Girls' Day im Bundestag mit 16 Schülerinnen zwischen 11 und 14 Jahren
Ob sie Hemmungen haben, Astronautin, Schlosserin oder Ingenieurin zu werden, weiß man nicht. Fest steht: Hemmungen, im obersten Stock des Berliner Jakob-Kaiser-Hauses Fragen zu stellen, haben sie überhaupt keine. Was tun Sie gegen die Kinderarmut? Wie häufig reisen Sie ins Ausland? Welche Sprachen sprechen Sie? Wie wird man eigentlich Vizepräsidentin? Haben Sie und Ihre Kolleginnen eigentlich Kinder? Katrin Göring-Eckardt, die den Girls' Day am Donnerstag, 23. April 2009, im Deutschen Bundestag eröffnete, wusste kaum, wo sie beginnen sollte.
15 Berliner und Brandenburger
Schülerinnen saßen ihr gegenüber, die jüngsten
elf, die ältesten 14 Jahre alt. Sie alle waren gekommen, um
auf Einladung der Bundestagsverwaltung einen Blick in die der
Öffentlichkeit meist vorenthaltenen technischen Berufsfelder
im deutschen Parlamentsbetrieb zu werfen.
Und, natürlich: um einfach hinter die Kulissen zu schauen.
"Ich war schon sehr neugierig, wie es im Bundestag aussieht",
erzählte Antonia Metzelt, zwölf Jahre alt, "und live ist
doch immer anders als im Fernsehen."
Recht hat sie – zumal die 15 Mädchen eine Menge Bereiche sahen, von denen im Fernsehen sonst kaum einmal die Rede ist. Nach der Einführung leitete der Leiter der Poststelle die Schülerinnen auf einem Weg durch das Parlament, von dem vielleicht noch nie ein Kamerateam berichtet hat: tief unter der Erde unterquerten die Schülerinnen die Spree bis in das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus.
Dort angekommen standen sie in einer Tiefgarage vor einer
großen Rampe. Und machten große Augen, als sie
hörten, bis zu zehn Tonnen Post gingen dort täglich ein.
"Ja, ja", erklärte Hartmut Zimmer, "das ist mehr als in
mancher Kleinstadt. Schließlich arbeiten hier 4.000
Leute."
Weiter ging es – und Zimmer zeigte den Mädchen, wie und wo die Post sortiert und weitergeleitet wird und wie es logistisch zu machen ist, dass jeder Volksvertreter jeden Tag alle zu lesenden Beschlussempfehlungen und andere Drucksachen erhält. "Puh", rollte eine der Schülerinnen mit den Augen, "ich glaube mit so vielen Briefen jeden Tag – da wäre ich überfordert." Bis auf Weiteres will sie an ihrem Wunsch festhalten, Tierärztin zu werden.
Im Anschluss an die Stippvisite in der Post sahen die Mädchen
noch mehr Bereiche, die Besucher meist nicht zu Gesicht bekommen.
Von den Polizisten im Bundestag ließen sie sich
demonstrieren, wie Abgeordnete im Ernstfall gesichert und
geschützt werden; im Gas-Wasser-Sanitär-Bereich mussten
sie, weil es so laut war, Ohrenschützer anlegen.
Und im Fernsehstudio durften sie sich als Tontechnikerin in spe und Moderatoren mit Teleprompter versuchen. Am Ende hörten sie noch einen Vortrag darüber, welche Ausbildungen im Bundestag absolviert werden können; auch die reichen vom Gärtner bis zur Verwaltungsfachangestellten.
Was aus ihren Berufswünschen nun wird, ist völlig offen.
"Mit elf, zwölf, dreizehn oder vierzehn sind die Vorstellungen
häufig ja noch nicht so konkret", erklärte Kathrin
Henning, die den Girls Day für den Bundestag koordiniert, "was
wir aber wollen, ist den Mädchen einmal zeigen, was es an
Berufsfeldern so gibt."
Das, hat auch die zwölfjährige Lena Schrader bereits erkannt, ist nämlich etwas, woran es häufig hapert. Sie selber, erzählt sie, will Ärztin werden. Die meisten anderen Mädchen in ihrer Klasse strebten den Beruf Lehrerin an. Oder etwas, das sie aus ihrer Familie kennen. "Andere Berufe kennen wir doch gar nicht", sagt sie, "und es ist doch wichtig, sich zu informieren. Vielleicht kommt die eine oder andere so auf die Idee, etwas ganz anderes zu machen. Und warum nicht auch etwas Technisches?"
Der Mangel an Frauen in von Männern dominierten Berufen, der
2001 den Girls' Day als von der Bundesregierung mitinitiierten
Aktionstag veranlasste, hält bis heute an. Ob in den
Ingenieur- oder Naturwissenschaften oder in den Lehrberufen
Kfz-Mechatroniker oder Elektrotechniker – in als typisch
männlich angesehenen Feldern bewerben junge Frauen sich
selten.
Umgekehrt ergreifen Jungen seltener soziale Berufe – weswegen unter dem Motto "Neue Wege für Jungs" künftig auch sie in größerem Rahmen Gelegenheit zum Schnuppern in für sie ungewohnte Jobs bekommen sollen. Wenn der Anklang auch nur ähnlich groß ist wie bei ihren Altersgenossinnen, ist der Erfolg schon jetzt gesichert.
Nach Auskunft der bundesweiten Girls'-Day-Koordinierungsstelle in
Bielefeld schnupperten in diesem Jahr nahezu 127.000
Schülerinnen von der fünften Klasse aufwärts in
Männerberufe hinein. Mit mehr als 9.000 Veranstaltungen wurde
ein neuer Rekord aufgestellt.