Bundestag gedachte des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953
Der Bundestag hat am Mittwoch, dem 17. Juni 2009, in einer Feierstunde des Volksaufstandes in der DDR vor 56 Jahren gedacht. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert nannte den 17. Juni 1953 eines der herausragenden Daten der deutschen Geschichte. Rückblickend seien die Erhebungen der Beginn eines "letztlich erfolgreichen Kampfes für die Freiheit" gewesen. Der Philosoph und Theologe Prof. Dr. Dr. Richard Schröder sagte in seiner Ansprache, der 17. Juni 1953 habe widerlegt, dass den Deutschen der Untertanengeist angeboren sei.
Lammert nahm die Gedenkfeier zum Anlass, auf die Situation im Iran
hinzuweisen. Den Menschen dort, die begründete Zweifel am
Wahlergebnis hätten, gehöre die besondere Sympathie und
Solidarität, sagte der Präsident unter Beifall.
Seit der Wiedervereinigung könnten die Deutschen ein gemeinsames Verständnis des 17. Juni als eines nationalen wie eines europäischen Gedenktags in Ost und West entwickeln, "ein Verständnis, das unser Gedenken an diesen Tag als Teil des Erinnerns der europäischen Freiheits- und Einheitsgeschichte des 20. Jahrhunderts ansieht", unterstrich Lammert.
Der Fall der Mauer vor 20 Jahren sei nicht der Anfang, sondern der
"glückliche Abschluss" einer Entwicklung gewesen, die viele
Jahre früher begonnen und nicht nur in Deutschland, sondern
fast überall in Mittel- und Osteuropa stattgefunden habe.
Die Ereignisse am 17. Juni 1953 seien von Teilnehmern wie Beobachtern eher als eine "tragische Episode" denn als Beginn einer neuen Epoche wahrgenommen worden.
Richard Schröder, 1990 Mitglied der ersten und letzten freien
Volkskammer der DDR und danach kurze Zeit
SPD-Bundestagsabgeordneter, sagte, am 17. Juni 1953 sei es in 700
Orten der DDR zu Streiks und Demonstrationen aufgrund einer
zehnprozentigen Normerhöhung für Bauarbeiter gekommen,
die aus Anlass des 50. Geburtstags des Staatsratsvorsitzenden
Walter Ulbricht verordnet worden sei. 10.000 Demonstranten seien
zum Politbüro gezogen, das die Normerhöhung daraufhin
zurückgenommen habe.
Doch nicht nur die Rücknahme der Normerhöhung, sondern auch freie und geheime Wahlen hätten die Demonstranten gefordert. Allein in Berlin seien 150.000, im ganzen Land eine Million Menschen auf der Straße gewesen.
Die Besatzungsmacht Sowjetunion habe den Ausnahezustand ausgerufen,
600 sowjetische Panzer seien aufgefahren, 18 Personen seien
standrechtlich erschossen worden. Insgesamt werde die Zahl der
Toten auf 60 bis 150 geschätzt, 13.000 seien verhaftet
worden.
"Was als Streik begann, wurde in wenigen Stunden eine Demonstration mit politischen Forderungen", sagte Schröder. Auf dem Land hätten die Bauern demonstriert. Hunderttausende seien nach Westdeutschland geflüchtet.
Die Folge des 17. Juni sei gewesen, dass Ulbricht seine Position
stärkte und die Sozialistische Einheitspartei (SED)
säuberte. Wer mit Forderungen der Demonstranten
sympathisierte, sei ausgeschlossen worden.
Zugleich habe die SED begonnen, die Lebensverhältnisse zu verbessern. Das Ziel seien "zufriedene Knechte" gewesen. In der Lesart der SED sei der 17. Juni ein "von außen gelenkter faschistischer Putsch" gewesen.
"Es nötigt einem Bewunderung ab, dass der Wunsch nach
Einigkeit und Recht und Freiheit danach so mächtig wurde.
Widerlegt wurde, dass Deutschen der Untertanengeist angeboren ist",
bewertete Schröder die Folgen des Volksaufstands. Nach dem 17.
Juni seien Arbeiter-Kampfgruppen "zum Kampf gegen die
Konterrevolution" gegründet worden. 346
Kampfgruppenangehörige hätten den Befehl verweigert, weil
sie Demonstranten nicht für Konterrevolutionäre hielten:
"Auch hier gibt es Leute, die Respekt verdient haben", sagte
Schröder unter Beifall.