Joachim Hörster fordert Konzentration auf die Kernaufgaben
Der Europarat, der am 5. Mai 1949 in London gegründet wurde, hat in den 60 Jahren seines Bestehens aus Sicht Joachim Hörsters auf dem Kontinent rechtsstaatliche Standards in einem international beispiellosen Maße durchgesetzt. Der Staatenbund müsse sich jedoch künftig verstärkt auf diese Kernaufgabe konzentrieren und dürfe sich nicht thematisch verzetteln, mahnt der CDU-Politiker im Interview. Hörster ist Leiter der 18-köpfigen Bundestagsdelegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.
Hat sich die Gründung des Europarats 1949 gelohnt?
60 Jahre Europarat markieren eine Erfolgsgeschichte. Die Schaffung des Staatenbunds hat eine sehr lange Friedensphase eingeleitet. Der Europarat hat zudem wesentlich dazu beigetragen, überall auf dem Kontinent freiheitlich-rechtstaatliche Standards auf einem weltweit beispiellosen Niveau zu etablieren.
Welche handfesten Fortschritte wurden denn erzielt?
Ins Auge springt vor allem die Eliminierung der Todesstrafe in den Mitgliedsnationen. Was oft übersehen wird: Die Sozialcharta aus dem Jahr 1961 garantiert in allen Europaratsstaaten soziale Mindeststandards. Ebenfalls kaum bekannt als Einrichtung des Europarats ist die europäische Entwicklungsbank, die Förderprogramme ohne öffentliche Zuschüsse finanziert. Eine große Wirkung hat die Anti-Folter-Konvention. Straßburg hat die Rechte von Minderheiten gestärkt. Das Wichtigste indes ist: Die Maßstäbe der Menschenrechtskonvention sind für alle 47 Länder verpflichtend, und da mischt sich der Europarat auch konkret ein.
Nun sind aber Probleme nicht zu übersehen. 2008 führten
mit Russland und Georgien zwei Europaratsstaaten Krieg
gegeneinander. Besonders im Osten des Kontinents, etwa in Russland
und im Kaukasus, werden immer wieder Defizite offenbar, um die
Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz, die Rechte der
Opposition, die Standards bei Wahlen und anderes steht es dort
nicht zum Besten.
Kein Zweifel, wir haben in einigen osteuropäischen Ländern mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Aber hätten sich diese Staaten nicht den Vorgaben des Europarats unterworfen, würden diese Defizite gar nicht zum internationalen Thema. Nicht alle ehemaligen kommunistischen Diktaturen sind in der Lage, die Straßburger Normen einzuhalten. Wir müssen diesen Ländern helfen, sich demokratischer Rechtstaatlichkeit immer weiter anzunähern. Was mich ärgert, ist die Neigung im Europarat zu doppelten Standards: Wenn in kleinen kaukasischen Ländern Wahlen unkorrekt verlaufen oder die Medienfreiheit beschränkt wird, ertönt schnell der Ruf nach Sanktionen, gegenüber dem großen Russland verhält man sich in ähnlichen Situationen jedoch zurückhaltend.
Die Parlamentarische Versammlung steht im Ruf, keine wirkliche
Macht zu haben und bloß ein Debattenforum zu
sein.
Der Europarat als Vertragssystem einzelner Staaten ist nun mal so konstruiert, dass das Ministerkomitee als Organ der Mitgliedsländer das letzte Wort hat. Man sollte freilich nicht unterschätzen, welchen Druck die kritische Diskussion im Straßburger Parlament über Probleme in manchen Ländern bei den dortigen Regierungen entfaltet. Spuren hinterlassen vor allem die Monitoring-Berichte, bei denen in neuralgischen Staaten überprüft wird, wie es um die Wahrung der Standards des Europarats bestellt ist. Alle Länder wollen unbedingt vermeiden, wegen Verstößen gegen rechtstaatliche Normen mit Sanktionen wie dem Entzug des Stimmrechts in unserem Abgeordnetenhaus belegt zu werden.
Gleichwohl ist eine gewisse Unzufriedenheit über die Arbeit
des Parlaments zu spüren.
Hörster: Das stimmt, dessen Tätigkeit franst mittlerweile aus. Klimaschutz und Rundfunkfinanzierung sind keine Themen für den Europarat. Wir sollten uns auf unsere Kernaufgaben bei der Verankerung der Menschenrechte und der Durchsetzung demokratischer Rechtstaatlichkeit konzentrieren. Dazu gehört auch die Reform, die beim Menschenrechtsgerichtshof als Beschwerdeinstanz für 800 Millionen Europäer eine schnellere Bearbeitung der Klagen ermöglichen soll. Nur Russland blockiert diese Reform, und das muss sich ändern.
Im 60. Jubiläumsjahr scheint der Europarat im Schatten der
mächtigen EU-Konkurrenz zusehends ins Hintertreffen zu
geraten.
Diese Frage wird häufig diskutiert. Dem Europarat gehören jedoch nicht nur die 27 EU-Länder, sondern 20 weitere Nationen an. Und die Aufgabe, in einem zwischenstaatlichen Vertragssystem die Länder auf dem ganzen Kontinent zur Wahrung freiheitlich-rechtstaatlicher Standards zu verpflichten, kann Brüssel nicht leisten. Dies werden wir mit zäher Arbeit auch noch in Russland und im Kaukasus schaffen. Unser Staatenbund wird noch lange gebraucht.