27. Mai 1832: größte und bedeutendste Kundgebung der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung vor der Revolution von 1848
Am 27. Mai 1832 versammelten sich in Neustadt an der Weinstraße 20.000 bis 30.000 Menschen und zogen gemeinsam zur Ruine des Hambacher Schlosses, um für nationale Einheit und Freiheit zu demonstrieren. Das Hambacher Fest war die größte und bedeutendste Kundgebung der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung vor der Revolution von 1848.
Die deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung
Die schon während der französischen Revolution laut gewordenen Rufe nach nationaler Einheit und Selbstbestimmung erfuhren während der Befreiungskriege gegen Napoleon eine erhebliche Verstärkung. Der unter der Führung Preußens als Volkskrieg geführte Befreiungskampf gegen die napoleonische Besatzung weckte in großen Teilen der deutschen Bevölkerung weitreichende Hoffnungen auf demokratische Mitbestimmung und Aufhebung des einzelstaatlichen Partikularismus. Schriftsteller und Universitätsprofessoren nutzten das sich seit der Jahrhundertwende entfaltende Presse- und Publikationswesen, um in Zeitungsartikeln und Flugschriften ihre nationalen und liberalen Ideen zu propagieren. Die Forderung nach nationalstaatlicher Einheit und demokratischer Freiheit wurde aber nicht nur an den Universitäten, in den Burschenschaften, oder in Künstler- und Intellektuellenzirkeln erhoben, sondern auch von weiten Teilen der bürgerlichen Mittelschichten und der Handwerkerschaft bereitwillig aufgegriffen und weitergetragen. Vor allem die Ausbildung einer vielfältigen und bunten Vereinslandschaft, wie sie etwa in den in ganz Deutschland verbreiteten Turn- und Gesangsvereinen zum Ausdruck kam, sowie die Veranstaltung großer Volksfeste, insbesondere des Wartburgfestes von 1817, haben erheblich zur Popularisierung des liberalen und nationalen Gedankenguts beigetragen.
Impulse durch Pariser Julirevolution und polnischen Aufstand
Die nach dem Wiener Kongress von 1815 einsetzende Restaurationszeit mit ihrem Bemühen nach Wiederherstellung der alten absolutistischen Ordnung versetzte den Einheits- und Freiheitsbestrebungen einen argen Dämpfer. Die auf Betreiben des österreichischen Außenministers Metternich 1819 verabschiedeten Karlsbader Beschlüsse etablierten ein polizeistaatliches Unterdrückungsregime das mit einem umfassenden Spitzel- und Überwachungssystem, strengen Zensurbestimmungen und der rigorosen Verfolgung politisch Andersdenkender die vollständige Niederhaltung jeglicher oppositioneller Bestrebungen im Deutschen Bund zum Ziel hatte. Auch wenn im Zuge der so genannten Demagogenverfolgungen durch die eigens zu diesem Zweck in Mainz eingerichtete Zentraluntersuchungskommission viele führende Vertreter der Opposition zum Schweigen gebracht wurden und sich große Teile des Bürgertums in das private Idyll des vermeintlich unpolitischen "Biedermeier" zurückzogen, wirkten die freiheitlichen und nationalen Ideen weiter fort. Dies wurde zu Beginn der 1830er-Jahre deutlich, als die Pariser Julirevolution und der polnische Aufstand vom November 1830 auch der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung neue Impulse verliehen. Vielerorts kam es zu Protesten und Unruhen gegen wirtschaftlichen Missstände und politische Repressionen. In Braunschweig, Sachsen und Kurhessen sahen sich die regierenden Fürstenhäuser zu Zugeständnissen in der Verfassungs- und Bürgerrechtsfrage an die bürgerliche Opposition gezwungen.
Für die Durchsetzung der Pressefreiheit
Die Aktivitäten der liberalen Opposition konzentrierten sich unter anderem auf die seit 1816 zu Bayern gehörende Pfalz, wo die wirtschaftliche und politische Unzufriedenheit hoch und die liberalen französischen Einflüsse besonders wirksam waren. Der Anfang 1832 von den beiden Homburger Journalisten Jakob Siebenpfeiffer und Johann August Wirth als Zentralverband gegründete Deutsche Press- und Vaterlandsverein, der aufgrund seiner Schlagkraft und Organisationsform als Prototyp einer vereinsmäßig organisierten politischen Partei in Deutschland gilt, setzte sich für die Durchsetzung der Pressefreiheit als einem der effektivsten Instrumente zur Verwirklichung eines einheitlichen deutschen Nationalstaats mit einer demokratisch-republikanischen Verfassung ein.
Das Hambacher Fest 1832
Um der deutschen Nation Gelegenheit zu geben, sich zur "Organisation eines deutschen Reiches im demokratischen Sinne zu bekennen", riefen die führenden Vertreter des bereits nach kurzer Zeit verbotenen Press- und Vaterlandsvereins für den 27. Mai 1832 zu einer großen Nationalfeier der Deutschen auf Schloss Hambach auf. Obwohl die Initiatoren zur Vermeidung eines möglichen Versammlungsverbots die geplante Feier als (vorgeblich unpolitisches) Volksfest zur geselligen Unterhaltung ankündigten, ließ der pfälzische Regierungspräsident das Fest wegen befürchteter aufrührerischer Ausschreitungen zunächst verbieten. Erst nach massiven Protesten der Bevölkerung und regionaler Repräsentanten wurde das Verbot aufgehoben.
Teilnehmer kamen aus allen Bevölkerungsschichten
So konnte das Hambacher Fest am Abend des 26. Mai 1832 mit Glockengeläut und Kanonenschüssen offiziell eröffnet werden. Unter dem Motto "hinauf, hinauf zum Schloss" zogen die Festteilnehmer am nächsten Morgen in einem festlich geschmückten Zug mit schwarz-rot-goldenen Fahnen, den nun allgemein als Symbol der deutschen Einheit anerkannten Farben der Burschenschaft, zur Ruine des Hambacher Schlosses. Die Teilnehmer kamen aus allen Bevölkerungsschichten und allen Regionen Deutschlands. Auch eine Delegation aus dem Elsass und viele – nach dem gescheiterten Aufstand von 1830/31 als Freiheitskämpfer besonders gefeierte – polnische Flüchtlinge beteiligten sich an dieser ersten Massendemonstration für ein einheitliches und demokratisches Deutschland.
Freiheit, Volkssouveränität, nationale Einheit, religiöse Toleranz
Zahlreiche Redner äußerten während der Versammlung auf dem Schlossberg ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation, insbesondere mit der fortdauernden Zersplitterung Deutschlands, der Unterdrückung der Opposition sowie der materiellen Not. Sie forderten Freiheit, Volkssouveränität, nationale Einheit, religiöse Toleranz sowie eine Neuordnung Europas auf der Grundlage gleichberechtigter Völker. Während Jakob Siebenpfeiffer den Freiheitskampf aller europäischen Völker gegen das Joch der Knechtschaft propagierte ("Hoch lebe jedes Volk, das seine Ketten bricht und mit uns den Bund der Freiheit schwört!"), forderte Johann Georg Wirth die Beseitigung der Monarchien sowie eine bundesstaatlich organisierte deutsche Republik als Teil eines republikanischen europäischen Staatenbunds. Andere Redner wie der Jurist Daniel Pistor und der Burschenschafter Karl Heinrich Brüggemann sprachen sich für die gewaltsame Durchsetzung der nationalen und freiheitlichen Forderungen aus, falls eine "legale Revolution", also eine verfassungspolitische Weiterentwicklung auf gesetzlichem Wege, an den illegalen Unterdrückungspraktiken der deutschen Regierungen scheitern sollte.
Signal zur Revolution blieb aus
Eine am 28. Mai tagende Versammlung mit rund 600 Teilnehmern im Neustädter Schießhaus befasste sich mit der Frage des weiteren Vorgehens. Dabei standen die beiden Alternativen "friedliche Verfassungsumbildung auf legalem Wege" oder "Übergang zu direkten revolutionären Aktionen" im Zentrum der Debatte. Da die Mehrheit des von der Schießhaus-Versammlung gewählten Ausschusses von "Männern des Vertrauens" es wegen fehlender Kompetenzen ablehnte, sich gegenüber der Frankfurter Bundesversammlung als provisorische Regierung zu etablieren, blieb das von vielen Radikalen erwartete Signal zur Revolution aus. Stattdessen beschränkte man sich auf Planungen für den weiteren Ausbau der Oppositionsstrukturen.
Nachwirkungen
Trotz geringer konkreter Ergebnisse gab die erste große politische Massendemonstration in Hambach der Einheits- und Freiheitsbewegung mächtigen Auftrieb. Der Ruf nach verfassungspolitischen Veränderungen war fortan nicht mehr zu unterdrücken. Auch wenn die eiligst beschlossenen Repressionsmaßnahmen des Deutschen Bundes die freiheitlichen Bestrebungen zunächst noch einmal unterdrückten, gelang es den restaurativen Kräften nicht, die Befürworter eines vereinigten demokratischen Deutschland daran zu hindern, sich neu zu formieren und 16 Jahre später einen erneuten Versuch zur Durchsetzung ihrer Forderungen zu unternehmen.
Verfasser: Wilhelm Weege, Fachbereich WD 1, Geschichte, Zeitgeschichte und Politik