast allein gewesen.
Podiumsdiskussion 'Kulturnation
– zwischen Vision und Wirklichkeit' (von links): Peter
Spuhler, Mely Kiyak, Hans-Joachim Otto, Joachim Knuth, Heinz Rudolf
Kunze und Corny Littmann
© DBT/Werner Schüring
Keine Kultur ohne Geld
Die Bedeutung der Kultur für den Zusammenhalt von Menschen
unterstreicht Hans-Joachim Otto (FDP), Vorsitzender des
Bundestagsausschusses für Kultur und Medien. Schon vor der
Einigung des Deutschen Reiches 1871 habe die Kultur die Menschen
verbunden, nicht die politische Macht. „Der Gedanke der
kulturellen Einheit über Staatsgrenzen hinweg ist älter
als der Kalte Krieg.”
Unter den Zuhörern ist auch Elke Foertsch aus Soltau, die von
ihrer Schwiegertochter Mely Kiyak hierher eingeladen wurde. Sie
sagt: „Ich fand es entsetzlich, dass so viel über Geld
geredet wurde.” Natürlich sei es unsere Wirklichkeit,
dass vieles vom Geld abhängig sei. Aber Kultur wachse doch aus
der Gemeinsamkeit, zum Beispiel auf Festen. Etwas anders sieht das
Rika Schultz aus Bremerhaven. Die Erzieherin arbeitet in einem
sozialen Brennpunkt. Um die Kinder dort an Bildung und Kultur
heranzuführen, sei zweierlei nötig: erstens gute
Pädagogen – und zweitens Geld.
Text: Klaus Lantermann
Erschienen am 19. November 2008
© DBT/Werner Schüring
Den besten Überblick
über die Attraktionen des Bürgerfests zum Tag der
Deutschen Einheit 2008 hatte sicher diese Gruppe von Schauspielern
auf Stelzen, die sich bei dem dreitägigen Fest in der
Hamburger Speicherstadt unter das Volk mischte. Für die rund
550.000 Besucher gab es einiges zu erleben, zum Beispiel im
Pavillon des Bundestages: Im „Forum Plenarsaal”
schlüpften die Gäste für eine halbe Stunde in die
Rolle der Abgeordneten und erfuhren, wie die Volksvertreter
arbeiten, wie Gesetze entstehen und wie eine Abstimmung
funktioniert. Außerdem standen Bundestagsabgeordnete auf der
Bühne Rede und Antwort, ein Quiz sorgte für Spannung, und
im „Kommunikationsforum” konnten sich die Besucher
umfassend informieren – während die Kinder in der eigens
eingerichteten Spielecke tobten.