Ein heute geborenes Mädchen hat eine 50-prozentige Chance, hundert Jahre alt zu werden. Diese und andere Erkenntnisse aus der aktuellen Forschung zum demografischen Wandel in der Gesellschaft stellten zwei Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock am Mittwoch, 24. Juni 2009, bei einem Vortrag in der Veranstaltungsreihe W-Forum der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages in Berlin vor.
"Deutschland im Jahr 2025 – Politische Herausforderungen
durch den demografischen Wandel" lautete das Thema, das die beiden
Referenten, Dr. Andreas Edel und Harald Wilkoszewski, den
zahlreichen Zuhörern im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
nahebrachten.
War die Darstellung des Bevölkerungsaufbaus nach Altersgruppen im Jahr 1910 noch als perfekte Pyramide möglich, so gleicht er gegenwärtig eher einem Tannenbaum. Bis zum Jahr 2025 wird die Basis noch schlanker werden und die höheren Altersgruppen werden aufgrund des Geburtenrückgangs einen deutlichen Überhang bilden, sagte Wilkoszewski.
"Die Bevölkerung altert nicht nur, sie schrumpft auch", sagte
der Wissenschaftler. Bis 2025 sei mit einem
Bevölkerungsrückgang von jetzt etwa 82 Millionen auf dann
rund 79 Millionen zu rechnen. Die Veränderungen im
Altersaufbau werden sich dann auch auf das Thema der politischen
Repräsentanz verschiedener Altersgruppen auswirken, denn
ältere Bürger machten eher von ihrem Wahlrecht Gebrauch
als Jüngere.
"Der demografische Wandel findet bereits heute statt, und nicht nur in der Zukunft", machte Wilkoszewski klar. Gesellschaftspolitisch bestehe Handlungsbedarf, um die Rahmenbedingungen für die wesentlichen Lebensphasen Ausbildung (etwa bis 25 Jahre), Arbeit (25 bis 60 Jahre) und Ruhestand (der bei erhöhter Lebenserwartung 40 Jahre dauern könne), zu organisieren. Eine Konsequenz könne etwa sein, sich über den gesamten Lebensverlauf hinweg weiterzubilden.
Es werde mehr Kinderlose, mehr Alleinstehende geben, auch da sei
die Politik gefragt, so Wilkoszewski. Man könne nicht von
Vornherein erwarten, dass alle aufgrund der höheren
Lebenserwartung "hinzugewonnenen Jahre" in gesundem Zustand
verbracht werden, was auch für das Gesundheitswesen von
Bedeutung sei.
Andererseits gebe es auch deutliche Anzeichen dafür, dass "gesund" gealtert wird. Heute 75-Jährige seien körperlich so fit wie 60-Jährige vor 30 Jahren. Körperliche Fitness und Wohlstand motivierten die Leute, Rechte einzufordern, auch Mitspracherechte.
Eine der wichtigsten Botschaften ist für Wilkoszewski die
"Trägheit demografischer Prozesse". "Man sollte sie nicht
punktuell zu beeinflussen versuchen. Im Hinblick auf die Alterung
der Gesellschaft sei aufgrund dieser Trägheit "nicht viel zu
machen". Der Wissenschaftler riet, das Thema weder zu verharmlosen
noch zu dramatisieren. Er plädierte auch dafür, den
Begriff "Überalterung", der höchst problematisch sei,
nicht zu verwenden. Vielmehr solle man von einer
"defizitorientierten Sichtweise" zu einer Perspektive der Chancen
des demografischen Wandels kommen.
Einerseits sei Familienförderung nicht zuletzt wegen des klaren Verfassungsauftrages mehr geboten denn je, so Wilkoszewski in der anschließenden Diskussion, andererseits sei es riskant, auf nachhaltige Effekte familienpolitischer Maßnahmen zu setzen. Die Frage könne nicht sein, Familienpolitik zu betreiben oder den demografischen Wandel "einfach auszusitzen".
Andreas Edel fügte hinzu, familienpolitische Effekte
könnten theoretisch die Auswirkungen des demografischen
Wandels abfedern. Familienpolitik an sich könne aber nicht die
Alterung der Bevölkerung aufhalten. Familie und Kinder
müssten gefördert werden, da Kinder ein
gesellschaftliches hohes Gut darstellten. Allerdings müssten
sich jene, die allein die vermeintlichen demografischen Effekte im
Blick hätten, auf eine gewisse "Frustrationstoleranz"
einstellen.
Es gebe Modellrechnungen, so Edel weiter, wonach durch eine Umverteilung von Lebensarbeitszeit viele Probleme in den Griff zu bekommen wären. So könnte das Ende des Arbeitslebens hinausgezögert werden, um dafür in der Familienphase in der Lebensmitte Freiräume zu schaffen. Ob dies ökonomisch durchsetzbar wäre, sei eine andere Frage.
"60 Jahre Bundestagsverwaltung" wird das Thema des nächsten
W-Forums am Mittwoch, 9. September 2009, sein. Gäste sind dann
zwei frühere Direktoren beim Deutschen Bundestag, Rudolf Kabel
(1991 bis 1998) und Dr. Peter Eickenboom (1998 bis 2002) sowie der
amtierende Direktor, Staatssekretär Dr. Hans-Joachim
Stelzl.