Innere Sicherheit
Berlin ist mit Verschärfungen vorsichtig. Aus gutem Grund.
Auf den ersten Blick folgt das neue Sicherheitspaket von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) einem bekannten Muster: In Zeiten anhaltender Terrorgefahr werden die Instrumente der Ermittler geschärft, Bürgerrechte müssen zurückstehen. Der politische Streit in der Großen Koalition ist entsprechend groß. Schaut man sich die Pläne, dem Bundeskriminalamt (BKA) Befugnisse zur Rasterfahndung und heimlichen Onlinedurchsuchung sowie zur Nutzung von Lkw-Mautdaten einzuräumen, etwas genauer an, dann ergibt sich ein differenzierteres Bild. So diagnostiziert Manfred Baldus, Rechtsprofessor in Erfurt, sogar eine neue Sensibilität des Gesetzgebers in Sachen innere Sicherheit: "Man ist sorgfältiger geworden, weil man ständig die Erfahrung macht, dass das Bundesverfassungsgericht genau hinschaut."
In der Tat haben die Karlsruher Richter in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Gesetzen, die das Label Terrorismusbekämpfung trugen, empfindlich zurückgestutzt oder vollständig einkassiert. Im März 2004 stärkten die Richter den Schutz der Privatsphäre gegen den großen Lauschangriff derart, dass die akustische Wohnraumüberwachung in der Praxis inzwischen kaum noch vorkommt. Im Juli 2005 kippten die Richter innerhalb von zehn Tagen das deutsche Gesetz zum EU-Haftbefehl und die vorbeugende Telefonüberwachung nach niedersächsischem Polizeirecht. Im Februar 2006 fiel die umstrittene Befugnis zum Abschuss von Passagierflugzeugen, drei Monate später erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVG) die nach dem 11. September 2001 eingeleitete Rasterfahndung für verfassungswidrig.
Beim Thema Onlinedurchsuchung wurde erst kürzlich der Bundesgerichtshof tätig: Ohne eine gesetzliche Grundlage sei das Ausspähen privater Computer nicht erlaubt, befanden die Richter.
Jedes neue Gesetz wird sogleich auf den Prüfstand gestellt: Gegen die Pläne der Regierung zur sechsmonatigen Speicherung von Telekommunikationsdaten formiert sich eine Massenklage. Und gegen das Ausspähen privater Computer, das schon jetzt nach nordrhein-westfälischem Verfassungsschutzgesetz erlaubt ist, hat Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP) Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Dabei hat das BVG durchaus Verständnis für die Nöte der Fahnder gezeigt. Die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten, so betont das Gericht immer wieder, sei ein wesentlicher Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens. Den Einsatz von satellitengestützter Überwachungstechnik billigte das Gericht ebenso wie die Beschlagnahme gespeicherter Han-dydaten. Auch das Urteil zum Lauschangriff zeigt, dass Karlsruhe keineswegs grundsätzlich gegen die Verwanzung von Wohnungen ist - nur muss sie so ausgestaltet sein, dass ein unantastbarer "Kernbereich privater Lebensgestaltung" geschützt bleibt.
Dennoch, die Karlsruher Urteile zum Thema innere Sicherheit folgen einer dezidiert liberalen und rechtsstaatlich orientierten Linie. Das verfehlt seine Wirkung in Berlin nicht. So sollen die Daten aus der Lkw-Maut nach den bisher bekannt gewordenen Plänen nur zur Aufklärung besonders schwerer Verbrechen nutzbar gemacht werden. Auch bei der heimlichen Onlinedurchsuchung von Computern deuten die bisherigen Formulierungen auf eine gewisse Vorsicht hin: Sie sollen voraussichtlich nur zur Gefahrenabwehr durchsucht werden dürfen.
Doch der Teufel steckt im Detail. Eine Onlinedurchsuchung zur Abwehr eines unmittelbar bevorstehenden Terroranschlags wäre nach der Karlsruher Rechtsprechung wohl kein Problem. Doch in welchem Umfang die Fahnder mit ihren "Trojanern" heimlich auf Festplatten nach Anleitungen zum Bombenbasteln oder Hasspredigervideos suchen dürften, wenn noch keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, ist ungewiss. Zwar sieht BKA-Chef Jörg Ziercke da-rin eines der wichtigsten Instrumente zur Abwehr drohender Gefahren. Aber immer dann, wenn es um Prävention geht, wird das BVG besonders hellhörig. Entsprechend hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) den Vorschlag als "verfassungsrechtlich höchst bedenklich" eingestuft.
Im Urteil zur vorbeugenden Telefonüberwachung erklärte das Gericht das "Vorfeld" angeblich bevorstehender Verbrechen generell zur verfassungsrechtlich heiklen Zone. Das niedersächsische Polizeigesetz wollte die Überwachung schon dann zulassen, wenn "Tatsachen die Annahme rechtfertigen", dass die Person "Straftaten von erheblicher Bedeutung" begehen werde. Den Verfassungsrichtern war das zu vage: Es fehlten Kriterien, nach denen die Polizei harmloses Verhalten von der Vorbereitung künftiger Delikte unterscheiden soll.
Hinzu käme bei den Onlinedurchsuchungen der Schutz der Privatsphäre. Die Festplatte, auf der von der Steuererklärung über die Urlaubsfotos bis zum privaten Tagebuch nahezu alles gespeichert sein kann, dürfte ebenfalls ganz dicht am "Kernbereich privater Lebensgestaltung" sein, um den die Richter einen Schutzzaun errichtet haben. Mit den Plänen werde die Persönlichkeit und Intimität der Bürger zur Disposition gestellt, kritisierte daher Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwaltvereins.
Auch für die Zulässigkeit einer Rasterfahndung hat Karlsruhe hohe Hürden errichtet. Zulässig sei sie nur bei einer "konkreten Gefahr": Der Erste Senat hielt noch nicht einmal das nach dem 11. September 2001 allenthalben beschworene Risiko eines weiteren Terroranschlags für konkret genug, um eine massenhafte Datensammlung zu rechtfertigen. Als verfassungsrechtlich gangbaren Weg schätzt Manfred Baldus die nun bekannt gewordenen Pläne zur Wiederbelebung des großen Lauschangriffs ein. Das Karlsruher Urteil von 2004 hatte das Abhören von Wohnungen praktisch unmöglich gemacht, weil die Mikrofone sofort abgeschaltet werden sollten, sobald das Gespräch privat wurde. Nun wird offenbar über ein so genanntes "Richterband" nachgedacht: Die Gespräche sollen zunächst aufgezeichnet werden, dann soll ein Richter entscheiden, was zur Privatsphäre gehört und daher gelöscht werden muss. Damit, so glaubt zumindest Baldus, könnte die Menschenwürde hinreichend geschützt werden, ohne zugleich das gesamte Ermittlungsinstrument unbrauchbar zu machen. Wolfgang Janisch z
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