Dass im Parlament Italiens die Fetzen fliegen - das wenigstens kann niemand behaupten. Die „Onorevoli”, die „Ehrenwerten”, wie die Abgeordneten genannt werden, achten selbst in der Hitze der Schlacht auf Stil.
Dass im Parlament Italiens die Fetzen fliegen - das wenigstens kann niemand behaupten. Die „Onorevoli”, die „Ehrenwerten”, wie die Abgeordneten genannt werden, achten selbst in der Hitze der Schlacht auf Stil. Sie werfen nur mit edleren Dingen: mit Parlamentsdrucksachen, mit fein gebundenen Exemplaren der Geschäftsordnung - oder mit Mortadella.
Scheiben dieser Wurstspezialität flogen jedenfalls im Januar 2008, als Abgeordnete der Mitte-Rechts-Opposition die endgültige Abstimmungsniederlage von Regierungschef Romano Prodi bejubelten. Das Ganze geschah aber nicht etwa in der „Camera”, wo Italiens gemeine Parlamentarier sitzen, sondern im Senat, der sich nicht nur der Zahl seiner Angehörigen wegen - 315 Senatoren gegenüber 630 Vertretern der Abgeordnetenkammer - als Elite versteht, sondern auch seiner höheren, altersbedingten Weisheit wegen: Den Senat, die als solche nur halb entwickelte Vertretung der italienischen Regionen, dürfen ausschließlich Italiener wählen, die mindestens 25 Jahre alt sind. Für die „Kammer” reicht normale Volljährigkeit.
Dass Plakate im Parlament hochgehalten und Spruchbänder entrollt werden, ist in Rom normal. Auch dass Abgeordnete handgreiflich werden, kommt vor; unlängst hat es wieder mal einen politisch wie anatomisch rechten Haken gesetzt. Dabei sind Abgeordnetenhände auch zu feineren Verrichtungen in der Lage, zum „Klavierspielen”, wie das lange Jahre genannt wurde: Da sah man immer wieder Parlamentarier, die bei elektronischen Abstimmungen nicht nur auf der Tastatur des eigenen Pultes zu Gange waren, sondern gleichzeitig auf dem Tisch des abwesenden Nachbarn, oftmals über zwei Reihen hinweg - Virtuosen ihres Fachs. Seit einem Jahr geht das nicht mehr; seither muss jeder Abstimmende - wie in den Zeiten, als die Unterschrift noch nicht erfunden war - sein Votum per Fingerabdruck bekräftigen, und den untersucht der Computer mit kriminalistischem Eifer auf Echtheit.
Camera dei deputati und Senato della Repubblica
Das italienische Parlament ist auch in anderer Hinsicht nicht mehr das, was es einmal war. Bis zu den Wahlen 2008 saßen dort an die zwanzig Parteien Fraktionen, politische Dreier-, Zweieroder Einmanngruppen. Ungefähr jeden- falls; die genaue Zahl war nie festzustellen, Gruppen entstanden und zerbrachen, weil es Abgeordnete gab, die ihre Partei wechselten wie andere Leute die Hemden. Die Wahlergebnisse für eine Legislaturperiode mit der vergangenen zu vergleichen, ist seit den neunziger Jahren kaum mehr möglich, weil erstens die Parteien in immer neuen Formationen, unter anderen Namen antraten und weil zweitens - wenn das Ergebnis nicht zu jener „Regierungsfähigkeit” führte, welche die jeweiligen Sieger gerne gehabt hätten - immer wieder Hand ans Wahlgesetz gelegt wurde. Immerhin: Die letzte Wahlrechtsreform und mit ihr die Verärgerung der Wähler haben die Parteienlandschaft flurbereinigt. In der „Camera” wie im „Senato” sitzen nur mehr überschaubare sechs Fraktionen.
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Text: Paul Kreiner, Rom
Erschienen am 25. März
2010