FINANZHILFE
Trotz Konjunkturspritze aus Berlin müssen die Kommunen sparen
Es zieht und es ist kalt. An regnerischen Tagen stellen die Mitarbeiter des Gelsenkirchener Jugendheimes Friedrich-Ebert Eimer auf: Das Wasser tropft von der Decke. "Im nächsten Jahr wird alles schöner", sagt die Leiterin Bärbel Rakowski. Denn dies könnte der letzte ungemütliche Winter in dem fast fünf Jahrzehnte alten Flachbau sein: Das 550 Quadratmeter große Dach wird demontiert und neu gedämmt. Die vielen Schüler, die in dem Flachbau nachmittags lernen und auch die Sportler und Bastler in den Abendkursen profitieren vom Konjunkturpaket II: Die rund 120.000 Euro teuren Bauarbeiten werden mit dem Hilfspaket des Bundes - besser als Konjunkturpaket II bekannt - bezahlt, das der Bundestag im Februar verabschiedet hatte. Von den 50 Milliarden Euro des Programms flossen 10 Milliarden Euro in Investitionsprogramme von Städten und Gemeinden. Das Programm hat Klassenräume und Jugendheime auf einen Schlag schneller verändert als jedes andere Programm zuvor.
Bis Jahresende sind laut Bundesfinanzministerium die Gelder aus dem erst im Februar verabschiedeten Paket schon zu drei Vierteln verplant. Schon Mitte November waren 7,36 Milliarden Euro oder knapp drei Viertel der Bundesmittel in "laufende Vorhaben" eingebunden.
Gute Nachrichten für die Städte. Doch gerade die Kommunen im Ruhrgebiet empfinden die Geldgabe aus Berlin als "Tropfen auf den heißen Stein". Der Herner Oberbürgermeister Horst Schiereck beispielsweise wünscht sich für seine Stadt noch "drei, vier, fünf Pakete." So dürfe bislang nicht in den Straßenbau investiert werden. "Aber wir haben noch etliche Industriebrachen, die recycelt werden müssten", sagt der Sozialdemokrat. In der ehemaligen Zechenstadt lagern in den Halden noch Schwermetalle und Gifte, viele können nicht betreten werden. Auch Leuchtdioden für Straßenlaternen oder neue Kreisverkehre wären schön, befindet Schiereck.
Die Steuerdebatte nach der Bundestagswahl, steigende Kosten für die Unterbringung von Langzeitarbeitslosen und die Wirtschaftskrise fressen Löcher in die ohnehin klammen Stadtsäckel. Petra Roth (CDU), Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main und Präsidentin des deutschen Städtetages, kann eine lange Mängelliste zitieren. "Es muss verhindert werden, dass Kommunen finanziell zusammenbrechen und ihren Bürgern immer weniger und schlechtere Leistungen anbieten können", betont die Christdemokratin. In diesem Jahr werden die Kommunen rund 20 Prozent der Gewerbesteuer verlieren - ihre wichtigste Einnahmequelle. "Dabei müssen die Städte gerade in der Krise handlungsfähig bleiben", sagt Roth. "Die Menschen vertrauen auf die kommunalen Leistungen vor Ort."
Auch Menschen in Städten wie Gelsenkirchen. Die Schalke-Stadt gilt als Armenhaus des Westens. Jeder siebte Gelsenkirchener sucht gerade Arbeit, seit Jahren fährt die Kommune einen Nothaushalt. Die größte Investition des vergangenen Jahrzehnts war die Sanierung des Hauptbahnhofes - der Bund engagierte sich, weil die Weltmeisterschaft vor der Tür stand. "Wir haben kaum Spielraum", sagt Frank Baranowski, der erst kürzlich wiedergewählte sozialdemokratische Oberbürgermeister. Deswegen ist Baranowskis Wunschliste in den vergangenen Jahren weiter angewachsen. Mehr Kindertagesstätten hätte er zum Beispiel gerne, auch alte Industrieflächen sollten aufbereitet werden können. Fahrradwege fehlten und Sprachkurse für die vielen Kinder mit Migrationshintergrund in der Stadt. "Für die Erziehung können wir nie Geld genug haben", sagt der Kommunalpolitiker. Der Mann mit dem jungenhaften glatten Gesicht hat aus seiner Not eine Tugend gemacht und prescht immer nach vorne, wenn es um Fördergelder aus Berlin geht. Der gelernte Lehrer will mit Worten überzeugen.
Sein Amtsvorgänger Oliver Wittke (CDU) hatte vor einigen Jahren die Ostbeauftragten der Bundesregierung zu Busreisen eingeladen und ihnen dann verrottete Straßenzüge und knietiefe Schlaglöcher gezeigt. Er fuhr in die armen Stadtteile wie das südliche Ückendorf, in denen nur noch Dönerbuden und Spielhallen geöffnet haben. Sein letzter Gast, der frühere Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), fand die neuen Eindrücken offenbar so eindringlich, dass er sich fortan für einen "Solidarpakt West" einsetzte. Am Ende verpufften Wittkes Elendstouren in Berlin. Aber nun hat die Revierstadt ein dauerhaftes Imageproblem. "Immer wenn ein Fernsehteam schnelle Bilder über Armut ablichten will, kommen sie zu uns", seufzt Baranowski. Es ist schwer, Werbung für eine Stadt zu machen und gleichzeitig um Geld zu betteln. Ein Schicksal, dass alle armen Kommunen in Deutschland teilen.
Und sie werden zahlreicher. Die Haushalte vieler Städte drohen zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben zu werden: zwischen sinkenden Steuereinnahmen und steigenden Sozialausgaben. Der Städte- und Gemeindebund prognostiziert ein zehn Milliarden Euro großes Loch, dass die deutschen Kommunen ab 2010 jährlich vor sich her schieben werden. Betroffen sind vor allem arme Städte wie die im Ruhrgebiet, die unter ihrer industriellen Vergangenheit leiden. "Gelsenkirchen ist sicherlich mit am härtesten betroffen", sagt Joachim Poß. SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Ruhrgebiet. Er sagt: Um die Kommunen in Berlin zu vertreten, müssen dicke Bretter gebohrt werden. Poß hat schon 2003 im Vermittlungsausschuss unter der damaligen Regierung Schröder erreicht, dass die Gewerbesteuer als wichtigste Einnahmequelle der Kommunen erhalten bleibt. "Viele Abgeordnete in Berlin verlieren die Nöte vor Ort aus den Augen", sagt Poß.
Ein Grund mehr, warum die Debatte um die Kosten für die Wohnungen von Langzeitarbeitslosen in diesem Monat so hoch gekocht ist. "Die Städte haben kein Verständnis dafür, dass der Bund unbeirrt daran festhält, trotz steigender Arbeitslosigkeit seinen Anteil an den Unterkunftskosten für 2010 zu senken", sagt Petra Roth. Im kommenden Jahr rechne der Bund mit zwei Milliarden Euro höheren Kosten, die dann aber fast ausschließlich zu Lasten der Kommunen gingen.
Das ist weder zumutbar noch verkraftbar. Denn "die Sozialausgaben von mittlerweile 40 Milliarden Euro schnüren einer Reihe von Städten immer mehr die Luft ab", sagt Roth. Sie appelliert eindringlich an die Koalition, die ablehnende Haltung der Länder und Kommunen ernst zu nehmen. Die Bundesbeteiligung müsse sich in Zukunft an der tatsächlichen Höhe der Kosten orientieren und nicht mehr an der Zahl der Bedarfsgemeinschaften. Jede Stadt bekommt zu spüren, was im Berliner Reichstag beschlossen wird. Auch den geplanten Steuersenkungen sehen die Kommunen mit großer Angst entgegen. Alleine Nordrhein-Westfalen wird ab 1. Januar durch den höheren Kinderfreibetrag, die Entlastungen bei der Erbschaftssteuer und den geringeren Mehrwertsteuersatz im Hotelgewerbe rund 800 Millionen Euro weniger Steuern einnehmen. Zu spüren bekommen das zu allererst die Städte. Wuppertal hat gerade ein aufsehenerregendes Sparprogramm beschlossen: Die bergische Stadt wird ihr Theater ebenso schließen wie sieben Schulen. Doch das Mitleid der Landesregierung hält sich in Grenzen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ingo Wolf (FDP) fordert von den Kommunen, ihre Finanzprobleme selbst zu lösen. Städte und Gemeinden müssten ihre Infrastruktur den sinkenden Einwohnerzahlen anpassen, sagte Wolf in einer Haushaltsdebatte des Düsseldorfer Landtags. Der Städtetag Nordrhein-Westfalen hatte vom Land einen finanziellen Rettungsschirm für die Kommunen gefordert. Wolf hielt dagegen: "Der Landeshaushalt ist keine Gelddruckmaschine." Das Land sei von der Finanz- und Wirtschaftskrise genauso betroffen wie auch die Kommunen.
In der Krise haben weder das Land noch der Bund Geld zu verteilen. Und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz der neuen Bundesregierung zaubert den Kämmerern und kommunalen Politikern schon jetzt Sorgenfalten auf die Stirn. "Für die Städte ist das das absolute Gift", sagt Axel Schäfer, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bochum. Es sei noch überhaupt nicht absehbar, wie sich die Finanzlage in den nächsten Jahren entwickeln werde, da seien Steuersenkungen höchst gefährlich. "Vor Ort muss diese Unvernünftigkeit dann mit bitteren Sparprogrammen ausgebadet werden", so Schäfer. Die Kommunen hingen immer am "Ende des Tropfes".
Dabei ist seine Heimatstadt im Prinzip immer in der Krise: Bochum dürstet nach frischem Geld wie vielleicht nur wenige Städte in Deutschland. Die Schattenseiten der globalisierten Wirtschaft waren hier innerhalb weniger Monate mehrfach zu spüren.
Mit dem plötzlichen Nokia-Wegzug im Januar 2008 wurden 2.500 Menschen arbeitslos, rund die Hälfte von ihnen wird zukünftig nach dem Auslaufen der Transfergesellschaft Arbeitslosengeld von der Stadt benötigen. Auch fehlen nun jährlich 25 Millionen Euro Gewerbesteuer des finnischen Handyproduzenten. Seit Jahren hoch verschuldet hat die Kommune zusätzlich einige Millionen Euro bei den riskanten Cross-Border-Leasing-Geschäften mit amerikanischen Banken verloren. Nun bangt auch noch Autobauer Opel, um seine Existenz in der 400.000-Einwohner starken Kommune.
Der Stadtrat muss nun in der kommenden Woche ein Haushaltssicherungskonzept beschließen, nachdem CDU-Regierungspräsident Helmut Diegel als Kommunalaufsicht eine Haushaltssperre verhängt hat. 360 Millionen Euro muss die viertgrößte Stadt des Ruhrgebiets bis 2015 sparen. Nun kursiert bereits eine Streichliste, nach der 15 Schulen und 8 Lehrschwimmbecken geschlossen werden könnten. Gekürzt werden soll auch bei der Volkshochschule, der Musikschule; dem Stadtarchiv und den Stadtteilbüchereien droht die komplette Schließung. Die zu erwartenden Ausfälle von 7 Millionen Euro allein aus dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz hat Stadtkämmerer Manfred Busch bei seinen Kürzungsvorschlägen noch gar nicht einrechnen können.
Die Goldgräberstimmung der Kämmerer vom Anfang des Jahres, als die Kommunen mit dem Konjunkturpaket unerwartet Millionen ausgeben konnten, scheint inzwischen verpufft. Aber immerhin: Die Schüler und Kursteilnehmer im Gelsenkirchener Jugendheim jedenfalls werden es bald warm haben.