Nach Bekanntwerden der Niederlage der SPD bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen gibt Bundeskanzler Gerhard Schröder am Abend im Kanzleramt eine Erklärung ab. Darin heißt es: „Für die [...] Fortführung der Reformen halte ich eine klare Unterstützung durch eine Mehrheit der Deutschen gerade jetzt für erforderlich. Deshalb betrachte ich es [...] als meine Pflicht und Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass der Herr Bundespräsident von den Möglichkeiten des Grundgesetzes Gebrauch machen kann, um [...] Neuwahlen zum Deutschen Bundestag herbeizuführen.“
Nach einem Gespräch mit dem Bundespräsidenten teilt der Bundeskanzler mit, er werde im Deutschen Bundestag den Antrag nach Artikel 68 des Grundgesetzes stellen.
Der Bundeskanzler informiert offiziell den Ältestenrat des Deutschen Bundestages über seine Absicht, die Vertrauensfrage zu stellen. Das Gremium verständigt sich darüber, die Entscheidung über diesen Antrag für den 1. Juli auf die Tagesordnung zu nehmen.
Der Antrag des Bundeskanzlers geht fristgerecht beim Bundestag ein. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse lässt aus dem Wortlaut eine Drucksache erstellen und an die Abgeordneten verteilen. Dort steht: „Gemäß Artikel 68 des Grundgesetzes stelle ich den Antrag, mir das Vertrauen auszusprechen. Ich beabsichtige, vor der Abstimmung am Freitag, den 1. Juli 2005, hierzu eine Erklärung abzugeben.“
Im Rahmen einer Ministerrunde bespricht der Bundeskanzler mit den Mitgliedern seines Bundeskabinetts seine Überlegungen angesichts der Abstimmung über die Vertrauensfrage.
Der Regierungssprecher teilt mit, dass der Kanzler dem Bundespräsidenten auf dessen Wunsch hin ein Dossier mit weiteren Informationen über die verfassungsrechtliche Einschätzung und eine Dokumentation zur Durchsetzbarkeit der Regierungspolitik zugesandt hat. Zuvor hat der Bundespräsident auch mit Partei- und Fraktionsvertretern gesprochen.
Der Bundespräsident entscheidet, den Bundestag aufzulösen. Die Entscheidung gibt er in einer Fernsehansprache um 20.15 Uhr bekannt. Die Bundestagsabgeordneten Werner Schulz (Bündnis 90/Die Grünen) und Jelena Hoffmann (SPD) reichen einige Tage später gegen die Entscheidung Klage beim Bundesverfassungsgericht ein.
Mündliche Verhandlung vor dem Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe im Organstreitverfahren der Bundestagsabgeordneten Hoffmann und Schulz gegen den Bundespräsidenten. Streitgegenstand ist die Auflösungsentscheidung des Bundespräsidenten und die Anordnung der Bundestagswahl am 18. September 2005.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts weist die Organklage der Bundestagsabgeordneten Jelena Hoffmann und Werner Schulz zurück. Die Entscheidung des Bundespräsidenten ist nach Auffassung des Gerichts mit dem Grundgesetz vereinbar. Ein dem Zweck des Artikels 68 des Grundgesetzes widersprechender Gebrauch der Vertrauensfrage durch den Kanzler lasse sich nicht feststellen, heißt es in der Begründung. Am 18. September findet die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag statt.
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Erschienen am 27. August 2005