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Informationen über dieses Dokument: Seitentitel: Das muss doch zu schaffen sein
Gültig ab: 23.06.2005 00:00
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Das muss doch zu schaffen sein

Bild: Deutsche Flagge mit niedersächsischem Wappen und EU-Flagge vor Gebäude
Vor der niedersächsischen Landesvertretung.

Bild: Strauss Blumen auf dem Schreibtisch
9.00 Uhr - Im Büro.

Bild: 5 Abgeordnete im Büro
10.00 Uhr - Arbeitsgruppe im Abgeordnetenbüro von Klaus Haupt.

Bild: Ina Lenke im Gespräch
11.00 Uhr - Tagung des Arbeitskreises zur Sozialpolitik.

Bild: Kleine Fahrstuhlkabine mit den Mitgliedern des AK
12.15 Uhr - Zwischenfall im Fahrstuhl.

Bild: Ina Lenke
13.00 Uhr - Terminabsprachen und Korrespondenz im Büro.

Bild: Ina Lenke
15.00 Uhr - Fraktionssitzung.

Bild: Blick aus dem Zuschauerraum auf erleuchtete Bühne
19.00 Uhr - Kunstpräsentation in der Niedersächsischen Landesvertretung.

Die FDP-Abgeordnete Ina Lenke gehört zu jenen Menschen, die Dinge beherzt angehen und nicht aus dem Auge verlieren. Auch dann nicht, wenn sie lange brauchen.

Was ist Leidenschaft? Theater ist Leidenschaft. Ein Kontrabass, fünf weiße Frauen, ein Trommler in Schwarz – das ist Leidenschaft. Das Publikum schaut auf die Bühne und wird Zeuge eines gewagten Versuchs. Mittendrin im Publikum befindet sich eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages, die Initiatorin dieses Abends in der Niedersächsischen Landesvertretung. Man könnte vielleicht zu ihr gehen und sagen: „Da muten Sie uns aber ganz schön was zu, Frau Lenke. Fünf weiße Frauen und ein Kontrabass. Und draußen im Atrium diese wilde Installation, Einkaufswagen voller Zivilisation, und über dem Ganzen das Wort ‚Transfer’. Was verbindet Sie denn mit diesem Experiment?“ Und dann antwortete die Abgeordnete Lenke vielleicht: Die Leidenschaft, etwas zu tun und so lange daran zu arbeiten, bis es gut ist.

Zuzutrauen wäre ihr eine solche Antwort. Wenn man die 57-Jährige einen Tag lang bei ihrer Arbeit im Bundestag beobachtet, entfalten manche ihrer politischen Themen ganz langsam eine eigentümliche Sogwirkung. Nicht, dass sie schon von sich aus spektakulär klingen. Gender Mainstreaming etwa – das hat etwas Sprödes. Lenke befasst sich außerdem mit Jugendfreiwilligendiensten, mit der Abschaffung des Zivildienstes, mit Familienpolitik und der Steuerklasse 5. Nichts davon verbindet sich sofort mit großen Emotionen. Nun, Frauen fangen vielleicht beim Thema Steuerklasse an, ein bisschen wütend zu werden. Und Afghanistan? Ja, schon eher, das bewegt die Gemüter noch immer und es gibt Bilder, die hat man nicht vergessen.

Ein Tag mit der FDP-Abgeordneten Ina Lenke kann dazu führen, dass diese Begriffe und diese Dinge Gewicht erhalten. Manche ein anderes, als sie vorher hatten. Und manche gewinnen überhaupt erst eine Bedeutung.

Morgens kurz nach neun. Im Büro stehen noch die Blumen vom Vortag. Stapelweise liegen Glückwunschkarten herum. Gestern hat Ina Lenke Geburtstag gehabt und jetzt kommen noch ein paar Mitstreiterinnen und Kolleginnen, um zu gratulieren. In einer Stunde beginnt die erste Beratung des Tages in der Arbeitsgruppe FSFJ, das steht für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In dem gleichnamigen Ausschuss ist Ina Lenke die Obfrau ihrer Fraktion, ebenso im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement. „Frauenpolitik in der FDP“, sagt sie und zerschneidet einmal mit der rechten Hand die Luft in ihrem Büro, „ist gar nicht so einfach zu machen. Wir Frauen gehen in diese Partei, weil sie eine gute Wirtschaftspolitik macht. Unter anderem, aber das ist vielleicht das Wichtigste. Ich versuche, eine Spange zwischen den so genannten harten und weichen Themen zu bilden. Kaum ein Mann kennt die Steuerklasse 5. Warum auch? In der Regel sind es ja Frauen, die wegen des niedrigen monatlichen Nettogehaltes durch diese Steuerklasse auch noch demotiviert werden, wieder ins Berufsleben einzusteigen.“ Da spricht die Vorsitzende der Bundesvereinigung Liberale Frauen aus ihr. Und die Abgeordnete. Das lässt sich sowieso nicht trennen. „Es ist noch immer nicht einfach, Frauen außerhalb von Parteimitgliedschaften für Politik zu begeistern. 52 Prozent der Bevölkerung sind Frauen. Aber das allein genügt doch nicht. Frauen müssen einfach politischer werden.“

Ina Lenke schaut auf die Uhr, dann auf ihren Mitarbeiter, der eine Mappe voller Papiere für sie vorbereitet hat, und wieder auf die Uhr. Man einigt sich auf später. Am frühen Nachmittag wird Zeit sein. Muss Zeit sein, denn heute ist, jenseits aller Sitzungswochenroutine, auch ein besonderer Tag. Schließlich steht für den Abend ein Experiment auf dem Programm.

Jetzt erst einmal zur Vorbesprechung in der Arbeitsgruppe – und dann tagt der Arbeitskreis III, in dem über Sozialpolitik geredet wird. Oder nein, noch nicht gleich. Ina Lenke muss von ihrem Wochenende erzählen. Sie war in Afghanistan. 48 Stunden nur, mehr Zeit war nicht. Sie hat dort Frauen gesehen, erlebt, mit ihnen gesprochen. Sie ist beeindruckt und will so viel wie möglich tun, um diese mutigen Frauen dort, in dem vom Krieg gezeichneten Land, zu unterstützen. Eine von ihnen lässt die Abgeordnete nicht los, die 70-jährige Irene Salimi. Die Deutsche hat während des Krieges in der Deutschen Botschaft die Stellung gehalten, mehr als zwölf Jahre. Und dann ein Hospital für Kinder aufgebaut. Ina Lenke will versuchen, für dieses Hilfsprojekt Geld zu sammeln. Wie? Da wird ihr noch was einfallen. Es sollte doch zu schaffen sein.

Die Arbeitsgruppe findet sich um kurz nach zehn im Zimmer des Abgeordneten Klaus Haupt zusammen. Es wird ein wenig eng. Noch einmal gibt es Glückwünsche zum Geburtstag. „Jetzt stimmt die innere Befindlichkeit langsam gar nicht mehr mit dem Alter überein“, sagt die Abgeordnete Lenke und lacht. „57, das musst du dir mal vorstellen. Ich bin jünger!“ Dann geht es zur Tagesordnung über und die besteht in der Vorbereitung der Arbeitskreissitzung und schließlich der Ausschussberatung in dieser Sitzungswoche. Sieben Leute sitzen um einen kleinen runden Tisch. Sie diskutieren eine Weile über die Kinderrechtskonvention der UNO und darüber, warum Deutschland ihr nur unter Vorbehalten beitreten will. Dann geht es um Veränderungen im Unterhaltsrecht und das heiß debattierte Antidiskriminierungsgesetz. Nach einer knappen Stunde ist man mit den Themen durch und gut vorbereitet für den Arbeitskreis.

Der Arbeitskreis III zur Sozialpolitik tagt in einem großen Raum im Jakob-Kaiser-Haus. Stuckdecken, hohe Fenster und kühle Temperaturen. Sehr kühl. Also diskutiert man sich warm. Zwischendurch wird mal kurz über die laufende Papstwahl spekuliert, aber niemand in der Runde glaubt, dass eintreten kann, was dann am Abend aus dem Vatikan verkündet wird. 19 Leute sind anwesend, neun von ihnen Abgeordnete. Besprochen wird, wer im Plenum zu welchem Thema reden sollte, debattiert wird über Beratungsvorlagen und Anträge, über den Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland und eine Anfrage zum Thema Aufhebung der Mehrwertsteuerpflicht bei Vereinsbeiträgen. Da will man sich für eine schnelle Klärung stark machen, eine, die bürgerschaftliches Engagement stützt und nicht besteuert. Es geht um Dienstleistungsrichtlinien, gesundheitliche Prävention und Eigenheimzulagen. Letzteres Thema wird von der Abgeordneten Lenke engagiert in die Runde eingebracht. „Eigenheimzulagen gelten gegenwärtig nicht als Schonvermögen, sondern werden zum Einkommen dazugerechnet. Ich kenne da eine Familie …“ Ina Lenke kündigt an, sich um das Thema zu kümmern, denn es betrifft allein in ihrem Landkreis 60 Familien. In anderen Regionen, wo die Arbeitslosigkeit noch höher ist, wird es schlimmer aussehen. „Kümmere dich“, sagen auch die Kollegen, „das ist ein wichtiges Thema.“

Auf dem Rückweg ins Büro passiert es dann. Der Fahrstuhl bleibt stecken und durch seine gläserne Tür sieht die Abgeordnete und sehen die fünf anderen Menschen in der Kabine, wie draußen das Leben weiter geht. Das ist ein sonderbares Gefühl, wenn man plötzlich zum Warten verdammt wird. Nach zwanzig Minuten geht das Leben wieder weiter.

Im Büro wartet eine Referentin der Fraktion auf Ina Lenke, um mit ihr eine Presseerklärung durchzusprechen. Dann werden Termine und Briefe und Anfragen und Absagen besprochen. Das dauert seine Zeit, bis endlich der Abend auf die Tagesordnung kommt. Dieser Abend in der Niedersächsischen Landesvertretung, an dem sich die Fachhochschule Ottersberg aus dem Wahlkreis der Abgeordneten präsentieren wird. „Die gibt es seit 1967 und sie ist eine von siebzig nichtstaatlichen Hochschulen in Deutschland“, erzählt Ina Lenke. „Die schaffen jetzt schon das, was auf andere erst zukommt: mit nur wenigen Zuschüssen beste Ausbildung anbieten – Kunsttherapie, Kunstpädagogik und Freie Bildende Kunst. Sie werden heute Abend sehen, wie gut die sind.“

In diesen Abend haben die Mitarbeiter des Abgeordnetenbüros Lenke, hat die Abgeordnete Lenke selbst viel Zeit und Arbeit investiert. Ina Lenke will, dass solche Beispiele Schule machen und dass gewürdigt wird, was die Bildungsstätte macht. Beispielsweise Menschen darin auszubilden, mit Demenzkranken künstlerisch-therapeutisch zu arbeiten. Dafür hat die Abgeordnete Werbung gemacht, Einladungen verschickt, eine Pressekonferenz für den Abend organisiert. Jetzt im Büro wird der ganze Ablauf noch einmal durchgesprochen.

Um 15 Uhr beginnt die Fraktionssitzung. Ina Lenke kündigt an, dass sie um fünf gehen muss, um in der Landesvertretung bei den Vorbereitungen für den Abend mitzuhelfen und bei der Pressekonferenz dabei zu sein.

Das Atrium der Niedersächsischen Landesvertretung füllt sich am Abend schnell. Gekommen sind viele und man sieht, wie sie sich vorsichtig zwischen den zur Installation gehörenden Einkaufswagen bewegen, hin und wieder Fragen stellen, lächeln, rätseln, sich gar amüsieren, wenn sie auf ein Projekt der Fachhochschule treffen, bei dem Studentinnen anbieten, die Freizeitvergnügungen anderer Menschen zu übernehmen. Wir gehen für Sie ins Kino oder legen uns für Sie auf die Sonnenbank. Keine Zeit zu haben, scheint kein Problem mehr zu sein. Oder doch?

Ina Lenke gefällt, dass so viele gekommen sind. Ihre Rede ist kurz und warmherzig, dann mischt sie sich unters Publikum und ist von da ab nur noch im Gespräch. Bis das Theaterstück beginnt. Fünf weiße Frauen, ein Kontrabass und ein Trommler in Schwarz – das Experiment beginnt. Und egal, wie es ausgeht: Es ist mit Leidenschaft betrieben. Theater ist immer Leidenschaft. Politik kann es sein.

Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 29. Juni 2005


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