Der Abgeordnete Patrick Sensburg, 38, vertritt seit Oktober den Hochsauerlandkreis im Deutschen Bundestag und bringt alles mit, was man für eine Karriere in der Politik braucht. Wenn da nur nicht sein prominenter Vorgänger wäre.
Nein, Moped fährt er nicht, damit geht es schon mal los, sondern ein echtes Motorrad, eine Kawasaki LTD, gekauft, als er gerade volljährig wurde, für 3.000 Mark, und jetzt noch einmal durch den TÜV gebracht. Patrick Sensburg, 38, Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, Hauptmann der Reserve, Lions-Club-Anstecknadel im Revers, gehört zu den 73 neuen Bundestagsabgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, direkt gewählt mit 51,7 Prozent der Erststimmen, ein beachtliches Ergebnis.
Doch Sensburg hat ein Problem, das zugleich eine Chance ist: Es heißt Friedrich Merz. Der Neue folgt einem der bekanntesten CDU-Politiker des ausgehenden Jahrzehnts, dem angesehenen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag der Jahre 2000 bis 2002. Merz holte 15 Jahre lang Mehrheiten für die CDU im Hochsauerland, einem der größten Wahlkreise Deutschlands, den Sensburg jetzt übernommen hat. Sechs Prozentpunkte weniger als sein berühmter Vorgänger fuhr er ein und erklärt das „zu einem großen Teil mit dem allgemeinen Bundestrend”, wie er sagt.
Sensburg ist neu in Berlin, hat gerade eine Wohnung in Charlottenburg gefunden, sein Parlamentsbüro bezogen, die ersten Mitarbeiter eingestellt. Jetzt geht es darum, sich ein eigenes Profil zu erarbeiten und ein Netzwerk aufzubauen. Die ersten Termine sind absolviert: Kollegen, Journalisten, Lobbyisten kennenlernen, sich auf Empfängen sehen lassen, Hände schütteln und dann weiter zum nächsten Termin, vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft zu einem Stiftungsforum. Und bei allem den Wahlkreis nicht vergessen! Die ersten Wochen in der Hauptstadt sehen bei vielen neuen Abgeordneten so aus. Auch wenn Sensburg findet, dass dieses Einführen in die politische Gesellschaft manchmal ziemlich unübersichtlich abläuft: „Wenn ich mich mit einem Gesprächspartner konzentriert und ergebnisorientiert unterhalten möchte, funktioniert dies oft besser in kleinem Kreis.”
Manches wirkt noch etwas ungelenk, etwa wenn er von seinem Büro eine Pressemappe zusammenstellen lässt, in der sich Ausschnitte aus Lokalzeitungen finden: Berichte über eine Chinareise und den Antrittsbesuch beim Bischof. „Sensburg betonte, dass die Politik der nächsten Jahre auf Zukunft angelegt sein müsse”, heißt es in einem. Er will damit zeigen, wie sehr er sich kümmert um seine Region, dass ihm der Mittelstand wichtig ist, dass man ihn dort kennt, den stellvertretenden Bürgermeister seiner Heimatstadt Brilon, der ab 2004 die CDU-Fraktion im Rat führte. Kommunalpolitik kann er, das macht ihm Spaß. Und bei jemandem, der neben seinem Jura-Staatsexamen auch noch eine politikwissenschaftliche Magisterarbeit über Bürgerämter geschrieben hat, klingt das nicht nach einer Floskel. Begeistert erzählt er von Firmenbesuchen, bei denen ihm Hydraulikpumpen und Titanschmelzöfen vorgeführt werden. Was ihm die regionalen Unternehmer sagen, hat er sich zu eigen gemacht: „Unsere Mittelständler und Unternehmer wollen in erster Linie keine Subventionen, sondern weniger Bürokratie”, sagt er. Und dann ist er schnell bei Werten wie Freiheit und Verantwortung. Sagt, dass „die Wünsche nicht in den Himmel wachsen dürfen”, dass nicht jede Gemeinde ein Schwimmbad braucht.
Zu komplex sei das Steuersystem, es müsse einfacher gestaltet werden, solche Dinge sagte er, will seine Ideen aber nicht mit dem Wort „Bierdeckel” überschreiben.
Sensburg würde gern an diese konservativen und marktliberalen Positionen anknüpfen, ohne jedoch in Verdacht zu geraten, den erfahrenen Vorgänger nachzuahmen. Zumal er ähnlich zielstrebig ist: Mit 35 wird niemand Professor, der sich gerne ausruht. Einen Reformkonservativen nennt er sich. „Ich bin nicht der politische Ziehsohn von Friedrich Merz, und ich will auch nicht so wahrgenommen werden”, sagt Sensburg. Zugleich lenkt der prominente Vorgänger Aufmerksamkeit auf den Neuankömmling – und gibt bisweilen mal einen Rat per SMS oder kurzem Anruf. Schließlich besuchten schon die Väter Merz und Sensburg dieselbe Schule; man kennt sich seit Langem, man unterstützt sich. Als Merz 1989 für das Europaparlament kandidiert, klebt Sensburg Plakate. Als Sensburg 2009 in den Bundestag will, spricht Merz bei seinen Auftritten.
Kompliziertes einfach erklären, zum Schlagwort verdichten, was Merz beherrscht wie wenige, das traut sich Sensburg auch zu. Im Wahlkampf, bei seinem Vortrag vor dem CDU-Wirtschaftsrat in Arnsberg, spricht Sensburg von der „SED”, wenn er die Linkspartei meint und vor der rot-rotgrünen Gefahr warnt. Allerdings zünden seine Sprüche noch nicht so wie beim Vorgänger. Die älteren Herren im Publikum nicken zwar bei seinem Plädoyer gegen den Mindestlohn, doch Applaus gibt es nur zum Schluss, und der fällt eher höflich aus.
Mit 15 trat er in die Junge Union ein, damals, als Helmut Kohl regierte. In Brilon wurde heftig darum gestritten, ob hier Europas größtes Spanplattenwerk entstehen darf. Sensburg war dafür, wegen der Arbeitsplätze. Nach dem Abitur ging er zur Bundeswehr, wartete auf einen Studienplatz. Um die Zeit sinnvoll zu nutzen, absolvierte er den Offizierslehrgang; heute ist er einer von 34 Reservisten im Bundestag. Bewundernd spricht er vom „Kanzler der Einheit” und von dessen phänomenalem Gedächtnis: In den 90er-Jahren stand Kohl bei einer Veranstaltung vor der Europahalle in Trier draußen an einem Imbiss, einen Becher Kaffee in der Hand. „Wir kennen uns doch”, sagte er, als er Sensburg sah, und ergriff dessen Hand. Sie waren sich Monate zuvor einmal zufällig über den Weg gelaufen. Zwar sieht Sensburg sich nicht als Enkel des Altkanzlers, aber mit dessen Werten kann er viel anfangen, spricht im Wahlkampf von „christlicher Politik, orientiert an den Zehn Geboten”. Er sagt: „Ich bin genauso wirtschaftsliberal wie Merz, aber vielleicht noch etwas wertkonservativer.”
Merz bedeutet für Sensburg zweierlei: ein Schatten, aus dem es sich zu lösen gilt, und ein Scheinwerfer, der auf ihn, den Unbekannten, Licht wirft. Sensburg weiß das, und er versucht, damit zu spielen. Merz sprach in einem Interview einmal über seine vermeintlich wilde Jugend mit Motorrad und langen Haaren, ein Schulfreund gab jedoch später zu Protokoll, der Friedrich habe höchstens mal auf einem Moped gesessen. Deshalb erzählt Sensburg gern davon, dass er tatsächlich ein Motorrad besitzt, das er selbst repariert und heute noch fährt – wenn er nicht gerade an seinem Triumph Spitfire rumschraubt, seinem zweiten Hobby. Wo Merz jung und wild sein wollte, gibt Sensburg augenzwinkernd den Kenner.
Als er während des Wahlkampfs ins Konrad-Adenauer-Haus kommt, spricht ihn eine Mitarbeiterin von Angela Merkel an: Es gebe noch gar kein gemeinsames Foto von ihm und der Bundeskanzlerin, das müsse man ändern. Sensburg freut sich über die Gelegenheit, ein paar Worte mit der Kanzlerin zu wechseln, deren Humor er schätzt. Ob sie ihn nicht einmal besuchen wolle im Wahlkreis, fragt er. Man müsse schauen, ob es terminlich klappt, antwortet sie, die natürlich weiß, dass er der Merz-Nachfolger ist. Und dann folgt seine Pointe: Er würde sich freuen, wenn die Kanzlerin mit ihm im Hochsauerland wandern gehen würde. Wer die Anspielung verstehen will, muss wissen: Friedrich Merz, der zeitweilige Merkel-Kontrahent, war einst im Sommer 2008 mit dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle medienwirksam zu Fuß in seinem Wahlkreis unterwegs; danach wurde spekuliert, ob Merz zu den Liberalen wechselt.
Vom Vorgänger profitieren, die Kanzlerin unterstützen, die schwarz-gelbe Koalition mittragen, trotzdem ein eigenes Profil gewinnen, für Sensburg ist das eine Gratwanderung, die er mit solchen Anspielungen zu meistern versucht. Und indem er sich raushält. Über das gespannte Verhältnis von Merz und Merkel will er mit seinem Vorgänger nie gesprochen haben. „Ich schätze die Bundeskanzlerin. Und ich schätze Friedrich Merz”, sagt er, „ich habe beide nie nach ihrem gegenseitigen Verhältnis gefragt.” Äquidistanz hieß einst ein politisches Konzept der FDP, es meinte: gleichen Abstand zu CDU und SPD halten. Sensburgs Strategie im Umgang mit Merz und Merkel könnte man Äquinähe nennen. Auf seiner Internetseite lassen sich E-Cards versenden, zwei Motive stehen zur Auswahl: das gemeinsame Bild mit Merkel aus dem Wahlkampf – und ein gemeinsames Bild mit Merz
Text: Oliver Trenkamp
Erschienen am 17. Dezember
2009
Patrick Sensburg, geboren 1971, ist seit 2009 Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Der promovierte Jurist ist Professor an den Fachhochschulen des Bundes für öffentliche Verwaltung und an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen.