Kunst im Bundestag (Serie-Teil 7) - Aus "Das Parlament"
Weich und gedämpft fällt das Tageslicht durch eine schmale Flucht in den Raum, erhellt den schlichten Granitaltar an seiner Stirnseite und die wuchtigen Stühle davor. Doch es sind die sieben hohen Holzbildtafeln, welche rings herum in leichter Schräge an den Wänden lehnen, die den Blick sofort auf sich ziehen. Seltsam verletzt und malträtiert wirken diese Tafeln trotz ihrer Größe: Manche sind von Steinen durchbohrt, aus anderen scheinen Nägel wie Haare zu wachsen, wieder andere bedeckt eine Schicht aus Asche, Sand oder Erde.
Die Verletzung des Menschen durch Menschen ist das Kernthema der künstlerischen Arbeit von Günther Uecker. Wie Menschen zerstören, sich gegenseitig verwunden und leiden, beschäftigt den 1930 im mecklenburgischen Wendorf geborenen und heute in Düsseldorf lebenden Künstler seit langem. Mit seinen Bildern und Installationen setzt er sich immer wieder mit Gewalt, Krieg und Umweltzerstörung auseinander: Im Jahr 2000 zum Beispiel gestaltete Uecker ein Steinmal für das KZ Buchenwald. Aggression, Verletzung und Zerstörung versucht der Künstler in seinen Werken aufzuspüren und ihnen darin Versöhnliches und Hoffnungsvolles entgegenzusetzen.
Mit Bedacht hat Uecker auch seine Gestaltungsmittel gewählt: Immer wieder verwendet er einfache, aber ausdrucksstarke Materialien wie Steine, Erde, Holz, Stoff, Asche - und Nägel. "So ein Nagel hat eine Impertinenz und Aufdringlichkeit", erklärt Uecker. Mit ihm könne er gut die Aggression ausdrücken, die er empfinde. Schon früh entdeckt er "sein" Material, das bis heute im Zentrum seiner Werke steht: In den 50er-Jahren begann er mit weißbemalten Nägeln zu experimentieren, behämmerte damit Bretter und rotierende Scheiben. Später überzog Uecker auch Alltagsgegenstände wie Fernseher, Kühlschränke oder Autoreifen mit Nagelteppichen.
Auch im Andachtsraum des Reichstagsgebäudes, den der Künstler für den Bundestag 1999 gestaltete, hat Uecker erneut mit Nägeln gearbeitet. Sein Hauptmotiv des geschundenen Lebens greift er bewusst wieder auf. Der Künstler möchte an die Jahrtausende alte, theologisch überlieferte Geschichte des Leidens erinnern. So symbolisieren die Steine, die zwei der Holzbildtafeln von hinten durchbohren, für den Künstler die Bedrohung des Paradieses. Die Nägel wiederum, die Uecker kreuzförmig in zwei weitere Bildtafeln gehämmert hat, erinnern an die Kreuzigung Christi.
Doch nicht isoliert betrachtet, sondern erst in Zusammenhang mit dem Raum erschließt sich die suggestive Kraft der Bilder. Uecker ist es gelungen, inmitten des Bundestages einen Ort zu geschaffen, der zu Meditation und innerer Einkehr einlädt - und das unter sparsamem Einsatz künstlerischer und architektonischer Mittel. So ließ Uecker etwa eine zum Innenraum hin offene Zwischenwand vor die Fensterfront einbauen, durch die das Tageslicht nur indirekt in den Raum fallen kann. Wer aus einem der hellen, lichtdurchfluteten Flure im Erdgeschoss des Reichstagsgebäudes eintritt, den umfängt sogleich eine stille, geschützte Atmosphäre.
Obwohl das Glockengeläut des Kölner Doms immer eine halbe Stunde vor jeder Bundestagssitzung zum abwechselnd evangelischen oder katholischen Gottesdienst ruft, ist der Andachtsraum keine parlamentseigene Kirche oder Kapelle. Er soll vielmehr ein Ort sein, den Angehörige aller Konfessionen zur inneren Einkehr oder Meditation nutzen können. Eine Stufe im Boden markiert deshalb etwa die Ostrichtung und ermöglicht es dem Betrachter, im rechten Winkel zu ihr und in Richtung Jerusalem und Mekka zu blicken. Auch gibt es auf dem Altar kein festinstalliertes Kreuz. Ein schlichtes Holzkreuz kann bei Bedarf aufgestellt werden. Das reizt auch zu Widerspruch, wie ein kürzlich in einer großen Boulevard-Zeitung erschienenes Interview des CSU-Abgeordneten Peter Ramsauer bewies. Darin klagte der Politiker, das Kreuz gehöre fest auf den Altar, zu oft "verschwinde es in die Vitrine im Vorraum".
Andere jedoch schätzen den überkonfessionellen Charakter des Raums: "Ich habe hier einmal zu einer Andacht eingeladen mit Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche, der jüdischen und der islamischen Gemeinde. Sie alle haben jeweils für sich dies als eine sehr passende Umgebung auch für den interkonfessionellen Dialog empfunden", erzählt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Gerade diese Bedeutung des Andachtsraums als Ort der Toleranz und des Dialogs liegt auch Günther Uecker sehr am Herzen: "Vielleicht macht es uns auch glücklicher, wenn wir in der Annäherung an Gott nicht die Grenzen zwischen uns festigen. Erst im Dialog verwirklich sich doch die Liebesbotschaft."