Annette Heuser über Politikberatung in Washington und Berlin
Gut hundert Tage ist US-Präsident Barack Obama jetzt im Amt. Als früherer Collegeprofessor hatte er schon als Kandidat bekundet, dass er unabhängiger wissenschaftlicher Beratung einen hohen Stellenwert beimisst. Annette Heuser ist Leiterin der Bertelsmann Stiftung Nordamerika in Washington und kennt das Geschäft der Politikberatung in der US-Hauptstadt. In einem Vortrag mit anschließender Diskussion in der Veranstaltungsreihe “W-Forum“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages machte die Referentin am Freitag, dem 15. Mai 2009, deutlich, was die Politikberatung in den USA von der in Deutschland unterscheidet.
Eine zentrale Rolle spielen in Washington rund 350 so genannte
Think Tanks, Beratungsgesellschaften wie die Albright Group der
früheren Außenministerin Madeleine Albright. Diese Think
Tanks würden als „intellektuelle Ressource“, als
Brain Trusts verstanden. „Es kann der Politik nur gut tun,
wenn sie sich mit widerstreitenden Meinungen auseinandersetzen
muss“, sagte Heuser, die im Hinblick auf professionelle
Politikberatung in Berlin noch „Entwicklungsbedarf“
ausmacht.
Die US-Think Tanks machen nach den Worten Heusers deutlich, von wem sie finanziert werden. Auch grenzten sie sich von Lobbyisten ab. In Deutschland habe man es nicht geschafft, traditionelle „Think Tanks“ wie die Stiftung Wissenschaft und Politik oder die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik auf einen Stand wie in den USA zu bringen. Die Beratung könne nur so gut sein, wie der Nachfragebedarf der Politik ist. Es fehle hierzulande das Verständnis dafür, was der Mehrwert von Think Tanks sein kann, wie sie arbeiten, so Heuser.
„Ich halte es für wichtig, dass wir Institutionen haben,
Think Tanks, die international mithalten können“,
betonte sie weiter. Im Vergleich zu den USA seien dies zwei ganz
unterschiedliche Ebenen: „Wir sind im Mittelalter und haben
Entwicklungsbedarf nach oben.“ Die Krux liegt für
Annette Heuser darin, dass die Mitarbeiter in traditionellen
Einrichtungen keine Gelegenheit hatten, sich international
auszurichten und Vorschläge nicht so formulieren könnten,
dass sie von der Politik eins zu eins umgesetzt werden können.
Die US-Kollegen seien da „professioneller aufgestellt“.
Wer zuvor im State Department, dem Außenministerium,
gearbeitet habe, der wisse wie eine Vorlage aussehen
müsse.
Heuser sagte, ihre These sei, dass Politikberatung und Nachfrage verbesserungswürdig seien. Verkrustungen und „Versäulungen“ müssten aufgelöst werden, Transparenz müsse an erster Stelle stehen. Mit Blick auf die Podcasts der Kanzlerin meinte die Referentin, mit einer Sprache im Stil eines Vortrags „sollte man vom Web 2.0 Abstand nehmen“. Dafür müsse man eine neue Sprache finden. Sie empfahl, das Web 2.0 zu nutzen und „virtuelle Townhall Meetings“ abzuhalten, „aber nicht mit gestelzten, hölzernen Redetexten“. Das sei kontraproduktiv.
Aus den Reaktionen des Publikums war ersichtlich, dass die These
Heusers nicht nur auf Zustimmung stieß. So wurde auf
Ergebnisse der US-Politik, beispielsweise im Zuge der Wirtschafts-
und Finanzkrise hingewiesen, die angesichts der angepriesenen
professionellen Beratung „nicht so toll“ seien.
Heuser forderte Stiftungen und Think Tanks auf, sich zu „professionalisieren“. „In einer Demokratie kann es nie genug gute Ideen und gute Köpfe geben“, betonte sie. Die Politikberater in Berlin sollten alle großen Think Tanks in Washington „auf dem Schirm“ haben und wissen, wie dort gedacht wird, so der Rat von Annette Heuser.
Um zu einer Durchlässigkeit zwischen Politik, Wissenschaft und
Medien wie in den USA zu gelangen, müsste das deutsche
Arbeitsrecht reformiert werden. Heuser räumte aber ein, dass
bei den US-Kollegen Arbeitsverträge nicht üblich seien
und die Absicherung „minimal“ sei.