FrEudenberg
Vom Zirkusdirektor zum Schlossherrn. Matthias Schenk macht Denkmalschutz erfahrbar.
Der Park ist verwunschen, an den Seitenfassaden des kleinen Schlosses blättert der Putz ab. Drinnen im Eingangsbereich brennt knisternd ein Kaminfeuer. Davor steht ein buntes Sammelsurium von Stühlen.
Gerade trudeln die ersten Schulklassen ein, um das "Erfahrungsfeld der Sinne" mit seinen Klangschalen, Sandinstallationen und der Dunkelbar ("Wie schmecken die Farben?") zu erforschen. Hausherr Matthias Schenk will gemeinsam mit seiner Frau Beatrice und seinen 100 Mitarbeitern das Wiesbadener Schloss Freudenberg "durch Kunst heilen".
Der ehemalige Zirkusdirektor findet, "so ein Haus ist ein Wesen". Vor vierzehn Jahren ist Schenk mit seiner Familie in das verlassene Schloss eingezogen: unter das baufällige Dach, mit ein paar Kanonenöfen. Die Fenster waren vermauert, die Heizung defekt und der Hausschwamm gerade dabei, das Gebäude vollständig zu ruinieren. 1904 war das Palais für den Maler James Pitcairn-Knowles und seine Freundin, eine französische Prinzessin, erbaut worden.
Nur drei Jahre lang blieb der englische Künstler. Danach wechselte das Schloss 14 Mal den Besitzer. "Die Menschen haben sich aus dem Gebäude zurückgezogen und mit ihnen die Liebe für das Haus", sinniert Schenk. Nicht mehr als einen "Abenteuerspielplatz" habe er 1993 vorgefunden. Schenk war für Schloss Freudenberg und die Stadt Wiesbaden, die mit der unansehnlichen Immobilie überfordert war, der letzte Notnagel. Der heute 52-Jährige hatte unter anderem "Lehr- und Wanderjahre" in verschiedenen Zirkusunternehmen und ein zweijähriges Engagement als Schauspieler hinter sich. Zehn Jahre lang war er - ins-piriert von Joseph Beuys und dem Aktionskünstler Hugo Kükelhaus - mit einem wandernden "Erfahrungsfeld der Sinne" durch Österreich, Deutschland und die Schweiz gezogen, ein "fahrendes Kunstwerk" und ein Kindheitstraum für einen, der seiner Mutter schon als Siebenjähriger eröffnet hatte: "Ich werde Zirkusdirektor."
Immer hat ihn der "Entwicklungsgedanke" getrieben. Mit einem fertigen Sanierungskonzept konnten Schenk und seine Frau, die Bewegungskünstlerin Beatrice Dastis Schenk, jedenfalls nicht aufwarten, als sie in das verfallene Schloss zogen. "Wir haben keinen Pfennig, und wir haben keine Ahnung vom Bauen, unser größtes Kapital ist die Kreativität", hatte Schenk der Stadt Wiesbaden seinerzeit gesagt, die durch das "Engagement" der Künstlerfamilie rund 8 Millionen Euro Sanierungskosten sparen konnte. Das Ehepaar Schenk gründete die Gesellschaft Natur und Kunst, die das Palais mittlerweile von der Stadt bis 2070 in Erbpacht übernommen hat.
Anders als bei klassischen Restaurierungsmaßnahmen wurde nichts geschlossen. Schloss und Garten blieben offen und wurden zu einem festen Standort für das "Erfahrungsfeld der Sinne". Besucher können bei den Bienenvölkern im Schloss vorbeischauen oder "Goethes Wolkenlehre als Experiment" kennenlernen.
Sanierung und Nutzung gehen seither Hand in Hand. "Das Entscheidende beim Denkmal ist die Idee", sagt Matthias Schenk. 17 offene Baustellen hält der Künstler wie auf einem Herd "am Kochen". Weitergebaut wird zum Beispiel, wenn der passende Handwerker, Architekt oder Künstler die passende Idee hat oder das passende Angebot macht. Richtig fertig geworden ist eigentlich noch nichts auf Schloss Freudenberg, aber alles ist im Fluss, ein Prinzip, an das sich die staatlichen Stellen erst einmal gewöhnen mußten.
Schon vor 14 Jahren nutzten die Schenks das Schloss als Bühnenbild, veranstalteten eine Woche nach ihrem Einzug ein Konzert, zwei Wochen später ein Theaterstück und nach einem Monat die erste Ausstellung im finsteren Schloss. 18.000 Menschen besichtigten für damals zehn Deutsche Mark die "Dunkelheit". Die ersten Einnahmen waren da und die Schenks "überlebten" entgegen aller Unkenrufe ihren ersten Winter im Schloss.
Seither arbeiten unterschiedliche Gruppen mit ihnen zusammen. Als erstes kam der Mainzer Architekturprofessor Emil Hädler mit rund 200 Studenten, die drei Monate lang ihr Projektstudium ins Freudenberger Schloss verlegten. Es folgte die Zusammenarbeit mit der Wiesbadener Justizvollzugsanstalt. Schenk und sein Team gestalteten Zellen um, einen Speisesaal und Wohngruppenräume. Im Gegenzug übernahmen die Inhaftierten in ihren Werkstätten Schlosser-, Maler-, Metall- und Elektroarbeiten für das Schloss. Behindertenwerkstätten arbeiteten im und für das Schloss ebenso wie Asylbewerber und "Hartz IV"-Empfänger.
Mittlerweile hat sich das ungewöhnliche Projekt zu einem mittelständischen Unternehmen ent- wickelt. Rund 400 Besucher kommen täglich in das einstige Palais. Zu den Gästen zählen unter anderem Firmen wie Karstadt oder die Drogeriekette DM, die ihr Unternehmen selbst als Erfahrungsfeld definieren und ihre Mitarbeiter zu Seminaren ins Schloss schicken.
Die Therapie von Matthias Schenk also ist erfolgreich, der Künstler selbst genießt mittlerweile ebenso das Vertrauen der örtlichen Handwerker wie der staatlichen Denkmalschützer. "Man ist", so sagt er etwas nachdenklich, "angekommen im Leben."
Die Autorin ist freie Journalistin
in Wiesbaden
www.schlossfreudenberg.de