Heute ist wieder so ein Tag, an dem sie sich um ihre Achse dreht - wie beim Ballett. "Mein Laptop streikt", sagt sie zur Bürohilfskraft, wendet sich im gleichen Atemzug um 45 Grad zur Mitarbeiterin für die Terminabsprache und, mit einem gleichzeitigen weiteren Halbkreis zu einem dritten Kollegen: "Hast Du meinen Kalender gesehen?" Willkommen im ganz normalen Chaos im Berliner Jakob-Kaiser-Haus. Die Arbeitsräume der Viola von Cramon-Taubadel belaufen sich auf etwa 15 Quadratmeter, die sich die neu in den Bundestag gewählte Grünen-Abgeordnete mit ihren drei Kollegen teilt. Vorläufig, wie es heißt, wohl bis Februar.
Nein, noch läuft nicht alles rund, "ich muss unbedingt mein Fahrrad nach Berlin holen", sagt die 39-Jährige. Heute Morgen wollte sie es von ihrer gestern bezogenen Wohnung mal mit der Tram zum Reichstag versuchen, doch die fiel aus. Den Schienenersatzverkehr fand sie nicht, und wurde schließlich von ihm während ihres Fußweges überholt - willkommen in Berlin, das etwas größer geraten ist als das 1200-Seelen-Dörfchen Waake bei Göttin-gen, in dem sie mit ihrem Mann und ihren vier Kindern lebt.
"Großstadtleben ist für mich nichts Neues, Leben auf dem Lande bedeutet nicht automatisch provinzielles Denken", sagt von Cramon-Taubadel. Die Agrarwissenschaftlerin hat in mehreren Ländern Osteuropas gelebt, in den USA und in China. Im Bundestag indes wird sie nicht zu landwirtschaftlichen Themen arbeiten, "bei so viel Agrarkompetenz in der Fraktion bin ich froh, problemlos in der Europa- und Außenpolitik arbeiten zu können". Ihr Arbeitsgebiet erstreckt sich einer Banane gleich von der Ukraine über den Zentralkaukasus bis nach China. Mag es mit dem Ankommen im neuen Job noch etwas haken, die Begeisterung indes dafür ist längst da. "In China könnte man durch prag-matisches Herangehen viel in der Umweltpolitik bewegen, das ist enorm", strahlt sie und reißt die Augen weit auf. Klein werden sie im nächsten Moment, als sie Merkels Empfang des Dalai Lamas im Kanzleramt 2007 als "ungeschickt" brandmarkt und die Russlandpolitik Gerhard Schröders als "einseitig und beschränkt" geißelt. Sigmar Gabriel, der aus ihrem Wahlkreis Goslar-Osterode-Northeim entstammt, sei ein "Schaumschläger", der als Umweltminister weit hinter den Erwartungen zurück geblieben sei. Opposition kann sie. Doch eigentlich wolle sie gestalten. Mithelfen, um eine Integration der Staaten Europas mit ihren Nachbarn auf einer ökologischen Grundlage voranzubringen. Dafür hört sie erstmal zu. Konzentriert lauscht von Cramon-Taubadel den neuen Kollegen, ihren weißen Hemdkragen oft aufgestellt und die Ärmel umgekrempelt. Ja, sie freue sich über die vielen neuen Eindrücke und die Infrastruktur, die ihr effizientes Arbeiten ermöglichen würde. Und sie lacht über Fragen rund um die Verköstigung der Bundesabgeordneten: Wie viele Kilos bist du schon im Bundestag?
Einen Schreibtisch hat von Cramon-Taubadel noch nicht, aber einen Plan. "Ich will mich im Wahlkreis reinhängen, so richtig bekannt bin ich da ja noch nicht." Ihre Kandidatur für den Bundestag verdankt sie, so sagen Parteigrößen, weniger ihrer noch bescheidenen Vernetzung bei den Grünen als ihrer Fachkompetenz und ihrem zupackenden Auftritt. Dennoch wurde es knapp. Platz sieben auf der niedersächsischen Landesliste, das schien unmöglich; waren 2005 doch nur fünf Grüne aus dem Land ins Bundesparlament gezogen. Es wurden diesmal genau sieben. "Wir hatten in der Wahlnacht am Ende den Laptop ans Bett gestellt, um 4:30 Uhr schließlich weckte mich mein Mann und sagte: ‚Hey, Du bist dabei'."
Seitdem nehmen die Pirouetten um ihre Achse nicht ab: Morgens muss ein Referent für den Sportausschuss angestellt werden. Mittags steht ein Essen mit Vertretern des American-Jewish Committee an und abends ein Treffen mit Abgesandten der Evangelischen Kirche. Dazwischen Telefonate und Briefings. Allein mit Drehungen kommt man da kaum weiter. Sie war früher einmal Leichtathletin, lief oft die Mittelstrecken. Ihre Erfahrungen von damals wird sie für ihren neuen Job wieder erwecken müssen - nicht nur für den Gang zum Büro.