UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS
Ein Lehrstück über die "Gefahrenabwehr"
Ein "Beweis" sei das alles nicht, betont Klaus-Dieter Fritsche vor dem Untersuchungsausschuss. Aber "tatsächliche Anhaltspunkte", Hinweise, Indizien, Erkenntnisse seien "glaubhaft" gewesen, so der Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt. Und deshalb war es für den damaligen Vizepräsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz gerechtfertigt, im Herbst 2002 bei einer "Prognosebewertung" Murat Kurnaz vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohungen als potenzielles Sicherheitsrisiko einzustufen. Das hatte Folgen: Die Geheimdienstspitzen und mehrere Staatssekretäre entschieden unter Leitung von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier angesichts einer im Raum stehenden Freilassung des Guantánamo-Häftlings durch die USA, eine Einreisesperre gegen Kurnaz zu verfügen.
Die Debatten im Ausschuss über feinsinnige Unterscheidungen zwischen "Beweis" und "glaubhaftem" Indiz, zwischen "Verurteilung" und "Gefahrenabwehr" vermitteln zuweilen das Bild eines Seminars für angehende Juristen. Eine Lehrstunde ist der Fall Kurnaz allemal: Der Öffentlichkeit wird vor Augen geführt, dass ein Bürger manchmal auch ohne rechtskräftige Verurteilung mit Sanktionen belegt werden kann - und dies möglicherweise anhand einer umstrittenen Indizienlage. Ob die Einreiseverweigerung nach Deutschland die USA mit dazu bewogen hat, Kurnaz entgegen ersten Erwägungen doch nicht freizulassen und bis August 2006 einzusperren, werden die Abgeordneten wohl nicht klären können. Entscheidend ist aber, dass die Rückkehrsperre verhängt wurde.
Das gegen den Bremer eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Verdachts terroristischer Aktivitäten wurde damals eingestellt. Doch Fritsche insistiert, vorliegende Erkenntnisse hätten gleichwohl die Einordnung als Sicherheitsrisiko begründet: Er nennt Kontakte zu islamistisch-extremistischen Gruppen und die Reise nach Pakistan, erwähnt Zeugenaussagen, wonach der Türke angeblich in Afghanistan habe kämpfen wollen.
SPD-Obmann Thomas Oppermann sagt, "islamistische Freunde" von Kurnaz hätten Kontakt zur Hamburger Terrorzelle des 11. September unterhalten. Die Opposition müht sich stundenlang, die Stichhaltigkeit der Indizien im Detail anzuzweifeln. Besonders akribisch geht Wolfgang Neskovic von der Linkspartei vor. Nie habe Kurnaz etwas mit terroristischen Aktivitäten zu tun gehabt, eine Pakistanreise an sich könne noch keinen Verdacht untermauern. Doch Fritsche lässt sich nicht beeindrucken. Er stuft Kurnaz - sogar heute noch - als Sicherheitsrisiko ein. Trotz allem kam Kurnaz aber nach einer Intervention von Kanzlerin Angela Merkel frei und nach Bremen zurück. Für Fritsche war dies eine humanitär motivierte "Abwägungsentscheidung", zumal die Kritik an Guantánamo immer lauter geworden war.