Immer wieder ein heißes Thema: die Diäten der Abgeordneten. Millioneneinkommen von Popstars und Fußballspielern sind okay. Aber wenn das Reizwort „Diätenerhöhung” fällt, geht es oft rund in Medien und an Stammtischen. Denn Diäten stammen aus Steuergeldern. Deshalb ist es auch so wichtig, genauer hinzuschauen und den Aufwand fair zu bewerten.
Stellen wir uns eine typische Begegnung mit
Menschen vor, die in der eigenen Stadt Einfluss haben. Sie werden
im Festzelt des Schützenvereins nacheinander
begrüßt. Der Bundestagsabgeordnete, der
Oberbürgermeister, der Sponsor des Vereins, ein
durchschnittlich erfolgreicher Geschäftsmann. Der
Mittelständler hält es wahrscheinlich für attraktiv,
Oberbürgermeister zu werden. Der Oberbürgermeister
könnte kalkulieren, dass er, wenn es in seiner politischen
Karriere optimal läuft, sogar Bundestagsabgeordneter werden
könnte. Was in solchen Zusammenhängen die wenigsten
ahnen: Im Gehältervergleich verschlechtert sich, wer auf
dieser Skala vorankommt und letztlich sogar den Sprung in den
Bundestag schafft.
Das erste Problem bei den Diäten ist der Maßstab.
Welchen Beruf zur Orientierung heranziehen? 41.405 Euro sind die
Bruttojahresverdienste im produzierenden Gewerbe, Handel, Kreditund
Versicherungsgewerbe (Statistisches Bundesamt, Stand 2006). Doch
darin stecken sowohl die Arbeiterinnen im Wirtschaftszweig
„Herstellung von Holzwaren” in den neuen
Bundesländern mit 12.254 Euro pro Jahr als auch die
Angestellten, die im Westen der Republik Tabakwaren herstellen und
dafür 76.843 Euro bekommen. Woran also orientieren? Und wenn
man doch den Durchschnitt nimmt: Darf man ihn auf die Stunde
runter- und dann auf die typische Arbeitswoche des Abgeordneten
wieder hochrechnen? Statt 38,5 oder 40 Stunden haben die meisten
Abgeordneten 80-, 90-, manchmal 120-Stunden-Wochen. Das
durchgerechnet nur mit dem gerade ermittelten
Durchschnittsstundenverdienst liefe auf Monatsgehälter um die
10.000 Euro hinaus. Was also ist „angemessen”? So wie
es das Grundgesetz in Artikel 48 Absatz 3 vorschreibt: „Die
Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre
Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.”
Einer seit Ende der 50er Jahre praktizierten Kopplung der
Abgeordnetendiäten an die Entwicklung der öffentlichen
Besoldung schob das Bundesverfassungsgericht 1975 einen Riegel vor:
Die Diäten dürften nicht an Automatismen gekoppelt
werden. Die Abgeordneten müssten jede Veränderung in der
Höhe der Entschädigung im Plenum diskutieren und vor den
Augen der Öffentlichkeit darüber entscheiden. Damit
stellten die Verfassungsrichter klar: Die Festlegung der
Abgeordnetenvergütung muss mit größtmöglicher
Transparenz geschehen. Wer dem Bundestag also vorwirft, einem Hang
zur „Selbstbedienung” zu erliegen, darf nicht
vergessen, dass der Bundestag durch die Verfassung angehalten ist,
die Festlegung der Diäten selbst vorzunehmen und nicht in
andere Hände zu legen. Die Folge: Die Abgeordneten des
Bundestages diskutieren und bestimmen so transparent wie kein
anderer Berufsstand ihre Gehälter vor aller
Öffentlichkeit. Die Folge ist das Gegenteil dessen, was dem
Bundestag immer unterstellt wird: Statt einen „Schluck aus
der Pulle” zu nehmen, stellt er die Flasche aus Furcht vor
dem negativen öffentlichen Echo immer wieder beiseite. In 30
Jahren gab es dreizehn Nullrunden. Vor den jüngsten Anhebungen
zum 1. Januar 2008 und 1. Januar 2009 war die letzte Anpassung
fünf Jahre zuvor, nämlich 2003, erfolgt.
Diätenentwicklung: Bezugsgrößen nie erreicht
Auch unabhängige Expertenkommissionen
haben den Versuch unternommen, die Vorgaben des
Verfassungsgerichtes umzurechnen. Was heißt es, wenn den
Abgeordneten eine „der Bedeutung des Amtes angemessene”
Lebensführung ermöglicht werden soll? Eine
Entschädigung, die einerseits ihre Unabhängigkeit
sichert, gleichzeitig aber auch der mit dem Amt verbundenen
Verantwortung und Belastung und dem Rang des Mandats im
Verfassungsgefüge gerecht werden soll?
Als Ergebnis dieser Beratungen legt § 11 Absatz 1 des
Abgeordnetengesetzes seit 1995 als gesetzliche
Bezugsgröße für eine angemessene
Abgeordnetenentschädigung Richter- und Beamtenbezüge der
Besoldungsstufen R6 und B6 fest. Das entspricht dem, was
Bürgermeister kleiner Städte und Gemeinden mit 50.000 bis
100.000 Einwohnern erhalten beziehungsweise einfache Richter bei
einem obersten Gerichtshof des Bundes. Schon Mitte der 70er-Jahre
war dies als Maßstab vorgeschlagen worden, weil diese
Amtsinhaber als Richtgröße mit ähnlicher
Verantwortung und Belastung angesehen werden: Bürgermeister
sind kommunale Wahlbeamte auf Zeit, Bundesrichter sind
weisungsunabhängig und nur Recht und Gesetz verpflichtet,
Abgeordnete vertreten Wahlkreise mit 160.000 bis 250.000
Wahlberechtigten. Aber die Richtgröße der
Besoldungsstufen R6 und B6 haben die Diäten bisher nie
erreicht. Zuletzt lagen sie über zwölf Prozent darunter.
Bei Berücksichtigung der Jahressonderzahlung sogar noch
mehr.
Die große Koalition schnürte Ende 2007 ein Paket, um in
Zeiten allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs und steigender
Löhne und Gehälter die Annäherung anzugehen und
gleichzeitig oft geäußerten Erwartungen nach einer
Reform der Altersbezüge entgegenzukommen. Die Abgeordneten
erhalten 330 Euro mehr ab 1. Januar 2008 und noch einmal 329 Euro
mehr ab 1. Januar 2009. Die Entwicklung in absoluten Zahlen: 7.009
Euro — 7.339 Euro — 7.668 Euro. Das entspricht
Steigerungssätzen von 4,7 und 4,48 Prozent und damit auch der
voraussichtlichen Steigerung durchschnittlicher Erwerbseinkommen.
Bezogen auf die Jahre 2003 bis 2009 sind es jeweils 1,5
Prozent.
Gleichzeitig ging die Bundestagsmehrheit von
Union und SPD an die Altersversorgung. Bis 1995 hatte diese vier
Prozent der Abgeordnetenentschädigung pro Jahr der
Mitgliedschaft im Bundestag betragen, war damals auf drei Prozent
gesenkt worden und wurde nunmehr nochmals auf zweieinhalb Prozent
verringert. Weitere Komponenten führen zu weiteren
Einsparungen: Der Höchstsatz der Altersentschädigung
(jetzt 67,5 Prozent statt bisher 69 Prozent) wird nicht mehr nach
23 Mandatsjahren, sondern erst nach 27 Jahren Mitgliedschaft im
Parlament erreicht. Zudem erlegten die Abgeordneten auch sich
selbst die „Rente mit 67” auf, indem sie stufenweise
die Regelaltersgrenze vom 65. auf das 67. Lebensjahr anhoben.
Die Folgen lassen sich in Euro und Cent ausrechnen. Hätte der
Bundestag bei der Altersversorgung alles beim Alten gelassen,
wäre nach der Gesetzeslage bis 1995 ein Abgeordneter nach
zehnjähriger Parlamentszugehörigkeit im Alter heute mit
2.693,09 Euro versorgt worden. Nach der seinerzeitigen
Änderung verringerte sich der Anspruch auf 2.102,70 Euro. Nun
kann er sich auf 1.917 Euro einstellen — muss sich aber
bestimmte andere Bezüge darauf anrechnen lassen. 1.917 statt
2.693 Euro — diese Gegenüberstellung zeigt, wie sehr der
Bundestag dabei ist, die Vollversorgung seiner Abgeordneten in eine
Teilversorgung zu verändern.
Dazu gehört auch, dass die Mindestzugehörigkeit zum
Bundestag, durch die Versorgungsanwartschaften begründet
werden, von vier auf ein Jahr abgesenkt wurde. Denn damit wird dem
Anreiz entgegengewirkt, auch aus Gründen der
Versorgungsanwartschaften eine Wiederwahl anzustreben. Hinzu kommt,
dass die wenigsten Abgeordneten die in den Medien gehandelten
Beträge auch erreichen. Die durchschnittliche
Zugehörigkeitsdauer aller Abgeordneten zum Bundestag lag am
Ende der 15. Wahlperiode bei 9,6 Jahren. Die Höchstversorgung
nach 27 Mitgliedsjahren erreichen nach aktuellem Stand nicht einmal
vier Prozent der 612 Abgeordneten.
Umgerechnet: Was kosten uns die
Abgeordneten?
Was kosten die Abgeordnetenentschädigungen nun den
Bürger? 68 Cent pro Jahr, wenn 2009 der vorläufige
Höchststand erreicht ist. Der Mittelwert aller
EU-Mitgliedsstaaten für die Diäten in den jeweiligen
Ländern liegt übrigens bei 1,83 Euro.
Die klassischen Diäten müssen ganz normal versteuert
werden. Amtsbezüge, zum Beispiel als Minister oder
Staatssekretär, werden auf die Diäten zu einem
großen Teil angerechnet, ebenso eventuelle
Versorgungsleistungen oder Renten. Hinzu kommt die Übernahme
von Kosten im Krankheitsfall, entweder als Zuschuss zu den Kranken-
und Pflegeversicherungsbeiträgen oder zu den tatsächlich
entstandenen Krankheitskosten.
Damit niemand fürchten muss, nach dem Ausscheiden aus dem
Bundestag plötzlich ins Nichts zu fallen, gibt es ein —
ebenfalls steuerpflichtiges — Übergangsgeld: Pro Jahr
der Parlamentszugehörigkeit eine Monatsentschädigung, auf
die ab dem zweiten Monat alle sonstigen Einkünfte angerechnet
werden. Und wer nach 18 Monaten immer noch nicht wieder Fuß
gefasst hat, kann den Bundestag nicht mehr in Anspruch nehmen, auch
wer ihm länger als 18 Jahre angehört hat.
Die Zukunft: Vorschläge aus allen
Fraktionen
Wie geht es weiter? Union und SPD haben sich darauf
verständigt, die Bezugsgrößen der Besoldungsstufen
R6 und B6 nicht wieder aus den Augen zu verlieren, sondern
regelmäßige Anpassungen jeweils durch eine
Gesetzesänderung nachzuvollziehen, frühestens wieder
2010. Damit wollen sie den Expertenempfehlungen folgen und
gleichzeitig die Vorgaben des Verfassungsgerichtes
erfüllen.
Die Oppositionsfraktionen haben andere Konzepte entwickelt und dazu
eigene Anträge eingebracht: Die FDP will das System der
regelmäßigen Festsetzungen ändern, um den Eindruck
der „Selbstbedienung” auf Dauer zu beseitigen. Nach
ihren Vorstellungen soll eine unabhängige Kommission die
Diäten festlegen. Damit das möglich ist, will die FDP die
Verfassung ändern und verspricht sich davon eine höhere
Akzeptanz.
Die Linke hält die Absenkung der Altersversorgung angesichts
der gleichzeitigen Anhebung der Abgeordnetenentschädigung
nicht für ausreichend. Sie schlägt stattdessen vor, eine
allgemeine Bürgerversicherung einzuführen, der dann auch
die Abgeordneten beitreten sollten. Bündnis 90/Die Grünen
sehen die Lösung in einem eigenen Versorgungswerk des
Bundestages, aus dem künftig die Altersversorgungsleistungen
für ehemalige Abgeordnete bestritten werden könnten. Das
Versorgungswerk sei offen für eine Weiterentwicklung Richtung
Renten-Bürgerversicherung.
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Text: Gregor Mayntz
Aktualisiert am 7. Juli 2008
Diäten
Informationen zu den Entschädigungen der Abgeordneten im
Internet:
» www.bundestag.de/mdb/mdb_diaeten