Politik und Medien
Eine Studie untersucht den Einfluss der DDR auf die westdeutschen Gegner der Springer-Presse
Kaum ein anderes Feindbild der 68er-Protest-Generation hat sich bis heute so frisch erhalten wie die Springer-Presse. Die Parole "Enteignet Springer" ist legendär. Noch immer tragen insbesondere linke Intellektuelle dem Verlag dessen aggressive Propaganda gegen die Studentenbewegung nach. Zuletzt sagten prominente Vertreter der 68er ein vom Axel Springer Verlag zur Aufarbeitung des alten Streits geplantes Treffen öffentlichkeitswirksam ab. Im Vorfeld glaubte man, selbstgerechte Töne auf der Gegenseite wahrgenommen zu haben.
Die Wogen werden durch eine soeben veröffentlichte Studie, die auf Anregung von Marianne Birthler in einer Kooperation der Axel Springer AG mit der Freien Universität Berlin entstand, wohl nicht geglättet. Denn nach den Recherchen der Forscher vom SED-Forschungsverbund der FU mischte der Staatssicherheitsdienst der DDR bei der Anti-Springer-Kampagne kräftig mit. Ein alter Vorwurf von konservativer Seite scheint sich somit als wahr herauszustellen. Es sieht ganz so aus, als sei der Anti-Springer-Affekt der Studentenbewegung von der DDR geschürt worden. Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht selbst war nach den Erkenntnissen der Forscher der Erfinder der "Enteignet Springer"-Kampagne.
Die propagandistische Macht des antikommunistischen Verlags sollte unbedingt gebrochen werden. Dazu trug man unzählige Informationen zusammen. Bis in die Konzernzentrale hinein verfügte die Stasi über Informanten. Man schöpfte nicht nur erfolgreich eine Vorstandssekretärin ab, sondern wertete sämtliche Telefonate im West-Berliner Telefonnetz aus. 27 Springer-Mitarbeiter standen unter ständiger Beobachtung. Im Umfeld des Verlages konnten zahlreiche Spitzel angeworben werden. Wirklichen Einfluss konnte die DDR bei Springer jedoch nie gewinnen.
Die von den Autoren der Studie stark herausgestellte DDR-Kampagne erschöpft sich in einem kostspieligen Mammut-Fernsehfilm über das Leben Axel Springers. In fünf Teilen von insgesamt mehr als 600 Minuten Länge wurde zwischen 1968 und 1970 eine Räuberpistole aus Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen erzählt. Die Produktion fand selbst in der DDR kein wirklich interessiertes Publikum und verschwand gleich wieder auf Nimmerwiedersehen im Fundus des Staatsfernsehens.
Zudem gab es einen Versuch, eine Ost-Antwort auf die "Bild"-Zeitung zu etablieren, der ebenfalls nicht einschlug und schnell beendet wurde. Und auch Versuche, ein Zeitungsprojekt von Springer-Antipoden wie Rudolf Augstein in West-Berlin personell zu unterwandern, schlugen fehl, da es nicht realisiert wurde.
Im Dunstkreis der arrivierten Springer-Gegner fanden die Autoren zahlreiche personelle Verflechtungen mit der DDR, jedoch auch hier nur wenige tragfähige Beweise für den Erfolg östlicher Propaganda. Ein klärenswerter Fall bleibt die Zusammenarbeit des "Stern" mit DDR-Vertretern bei der öffentlichen Demontage von Heinrich Lübke als mutmaßlichem KZ-Planer. Als Beweis für eine erfolgreiche Beeinflussung der 68er durch die DDR reicht das aber alles nicht. Das wird in einem Nebensatz auch zugegeben. Breiten Raum nehmen die Theoriegebäude der 68er ein. Dass Springer die Studenten vice versa als Feindbild betrachtete, wird nur beiläufig erwähnt.
Analytisch fehlt der Studie gelegentlich der Tiefgang. Der Journalist Paul Karl Schmidt wird als "Zielscheibe der DDR" zum Opfer stilisiert. Schmidt sei bei der Entnazifizierung als Mitläufer entlastet worden. Dass diese Entlastung auf dubiose Weise erfolgte, bleibt unerwähnt. Springers Plazet, minder belastete Nazis seien verlässliche Antikommunisten, wird folgerichtig nicht kritisch hinterfragt.
SS-Mann Schmidt hatte sich als Pressechef Ribbentrops unter anderem durch menschenverachtende Äußerungen über Juden hervorgetan. Bevor er zu Springer kam, reüssierte er schon bei "Zeit" und "Spiegel", dort unter anderem mit der Alleintäterthese zum Reichstagsbrand.
Eine Karriere wie diese war natürlich gefundenes Fressen für die DDR-Propaganda und ihren aufgesetzten Antifaschismus. Für die Autoren ist ein wenig zu klar, dass der "West-Linken oder der SED" durch solche Fälle "alle ihre Thesen von personellen Kontinuitäten des Dritten Reichs in der Bundesrepublik bestätigt" worden seien. Eigentlich erzwingt die Heuchelei um das Mitläufertum den direkten Vergleich mit den Entschuldigungen der SED-Chargen. Doch statt die Täter beider Diktaturen gleich kritisch zu betrachten, wird ausgerechnet dem Völkermord-Apologeten verminderte Schuld zugestanden. Ehemaligen Stasi-Agenten soll Nachsicht nicht gewährt werden, deuten die Autoren in einem anderen Kontext an. Das könnte schnell als ideologische Positionierung missverstanden werden. Alles spricht aber für ein redaktionelles Problem. Die Studie wurde wohl recht schnell gestrickt, ihr fehlt der rote Faden. Betrachtet man die Arbeit als den Beginn einer umfassenden Auseinandersetzung mit der deutschen Presse im Kalten Krieg, ist sie aber höchst inspirierend.
Feind-Bild Springer. Ein Verlag und seine Gegner.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009; 328 S., 19,90 ¤