Vor 90 Jahren schlug die Geburtsstunde der ersten deutschen Republik
Am 6. Februar 1919 kam in Weimar die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen. Es war - nach Revolution und Abdankung des Kaisers - der Startschuss für den Versuch eines grundlegenden demokratischen Neubeginns.
Ganz Deutschland blickte am 6. Februar 1919 nach Weimar. Die
damalige Hauptstadt des Großherzogtums Sachsen-Weimar war als
- zumindest vorläufiger - Sitz der verfassunggebenden
deutschen Nationalversammlung auserkoren worden, die an diesem Tag
zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammenkam. So wurde die kleine
Residenzstadt zum Geburtsort der ersten Demokratie auf deutschen
Boden, die als "Weimarer Republik" in die Geschichte eingehen
sollte.
Dass die Wahl auf Weimar fiel, hatte zwei Gründe. Zum einen hielten in Berlin die Unruhen an, die nach der blutigen Niederschlagung des so genannten "Spartakusaufstands" radikal linker Gruppierungen durch Regierungstruppen und der Ermordung der beiden KPD-Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch rechtsgerichtete Freikorps ausgebrochen waren. Um Störungen der Nationalversammlung zu vermeiden, hatte man sich entschieden, zunächst außerhalb der Hauptstadt zu tagen.
Zum anderen stellte sich die Nationalversammlung damit bewusst in
die humanistische und aufklärerische Tradition der deutschen
Klassik, die mit Goethe, Schiller und Herder in Weimar ihren
Höhepunkt erlebt hatte.
"Es charakterisiert durchaus die nur auf äußeren Glanz gestellte Zeit der Wilhelminischen Ära das Lasallesche Wort, dass die klassischen deutschen Dichter und Denker nur im Kranichzug über sie hinweg gezogen seien", so Friedrich Ebert in seiner Eröffnungsrede im festlich geschmückten Weimarer Nationaltheater. "Jetzt muss der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter, wieder unser Leben erfüllen."
Für den SPD-Vorsitzenden und überzeugten Demokraten war
mit der Einberufung der Nationalversammlung ein wichtiges
Etappenziel erreicht. Schon während der Revolution im November
1918 hatte er darauf bestanden, dass nur das deutsche Volk in
seiner Gesamtheit befugt sei, über die politische Zukunft des
Deutschen Reichs zu entscheiden. Deshalb hatte er auf baldige
allgemeine Wahlen zu einer Nationalversammlung gedrungen, die eine
neue Verfassung beraten und beschließen sollte.
Aus diesen Wahlen, die am 19. Januar 1919 stattgefunden hatten, war die SPD als stärkste Kraft hervorgegangen: Sie erhielt 165 von insgesamt 423 Sitzen in der Nationalversammlung. Zweitstärkste Partei wurde mit 91 Abgeordneten das katholische Zentrum. Die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) kam auf 75 Sitze.
Die Parteien hingegen, die der Republik skeptisch bis ablehnend
gegenüberstanden, wie die Unabhängige Sozialdemokratische
Partei Deutschlands (USPD) aus dem linken und die Deutschnationale
Volkspartei (DNVP) aus dem rechten Parteienspektrum, kamen
lediglich auf 22 beziehungsweise 44 Sitze.
Insgesamt bedeutete das Wahlergebnis einen deutlichen Sieg für die Verfechter einer parlamentarischen Demokratie und eine klare Niederlage für deren Gegner im linken und rechten Parteienspektrum. Gemeinsam brachten es SPD, Zentrum und DVP - also die drei Parteien, die sich uneingeschränkt zu einem republikanischen Deutschland bekannten - auf 76,1 Prozent der Wählerstimmen. Damit war der Weg in der Nationalversammlung frei für einen grundlegenden politischen Neubeginn.
Wenige Tage nach ihrer konstituierenden Sitzung wählte sie
Ebert zum Reichspräsidenten, der umgehend seinen Parteifreund
Philipp Scheidemann mit der Regierungsbildung beauftragte. Am 13.
Februar wurde die erste, vom ganzen deutschen Volk legitimierte
parlamentarisch-demokratische Regierung aus Ministern der SPD, der
DDP und des Zentrums vereidigt- die so genannte Weimarer
Koalition.
Viel Zeit war der Nationalversammlung und dem Regierungsbündnis aus Sozialdemokratie, liberalem Bürgertum und politischem Katholizismus allerdings nicht gegeben, um die junge Republik nachhaltig zu gestalten.
Bereits im Juni 1920 fanden Wahlen zum ersten Reichstag der
Weimarer Republik statt, der an die Stelle der Nationalversammlung
trat. Dabei erlitten die Parteien der Weimarer Koalition eine
verheerende Niederlage. Es sollte ihnen bis zum Ende der Weimarer
Republik nicht gelingen, ihre Mehrheit wiederzuerlangen.
Demokratischste Verfassung der Welt
Zum wichtigsten Erbe der Nationalversammlung gehört die so genannte Weimarer Verfassung, die am 31. Juli 1919 von der Nationalversammlung mit großer Mehrheit gegen die Stimmen von USPD, DNVP und DVP (Deutsche Volkspartei) verabschiedet wurde. Heute wird vor allem über ihre strukturellen Schwächen diskutiert. Damals galt sie als die demokratischste Verfassung der Welt.