Dietmar Kansy erinnert sich an den Umbau des Reichstagsgebäudes
Die Teilung Deutschlands hat seine Familie auseinandergerissen. Dietmar Kansy ist in den Westen geschwommen. Später setzte er sich als Bundestagsabgeordneter für den Umbau des Reichstagsgebäudes ein. Als Vorsitzender der Baukommission des Bundestages musste er zusammen mit dem Architekten Lord Norman Foster manches Problem aus der Welt schaffen. Im Interview erinnert sich Dietmar Kansy, inzwischen Ruheständler im niedersächsischen Garbsen, an die bewegende Zeit vor der Wiedereröffnung des Reichstagsgebäudes am 19. April 1999.
Herr Kansy, waren Sie im Streit um die deutsche Hauptstadt ein Berlin-Anhänger?
Ja. Als Abgeordneter habe ich wie ein Weltmeister dafür gekämpft, dass der Bundestag nach Berlin zieht. Ich habe das geteilte Deutschland am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Ich war Potsdamer, und zwar ein sehr renitenter. Als Jugendlicher war ich kein Mitglied der FDJ, der Jugendorganisation der DDR. Ein Studium konnte ich also vergessen. Das war noch vor dem Mauerbau, damals konnte man mit der S-Bahn noch problemlos zwischen Ost- und West-Berlin pendeln. Als am 13. August 1961 die Nationale Volksarmee mit dem Mauerbau begann, war ich gerade auf der Ostseite. Für mich war klar: Ich musste in den Westen.
Wie haben Sie "rübergemacht"?
Ich bin in die Freiheit geschwommen. Die Havel entlang von Potsdam nach West-Berlin, immer an den Polizeibooten vorbei. Das war zehn Tage nach Beginn des Mauerbaus, zu dem Zeitpunkt ging das noch. Da war ich 23 Jahre alt. Meine zukünftige Frau kam unter schwierigen Umständen nach. Zu meinen Eltern in Potsdam hatte ich viele Jahre lang nur brieflichen Kontakt. Wir mussten Berlin verlassen, denn wäre ich auch nur einmal in der Bahn eingeschlafen und erst im Osten aufgewacht, wäre ich im Gefängnis gelandet. Erst 1971, als ich von der DDR „begnadigt“ wurde, konnte ich meine Eltern besuchen. Da haben sie ihre Enkel zum ersten Mal gesehen.
Wie ging es im Westen weiter?
Ich habe in Hannover mein Diplom gemacht und war als Bauingenieur tätig. Mitte der sechziger Jahre wurde ich auch politisch aktiv. 1980 habe ich für den Bundestag kandidiert. Das Wahlergebnis stand auf Messers Schneide. Ich wartete und wartete, und am Morgen darauf übermannte mich der Schlaf. Schließlich kam der Anruf. Meine Frau nahm ihn entgegen und weckte mich dann mit einem "Guten Morgen, Herr Abgeordneter“.
Nach der Wende haben Sie die neue Hauptstadt als Vorsitzender der
Baukommission mitgestaltet.
Ich habe nur für die Baukommission gelebt. Von 1991 bis zu meinem Ausscheiden aus dem Parlament 2002. Es gab viele Probleme, die gelöst werden mussten. Die Baukommission war als Stellvertreter des Bundestages direkter Partner des Architekten Lord Norman Foster. Und der ist ein Weltmann, der lässt sich nicht reinreden. Die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth musste ihm in einem ernsthaften Gespräch nahelegen, die Vorstellungen des Bundestages zu berücksichtigen.
Worüber wurde gestritten?
Größter Streitpunkt war natürlich die Kuppelfrage. Mit einer Stimme Mehrheit in der Baukommission ist die Kuppel gegen den Willen des Architekten beschlossen worden. Foster zog bis zum Schluss seine Variante in Form eines Leuchtturms vor. Als am 19. April 1999 das Reichstagsgebäude endlich eröffnet werden konnte, war ich sehr bewegt. Der Bundestag war wieder ein Parlament aller Deutschen geworden.
Der Berlin-Antrag hatte nur 18 Stimmen
mehr als der Bonn-Antrag. Was wäre, wenn die Bonner
Lösung gewonnen hätte?
Wenn Bonn Hauptstadt geblieben wäre, wäre die Bundesrepublik heute eine westdeutsche Republik. Die Musik spielt aber in Berlin: für Gesamtdeutschland.
Dietmar Kansy wurde am 18. Juli 1938 in Breslau geboren. Von 1980 bis 2002 war er Mitglied des Bundestages. Dort war er Sprecher für Bau- und Wohnungswesen der CDU/CSU-Fraktion sowie Mitglied des Ältestenrates. Der Baukommission des Bundestages saß er von 1991 bis 2002 vor.