Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes bleibt umstritten
19 Prozent Mehrwertsteuer auf Babywindeln, aber nur sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Tierfutter. Dass die Systematik, wann ein Produkt mit dem vollen und wann mit dem ermäßigten Steuersatz belastet wird, ist im Laufe der letzten vierzig Jahre in Unordnung geraten. Daran ließen die Abgeordneten in der Aktuellen Stunde zum Thema „Ermäßigter Steuersatz“ am Donnerstag, 19. März 2009, keinen Zweifel. Dem Vorschlag der FDP, für Hotellerie und Gastronomie den ermäßigten Steuersatz einzuführen, wollten sich die anderen Fraktionen allerdings nicht anschließen.
Beantragt hatten die Aktuelle Stunde die Liberalen. Für Ernst
Burgbacher (FDP) hätte Bundesfinanzminister Peer
Steinbrück (SPD) tätig werden müssen, nachdem er auf
EU-Ebene zugestimmt habe, dass die EU-Mitgliedsländer für
arbeitsintensive Dienstleistungen einen ermäßigten
Mehrwertsteuersatz festlegen können. Dass Steinbrück von
dieser Möglichkeit im eigenen Land keinen Gebrauch machen
wolle, erzürnt den baden-württembergischen
FDP-Abgeordneten.
Da Frankreich für die Hotellerie den ermäßigten Steuersatz eingeführt habe, seien Wettbewerbsverzerrungen im grenznahen Raum die Folge. Während dem französischen Hotelier von 100 Euro 94,80 Euro nach Steuerabzug verblieben, seien dies bei seinem deutschen Kollegen nur 84 Euro.
22 von 27 EU-Staaten hätten den reduzierten Satz für die
Hotellerie, elf von 27 Staaten den reduzierten Satz für die
Gastronomie eingeführt. Der reduzierte Steuersatz sei der
„Normalfall in Europa“, sagte Burgbacher.
Eduard Oswald (CDU/CSU), Vorsitzender des Finanzausschusses, kündigte an, im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU werde die Beseitigung von Ungereimtheiten im Steuersystem festgeschrieben. Die Hemmschwellen für die wirtschaftliche Entwicklung von Unternehmen sollten beseitigt werden.
„Wir müssen im Steuerrecht mal was hinkriegen, was nicht
kompliziert ist“, sagte Oswald. Einen Schnellschuss lehnte er
jedoch ab. Vielmehr solle eine Lösung entwickelt werden, die
„solide finanzierbar“ ist.
Barbara Höll (Die Linke) erinnerte an frühere Anträge ihrer Fraktion, den Mehrwertsteuersatz für bestimmte Produkte wie etwa Arzneimittel abzusenken. Der FDP warf sie vor, sich als „Trittbrettfahrer“ zu betätigen, weil die Liberalen in der Vergangenheit, auch als Regierungsfraktion, nie in diese Richtung tätig geworden seien. Einen reduzierten Satz könne sie sich etwa auch bei haushaltsnahen Handwerkerleistungen vorstellen, sagte Höll.
Diese könnten steuermindernd geltend gemacht werden, betonte
dagegen Lydia Westrich (SPD), die den Finanzminister in Schutz
nahm. Steinbrück habe für Deutschland „sehr
richtig“ gehandelt. Was die FDP fordere, sei eine reine
Subvention für eine bestimmte Branche – wo die FDP doch
sonst gegen Subventionen sei. „Da zeigt sich der ganze
Wirrwarr der FDP.“
Dr. Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen) grenzte sich von der FDP ab: „Sieht so Ihre Mittelstandspolitik aus?“, fragte er. Die Grünen hätten ein anderes Verständnis von marktwirtschaftlicher Ordnung als die Privilegierung einzelner Gruppen. Sinnvoller sei es, die Schwarzarbeit wirksam zu bekämpfen.
„Was wir brauchen, ist eine Gesamtkonzeption“,
unterstrich Manfred Kolbe (CDU/CSU). „Einzellösungen
führen uns nicht weiter.“ Die von der Großen
Koalition beschlossene Einführung des ermäßigten
Steuersatzes für Seilbahnen sei in der Koalition damals auch
„nicht ganz unumstritten“ gewesen.