Konrad Bruns hat fast fünfzig Jahre im und für den Deutschen Bundestag gearbeitet. Und er hat seine Arbeit immer gut gemacht. Darauf kann er stolz sein.
Mit Konrad Bruns einmal quer durch Bonn zu fahren, um in seinen Wohnort Wachtberg zu kommen, ist wie eine kleine Exkursion. Der 72-Jährige zeigt nach rechts und links und erklärt, was war und was ist. Bonn – die einstige Bundeshauptstadt – ist voller Geschichte und Konrad Bruns ist voller Geschichten. Sie fallen ihm sozusagen auf Schritt und Tritt ein. Sie reihen sich aneinander wie Szenen eines Films über einen Mann, der nahezu 50 Jahre im Deutschen Bundestag tätig war. Das wäre dann zugleich ein Film über Nachkriegszeit und Wirtschaftswunder, Kalten Krieg und Entspannung, Wiedervereinigung und vereintes Land.
Die erste Filmszene könnte so aussehen: Am 2. Mai 1953 hat ein 16-jähriger Junge seinen ersten Ausbildungstag in der Verwaltung des Deutschen Bundestages. Verwaltungsjungbote wird einer wie er zu dieser Zeit genannt. Hinter dem Jungen liegt eine Kindheit bei seiner Mutter in Rinteln. Der Vater ist im Krieg geblieben. Konrad Bruns will sich eine Zukunft schaffen. An einem seiner ersten Tage im Deutschen Bundestag läuft der Jungbote Bruns durch den Südflügel und sieht auf einem Türschild stehen „Regierungsinspektor Müller”. Das beeindruckt ihn kolossal. Ein Regierungsinspektor. Wenn ich mich anstrenge, denkt er, kann ich das vielleicht auch werden.
Heute steht auf der Visitenkarte von Konrad Bruns „Regierungsdirektor a. D.”. Der Weg dahin war anstrengend, interessant und erfolgreich. Konrad Bruns hat in seiner Laufbahn alle Bereiche kennengelernt, die zur Verwaltung des Bundestages gehören. Das sind über dreißig. Wollte er vollständig aufschreiben, wo er überall gewesen ist und gearbeitet hat, füllte das mehrere Seiten. 1958 zum Beispiel kam er in den Haushaltsausschuss, danach in das Referat Haushalt, Diäten und Rechtsangelegenheiten. Später wurde aus dem Sachgebiet Rechtsangelegenheiten das Justiziariat des Bundestages, in dem Konrad Bruns viele Jahre und bis zur Pensionierung arbeiten würde. Aber das wusste er wohl 1958 noch nicht. Ein Referatsleiter gab ihm zu dieser Zeit den Rat, es doch auf der Verwaltungsschule in Bonn zu versuchen, um voranzukommen. Konrad Bruns nahm diesen Rat an, und besuchte danach die Verwaltungsschule in Hannover für den gehobenen Verwaltungsdienst. Das brachte ihn dem Regierungsdirektor wieder ein Stück näher.
In seinem Wohnzimmer in Wachtberg, von dem aus man weit ins Land schauen kann, erzählt Konrad Bruns, dass sich alle, die damals in Hannover lernten, noch heute einmal im Jahr treffen. Es war eine gute Zeit.
Zweite Filmszene: Konrad Bruns macht Kassendienst. Zu einer Zeit, da den Abgeordneten die Diäten noch bar ausgezahlt wurden. Die Tür geht auf und Ludwig Erhard, damaliger Bundeskanzler, kommt, um seine Diäten zu holen. Mit Zigarre kommt er. Selbstverständlich. Der Diensthabende Bruns ist ein bisschen aufgeregt. „Machen Sie mal ganz langsam”, sagt der Bundeskanzler. „Ich habe Zeit.”
An dieser Stelle holt Konrad Bruns aus seinem Schrank ein paar Fotos. Man sieht ihn auf den Bildern älter werden und es gibt ein Bild von noch jedem Bundestagspräsidenten und jeder Bundestagspräsidentin mit ihm. Viele Jahre seines Berufslebens hat er in einer der Kommissionen des Ältestenrates gearbeitet. „Ich habe zehn Präsidenten überlebt”, sagt er und lacht. Beim Betrachten der Fotos fällt dann auf, was vorher schon vermutet und im Bundestag oft über ihn gesagt wurde: „Der Bruns ist einer der bestangezogenen Männer hier.”
Als Oberamtsrat – da war schon ein weiter Weg vom Verwaltungsjungboten zurückgelegt – arbeitete Konrad Bruns unter anderem im Sekretariat der Kommission des Ältestenrates für Restaurantangelegenheiten und später in der Kommission für Innere Angelegenheiten, dort war er dann Sekretariatsleiter. Eigentlich eine Arbeit für Ministerialräte. Auch darauf kann man stolz sein. Folgerichtig besucht er irgendwann die Bundesakademie und kommt in den höheren Dienst. Fragt man ihn, welches die vielleicht intensivste, schönste, anstrengendste, nachhaltigste Zeit war, wiegt er den Kopf. Es scheint keine Antwort zu geben – zu viele Stationen, zu viel verschiedene Arbeit, zu viel getan und erlebt. „Lauter Gänsehautgeschichten”, wie er sie nennt, kommen dazu.
Dritte Filmszene: Konrad Bruns hat Wochenenddienst und sitzt im Vorzimmer des Direktors beim Deutschen Bundestag. Auf dem Tisch ein rotes Telefon. Noch nie hat es geklingelt, aber heute, an einem Samstagmorgen um zehn, schellt es. Charles de Gaulles ist in der Stadt und möchte dem Altkanzler einen Besuch abstatten, lautet die Nachricht. Nun mal schnell, alles muss organisiert werden. Und alles wird organisiert. In fliegender Eile und trotzdem perfekt. Dann der Moment, da der französische Präsident aus dem Auto steigt und dem deutschen Altbundeskanzler Adenauer die Hand reicht und Adenauer sagt: „Schönen juten Morgen Herr De Gaulle.” „Sehen Sie”, sagt Herr Bruns und zeigt seinen Arm, „da kriege ich heute noch Gänsehaut.”
Viele Jahre ist er gependelt zwischen Bonn und Berlin, als Mitarbeiter des Justiziariats des Deutschen Bundestages. Als die Stadt noch geteilt war, hatte er in den Jahren 1967 bis 1990 immer wieder bei Dienstgeschäften das Zimmer 226 im Reichstagsgebäude, direkt an der Mauer. Er hat sich um Vertrags- und Haftpflichtangelegenheiten gekümmert, ein umfangreiches Arbeitsgebiet. Ab 1999 fand der Umzug nach Berlin statt. Manchmal rief seine Frau dann abends um zehn in Berlin an und sagte: „Du bist ja immer noch im Büro, Konrad.” Das gehörte zu ihm, all die Jahre. Erst nach Hause gehen, wenn alles getan ist. „Man war ja am Aufbau der Verwaltung erst in Bonn tätig und hat später noch einmal den Aufbau der neuen Strukturen in Berlin mitgemacht. Wissen Sie, da muss man alles mit größtem Engagement tun. Der Bundestag war für mich so was wie eine große Familie. Bis zum Schluss.”
Für all das hat er das Bundesverdienstkreuz am Bande bekommen. Seine kleine Familie besteht aus Frau, Tochter und Sohn mit ihren Ehepartnern und zwei Enkeltöchtern, alle nah beieinander, sodass man sich sehen und etwas miteinander tun kann. Mit der Tochter zum Beispiel hat Konrad Bruns das Institut für politische Bildung in Koblenz gegründet. Er hält Vorträge an der Volkshochschule und an der Universität. Gerade bereitet er einen über den ersten Bundeskanzler, Konrad Adenauer, vor.
Vorletzte Filmszene: Konrad Bruns bekommt 2002 in Berlin seine Abschiedsurkunde: „Im Namen der Bundesrepublik Deutschland spreche ich dem Regierungsdirektor Bruns für die dem deutschen Volke geleisteten treuen Dienste Dank und Anerkennung aus.” Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat unterschrieben. An der Bürotür des Abschiednehmenden steht „Regierungsdirektor Konrad Bruns”. Er hat erreicht, was er fast fünfzig Jahre zuvor im Südflügel des Bundestages in Bonn noch nicht geahnt hatte. Wenn das kein Happy End ist.
Text: Kathrin Gerlof
Erschienen am 2. Oktober
2009