Jugendliche diskutierten mit Lammert über Verantwortung und Gedenken
Vom 21. bis 27. Januar 2009 sind 80 Jugendliche zu einer Jugendbegegnung zusammengekommen, zu der der Deutsche Bundestag seit 1997 anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus einlädt. Am letzten Tag dieser Begegnung nahmen die jungen Erwachsenen aus Deutschland, Frankreich und Polen an der Gedenkstunde im Plenarsaal teil und trafen im Anschluss Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert zu einer Podiumsdiskussion. In der rund anderthalbstündigen Diskussion standen die Themen Verantwortung und Gedenken im Vordergrund.
„Sie brauchen keine Angst zu haben“, ermutigte Prof.
Dr. Gesine Schwan, die die Diskussion moderierte, die Jugendlichen
– und die hattn sie auch nicht. „Denken Sie, dass die
deutsche Schuldfrage geklärt ist?“, fragte Teilnehmer
Benjamin – und bekam eine eindeutige Antwort des
Präsidenten: „Die Deutschen tragen die Verantwortung
für den Zweiten Weltkrieg.“
Dass damit aber nicht eine persönliche Schuld von Menschen
einhergehe, betonte Lammert genauso wie die bleibende Verbindung
zur Geschichte: „Niemand von uns kann aus der Geschichte
unseres Landes austreten.“
Beispiellose Erinnerungskultur
In viele Fragen der Jugendlichen flossen die Eindrücke und Erfahrungen der letzten Tage ein. In Paris hatten die Teilnehmer der Jugendbegegnung zum Beispiel die Arbeit von Patrick Desbois kennengelernt: Durch seine Nachforschungen entdeckte der Pfarrer in der Ukraine über 600 Massengräber von Juden, von denen die Bevölkerung dort nichts wusste.
In diesem Zusammenhang warf eine Jugendliche die Frage nach
Gedenkarbeit in anderen Ländern, in denen Menschen Opfer der
Waffen-SS wurden, auf. „Weltweit gibt es kein anderes Land,
das mit der schlimmsten Erfahrung des eigenen Landes so offensiv
und extensiv umgeht“, lobte Lammert die beispiellose
Erinnerungskultur in Deutschland. Der Anmerkung eines Jugendlichen,
dass man dabei selbstkritisch bleiben müsse, stimmte er zu:
„Es gibt auch das Risiko des Guten zu viel.“
NPD-Verbot?
„Ein NPD-Verbot löst das rechtsextremistische Problem nicht, könnte aber ein Zeichen setzen“, meinte ein Teilnehmer und wollte wissen, wie Norbert Lammert dazu steht. Obwohl es auch gute Argumente für ein Verbot gebe, hielt der Bundestagspräsident wenig davon.
Statt politischer Wirkung oder der Lösung des Problems
hätte ein Verbot eher die Beruhigung des eigenen Gewissens zur
Folge. „Der Umgang einer Demokratie muss intelligenter sein
als ein Verbot“, appellierte Lammert an die jungen
Demokraten
"Zeugen der Zeitzeugen"
Auch Norbert Lammert hatte eine Frage an die Jugendlichen. In seiner Rede in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus hatte Bundespräsident Prof. Dr. Horst Köhler die Idee in den Raum geworfen, Jugendliche bei der Gedenkstunde zu Wort kommen zu lassen. „Haltet ihr die Idee für gut oder problematisch?“, wollte Lammert wissen.
„Gute Idee“, sagten die meisten Jugendlichen – allerdings sei es noch wichtiger, Zeitzeugen sprechen zu lassen, solange es noch welche gibt. „Wir sind die letzte Generation, die die Zeugen der Zeitzeugen sind“, begründete eine Teilnehmerin. „Am besten wäre ein Dialog von Zeitzeugen und Jugendlichen“, schlug ein anderer vor.
In der Gedenkstätte Oradour-sur-Glane in Frankreich, die die
Teilnehmer besucht hatten, gab es dazu Gelegenheit. „Das war
eine sehr eindrucksvolle Zeit, voll gepackt mit Erlebnissen. Ich
habe viel dazugelernt. Vor allem das Gespräch mit Zeitzeugen
habe ich als großes Privileg empfunden“,
resümierte Teilnehmer Andreas die Erfahrungen der letzten
Tage.
Gedenken ohne Zeitzeugen
Und wie kann Gedenken ohne Zeitzeugen aussehen? „Wir müssen andere Formen der Erinnerung finden“, sagt Lammert und verwies als Beispiel auf die heutige Gedenkstunde: Berliner Abiturientinnen lasen Texte von Kindern über ihre Erlebnisse im KZ, von Flucht und Vertreibung vor. Eine andere wichtige Antwort liegt für Lammert in der Kunst. Durch den reflektierten Umgang von Kunst mit solchen Ereignissen könnten Menschen erreicht werden.
Schade fand ein Teilnehmer, dass der Gedenktag an die Opfer des
Nationalsozialismus am 27. Januar im Alltag untergehe. Der
Vorschlag des Bundestagspräsidenten: Alle Politik- und
Geschichtslehrer könnten die Gedenkstunde mit ihren
Schülern im Fernsehen anschauen und darüber sprechen.