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Gültig ab: 01.02.2005 00:00
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Fakten ein Gesicht geben

Bild: Wolf Biermann steht im Plenarsaal und trägt das Gedicht vor.
Wolf Biermann trägt im Plenarsaal ein Gedicht des jüdischen Dichters Jizchak Katzenelson vor.

Jugendbegegnung zum Holocaust-Gedenken

Vier Tage haben Jugendliche darüber debattiert, wie Erinnerungsarbeit heute aussehen sollte. Bei hitzigen Diskussionen während der Internationalen Jugendbegegnung anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus entstanden viele neue Ideen für die Gedenkstättenarbeit.

Dafür nahmen die 92 Jugendlichen aus Deutschland und dem benachbarten Ausland Berliner Gedenkorte genau unter die Lupe. In kleinen Gruppen besuchten sie unter anderem das Haus der Wannsee-Konferenz, das Zwangsarbeiterlager Berlin-Schöneweide, das Jüdische Museum und die Blindenwerkstatt Otto Weidt. Vor Ort sprachen sie mit Mitarbeitern, interviewten Zeitzeugen und sammelten Eindrücke.

Differenzierter Blickwinkel

Tief bewegt zeigte sich die Gruppe, die beim Internationalen Auschwitz-Komitee eine Zeitzeugin befragen konnte. „Es hat uns sehr beeindruckt, dass sich die Opfer des Nationalsozialismus dennoch einen differenzierten Blickwinkel auf Deutschland bewahrt haben“, berichtet die 18-jährige Corinna Kulenkamp. Auch das Team um Oliver Unger lernte einen Zeitzeugen kennen. Paul Niedermann, der 1940 in ein Internierungslager nach Südfrankreich deportiert wurde, traf sich zum Gespräch mit den Jugendlichen im Fernsehstudio des Bundestags. Oliver Unger findet den Austausch mit Überlebenden des Holocausts sehr wichtig. „Für uns liegt diese Zeit zu weit zurück. Durch Zeitzeugen erhalten die trockenen Fakten ein Gesicht.“

Am 27. Januar nahmen die Jugendlichen an der Gedenkstunde des Bundestages teil. Dort sprach Bundestagspräsident Wolfgang Thierse davon, dass wieder Neonazis in einem deutschen Parlament säßen. „Wir dürfen denen unsere Sprache und unsere Plätze nicht überlassen. Wir dürfen nicht schweigen“, betonte Thierse. Sehr bewegt waren die Jugendlichen von der Gedenkrede Arno Lustigers, eines Überlebenden mehrerer Konzentrationslager. „Die Wege der Erinnerung sind schwierig, aber solange wir leben, sollten wir sie alle in unserem Gedächtnis behalten“, sagte Lustiger.

Der Liedermacher und Schriftsteller Wolf Biermann zog die Jugendlichen mit Stücken von Jizchak Katzenelsons „Großem Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk“ in seinen Bann. Anschließend trafen sich die Jugendlichen mit Thierse, Lustiger und Biermann unter der Moderation von Gesine Schwan zur Diskussion über die erarbeiteten Ratschläge.

Gedenkstätten sollen interaktiver werden

„Wissen durch Erleben“, fordern die Jugendlichen. Sie schlagen vor, die Angebote der Erinnerungsarbeit zu überarbeiten. „Gedenkstätten sollten interaktiver werden und brauchen einen aktuellen Bezug“, erklärten die Jugendlichen. Sie kritisierten vor allem auch die Informationsflut an den Gedenkorten. Statt trockener Fakten wünschen sie sich mehr persönliche Eindrücke anhand von Biografien und Dokumentationen über Einzelschicksale.

Auch beim Geschichtsunterricht sieht Nele Achten Verbesserungsbedarf. Die Schüler werden zu spät über die Zeit des Nationalsozialismus informiert, findet die 17-Jährige. „Ich habe das selbst erst vor einem Jahr richtig verstanden.“ Ebenso erfordere die Tatsache, dass es irgendwann keine Zeitzeugen mehr geben wird, neue Formen der Erinnerungsarbeit. Sie wollen sich mit der Vergangenheit auseinander setzen und für die Zukunft lernen.

Wolfgang Thierse ermutigte den Nachwuchs, diese Ideen weiter durchzusetzen und nahm auch gleich eine davon in Angriff. Die Jugendlichen wurden beauftragt, eine Wanderausstellung für die anderen Opfergruppen des Nationalsozialismus – Sinti und Roma, Homosexuelle und Zwangsarbeiter – zu konzipieren. Auf jeden Fall ein Anfang, finden die jungen Geschichtswissenschaftler.

Neue Einblicke in die Geschichte des Holocausts

„Viele Anregungen zum Nach- und Weiterdenken“, lautet Alexander Denzels Fazit zu den Begegnungstagen. Der Geschichtsstudent befasst sich sehr intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus. „Es gibt so viele authentische Orte, die die Geschichte viel greifbarer machen“, erklärt der 25-Jährige. Durch den Austausch mit anderen Jugendlichen bekam er viele neue Einblicke in die Geschichte des Holocausts.

Vier Tage voller kontroverser Diskussionen und hitziger Debatten über das Thema Erinnerungsarbeit. Und vier Tage voller ermutigender Erlebnisse, angesichts so großen Interesses, Engagements und großer Leidenschaft unter Jugendlichen.

Text: Lydia Harder
Foto: picture-alliance
Erschienen am 01. Februar 2005

Weitere Informationen unter: www.mitmischen.de/jugendbegegnung2005


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