60 Jahre Bundestagsgeschichte – das sind 16 Legislaturperioden, acht Bundeskanzler und unzählige Reden, die im Plenum des Parlaments gehalten wurden. Einige Debatten in dieser Zeit waren besonders kontrovers, wie etwa die über die Frage der Wiederbewaffnung Deutschlands 1952 oder die der Ostverträge 1972. Ein Streifzug durch die bedeutendsten Entscheidungen und Dispute der bisherigen 16 Wahlperioden.
Fast 52 Jahre ist es her, seit die
Regierungschefs Belgiens, Deutschlands, Frankreichs, Italiens,
Luxemburgs und der Niederlande am 25. März 1957 in Rom die
"Römischen Verträge" unterzeichneten und so mit den
Verträgen über die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft
den Grundstein für die heutige Integration Europas legten.
Es sei das "vielleicht wichtigste Ereignis der Nachkriegszeit",
urteilte Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) später, denn
schließlich einigten sich die sechs Staaten nicht nur auf
eine enge wirtschaftliche Verflechtung und gemeinsame Kontrolle und
Koordinierung der Nuklearwirtschaft. Sie verständigten sich
auch auf ein weitreichenderes Ziel: Mit der Gründung von
EWG
und Euratom
sollte die "Grundlage für einen immer engeren Zusammenschluss
der europäischen Völker" geschaffen werden. Was aus
heutiger Sicht wie ein selbstverständlicher, folgerichtiger
Schritt hin zur Europäischen Union aussieht, war damals nicht
unumstritten.
Schon bald nach der feierlichen Unterzeichnung der Verträge in Italien regten sich daheim in Deutschland Kritik und Widerstand: Als Hans Furler für die CDU/CSU-Bundesregierung zu Beginn der Debatte über die Zustimmung zum Vertragsgesetz am 5. Juli 1957 an das Rednerpult im Plenarsaal trat und die wichtigsten Punkte der Verträge zu erläuterten, war dies der Anfang einer Kontroverse, die die Opposition noch einmal nutzte, um Zweifel und Ablehnung deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Hans Furler stellte die Wichtigkeit der Römischen
Verträge heraus. Die Erfahrungen der Montanunion hätten
gezeigt, wie notwendig eine "übereinstimmende
wirtschaftspolitische Haltung" in Europa sei. Der entscheidende
Fortschritt der Verträge liege darin, so der CDU-Politiker,
dass sie unwiderruflich seien: "Trotz Schutzklauseln, trotz
Übergangsbestimmungen muss der Gemeinsame Markt in
spätestens 15 Jahren vollendet sein", sagte Furler, "es gibt
hier kein Zurück".
Daraus ergebe sich die Hoffnung auf einen noch engeren
Zusammenschluss der Staaten: "Wir sind überzeugt, nicht nur
unserem Land zu dienen (...), sondern ganz Europa zu fördern
und damit die Fundamente zu verstärken, auf denen Freiheit und
Sicherheit begründet sind", so der Abgeordnete.
Nach Ansicht der Sozialdemokraten wiesen die Verträge jedoch erhebliche Mängel auf. Ein "sehr wunder Punkt", so betonte etwa Karl Mommer, sei die Schwäche des Europäischen Parlaments. "Die Parlamente der Mitgliedstaaten verzichten auf wichtige Gesetzgebungskompetenzen und Kontrollrechte", sagte der Abgeordnete. Diese gingen aber nicht auf das Europäische Parlament über.
"Das Parlament wird geradezu seiner Rechte beraubt, und das
zugunsten einer Technokratie, einer Bürokratie und der
Minister, die in den Ministerräten sitzen werden", monierte
der SPD-Politiker. Doch trotz solcher Mängel sei die
"Gründung einer Wirtschafts- und Atomgemeinschaft (...) ein
großes Unterfangen", das es den Sozialdemokraten wert sei zu
unterstützen, bekräftigte der Sozialdemokrat.
Diese Meinung teilte die FDP nicht. Sie lehnte die Ratifizierung rundweg ab. Die Römischen Verträge seien mitnichten "Grundlage für eine politische Stärkung und Einigung Europas", monierte Robert Margulies. Das Vertragswerk trage ein "falsches Etikett". Es handele sich nur um eine Zollunion von sechs Staaten. Um von Europa zu sprechen, bedürfe es eine "größeren Kreises". Doch wichtige europäische Staaten wie die skandinavischen Länder oder Großbritannien fehlten.
"Wir errichten eine Zollmauer quer durch Europa", kritisierte
Margulies und warnte davor, den europäischen Markt zu spalten.
Mit dem Aufbau von Außenzöllen laufe Deutschland Gefahr,
sich vom "Außenhandel abzusperren".
Auch die Vertriebenenpartei "Gesamtdeutscher Block/Bund der Heimatlosen und Entrechteten" verweigerte die Zustimmung zu den Verträgen: Artur Stegner betonte, seine Partei sei zwar für eine "europäische Entwicklung", doch müsse diese für den späteren Beitritt der Ostblockländer offen stehen. Genau dies aber sei zu bezweifeln: "Wir haben nicht das Vertrauen, dass die kleineuropäische Lösung des europäischen Wirtschaftsgebiets diesem Ziele dient."
Zudem bemängelte Stegner, dass die Zollgrenze für den
Transitverkehr "mitten durch Deutschland" verlaufe. Dies sei
"unerträglich" und mache den "Riss Deutschlands" umso
deutlicher. Werde eine europäische Staatenföderation
angestrebt, so bleibe für die deutsche Wiederereinigung "kein
Platz mehr", fürchtete Stegner.
Trotz dieser Kritik billigte der Bundestag noch am selben Tag die Römischen Verträge und machte damit von deutscher Seite aus den Weg frei für ihr Inkrafttreten am 1. Januar 1958 –- ein Meilenstein auf dem Weg zur Europäischen Union war gesetzt. Denn zusammen mit der 1951 gegründeten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl entstand später die Europäische Gemeinschaft, 1992 schließlich die Europäische Union.