KARL-HEINZ DAEHRE
Der Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt fordert mehr Mitspracherecht der Länder bei der Bahnprivatisierung
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) ist nicht glücklich mit seinen Kollegen aus den Ländern. Obwohl er gesagt hat, in Sachen Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG (DB AG) würden Bund und Länder an einem Strang ziehen, haben die Länder einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Das hat ihn überrascht.
Das kann ihn eigentlich nicht richtig erstaunt haben, denn das ist einstimmig von den Verkehrsministern der Länder beschlossen worden. Es war klar: Wenn es zu keiner Annäherung mit der Bundesregierung kommt, dann ist es unser Auftrag, den Gesetzentwurf einzubringen.
Sind die Länder denn generell gegen den geplanten Börsengang und die Neuorganisation der Bahn?
Nein. Das muss noch einmal klar gesagt werden: Die Länder sind nicht gegen eine Teilprivatisierung. Es ging immer darum, dass wir ein Mitspracherecht haben wollten. Unser Thema ist die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Wir möchten darin sicherstellen, dass auch in Zukunft in der Fläche ein attraktiver und gut ausgebauter Nahverkehr stattfinden kann. Wir haben heute in Deutschland zu viele Langsamfahrstrecken, auf denen nur mit einer Geschwindigkeit von 30 oder 40 Stundenkilometern gefahren werden kann - das kann man doch im 21. Jahrhundert niemandem mehr zumuten. Wir möchten, dass diese Strecken in der Zukunft ausgebaut werden, damit wir den Verkehr in der Fläche halten.
Warum ist das auf dem am 30. Mai im Bundestag eingeschlagenen Weg nicht möglich?
Unsere Sorge ist, dass künftig wegen der Rendite nur noch in die attraktiven Strecken investiert wird. Wir verstehen nicht, warum wir nicht festschreiben können, dass genau das nicht passieren soll. Dies ist ein wesentliches Element der Auseinandersetzung. Das ist aber keine Entwicklung der letzten Wochen. Wir hatten schon einmal einen Gesetzentwurf der Bundesregierung, und im Oktober letzten Jahres hat der Bundesrat einstimmig das verabschiedet, was die Verkehrsminister der Länder zu diesem Entwurf beschlossen haben. Dann hieß es auf einmal, alles solle über einen Initiativantrag geregelt werden - und darin tauchen wir nur noch in einer Formulierung auf: Bei den Regelungen zu Qualitätsparametern und Berichtspflichten ist "das Benehmen mit den Ländern herzustellen". Das heißt, dass man ihnen zwar zuhört, aber sie nicht zwangsläufig mitentscheiden lässt. Das ist uns zu wenig.
Theoretisch könnte man doch aber Ihre Forderungen in den geplanten Beteiligungsvertrag zwischen Bund und DB AG hineinschreiben.
Wir wollen bei der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung eine für die Länder belastbare Garantie dafür haben, wie viel Prozent der eingespielten Erlöse in den Nahverkehr gehen, damit wir am Ende nicht den "schwarzen Peter" bekommen. Die Länder bestellen den Nahverkehr und können ihn auch abbestellen. Dann heißt es nur, die Länder haben ihn abbestellt - aber wenn die Fahrgastzahlen zu niedrig sind, weil die Qualitätsparameter für die Schienen zu schlecht sind, fährt auch niemand mit der Bahn. Davon sind besonders die Flächenländer betroffen.
Was beinhaltet das von Ihnen geforderte Fernverkehrssicherstellungsgesetz noch?
Wir möchten, dass der Fernverkehr weiterhin in der bisherigen Qualität beibehalten wird. Wir haben mit dem Sommerfahrplan schon erleben müssen, dass einige Strecken gestrichen worden sind. Das bedeutet für die Länder, dass sie in diesen Fällen ersatzweise Nahverkehr bestellen müssen.
Das bedeutet?
Wir haben aber dafür nicht plötzlich mehr Geld. Das bedeutet, dass wir Gelder vom Nah- für den Fernverkehr nehmen und andere Strecken abbestellen müssen. Wenn wir den Fernverkehr durch den Regionalverkehr ersetzen müssen, haben wir in der Fläche immer weniger Strecken.
Was würde das etwa in Ihrem Bundesland konkret bedeuten?
Wir gehen davon aus, dass wir in Sachsen-Anhalt im Nahverkehr langfristig etwa 30 Prozent der Strecken streichen müssten. Diese Befürchtungen könnten ausgeräumt werden, wenn wir mit der Bundesregierung zu einer gesetzlichen Vereinbarung kommen würden, in der ein Investitionsplan festgelegt würde, ähnlich wie im Bundesverkehrswegeplan. Da wissen die Länder auch, wann welche Straße gebaut werden muss - so etwas brauchen wir für die Schiene.
Aber wenn doch immer weniger Menschen den Nahverkehr nutzen...
Auch wenn es uns momentan vordergründig um den Nahverkehr geht, dürfen wir eines nicht vergessen: Wenn wir den Nahverkehr abbestellen, werden die Kosten für den Güterverkehr auf die zu transportierenden Produkte umgelegt. Dann wird der Güterverkehr teurer, und es dauert nur noch einige Jahre, bis auch niemand mehr den Güterverkehr nutzt. Deshalb halten wir in Sachsen-Anhalt schon wegen der große Bedeutung des Güterverkehrs für unser Land so lange wie möglich am Regionalverkehr fest, obwohl es die Ein- und Aussteigerzahlen schon gar nicht mehr hergeben. Wenn es bei den hohen Benzinpreisen bleibt, werden die sich zwangsläufig wieder erhöhen und wir werden noch froh sein, wenn wir den Nahverkehr haben.
Hat der Bund sich bislang genug darum gekümmert, dass die Bahn zum Wohl der Allgemeinheit betrieben wird?
Wir müssen feststellen, dass in die Schiene - sowohl noch in der ehemaligen DDR als auch in den alten Bundesländern - in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel zu wenig investiert wurde. Da hat die Bahn in jüngerer Zeit bereits eine ganze Menge getan, und wir stehen im europäischen Maßstab gut da. Trotzdem werden heute im Nahverkehr Qualitätsparameter angesetzt, die vor 20 Jahren üblich waren. Es kann doch nicht sein, dass man sich nur darauf konzentriert, so schnell wie möglich von Paris nach Berlin zu kommen und in der Fläche mit der Bimmelbahn fährt.
Die Regierung sprach einmal von 8 Milliarden Euro, Experten erwarten nicht mehr als 3 bis 4 Milliarden Euro: Wie viel Geld soll der Verkauf nun tatsächlich bringen?
Wenn ich das wüsste, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr Verkehrsminister von Sachsen-Anhalt, sondern könnte als Wahrsager im Fernsehen auftreten. Ich denke, es wird sich irgendwo zwischen diesen beiden Schätzungen einpendeln. Aber auf alle Fälle wird es mehr Geld geben, als wir im Moment haben - das ist positiv. In dem Zusammenhang wird immer nur über das Thema Infrastruktur gesprochen, aber die Länder brauchen das Geld auch für die Sanierung von Bahnhöfen. Da geht es nicht nur um einige Vorzeigebahnhöfe, sondern auch wieder um die Fläche. Es gibt viele Bahnhöfe, die unter Denkmalschutz stehen, die aber verfallen - auch darum müssen wir uns kümmern und dafür brauchen wir Geld.
In der Diskussion wurden immer wieder Stimmen laut, die Pläne zur Privatisierung seien verfassungswidrig. Der Bund soll aber Besitzer der Infrastruktur bleiben. Ist der Vorwurf vom Tisch?
Meines Erachtens ja, ich gehe jedoch davon aus, dass sich Juristen finden werden, die dies gerichtlich überprüfen lassen. Ich denke aber, dass das Ganze nicht kippen wird -wir sind alle angetreten, um das Projekt zum Erfolg zu bringen. Da sitzen wir alle in einem Zug. Aber wenn die Länder mit im Zug sind, wollen sie auch mitbestimmen - so war es ja auch Konsens bis Oktober vergangenen Jahres. Uns bleibt deshalb jetzt nur, den Druck so zu erhöhen, dass die Länder doch noch stärker in die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung einbezogen werden.
Gehen Sie davon aus, dass Ihnen das gelingt?
Ja.
Das Interview führte Susanne Kailitz.