Herr Solms, das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat gestärkt werden müssen, bevor Deutschland den Lissabon-Vertrag ratifiziert. Das ist doch ein guter Schlusspunkt am Ende dieser Legislaturperiode, oder?
Auf jeden Fall, denn das Bundesverfassungsgericht hat damit die parlamentarischen Rechte gestärkt. Das Urteil bestätigt die Meinung der FDP: Ja zur europäischen Union, aber auch ein Ja dazu, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages als gewählter Vertretung des deutschen Volkes gestärkt werden müssen. Das war ein Grund, warum wir als FDP-Fraktion dem Begleitgesetz nicht zugestimmt haben.
Aber ist es tatsächlich integrationsfördernd, wenn die
nationalen Parlamente stärkere Mitspracherechte erhalten und
sich EU-Entscheidungen dadurch auch verzögern
können?
Es war längst überfällig, dass der Anspruch der Europäischen Kommission, in allen Sachgebieten die bestimmende Funktion zu haben, begrenzt wird. Da es keinen Europäischen Gerichtshof gibt, der über diese Zuständigkeiten entscheidet, lag es zwangsläufig in der Hand des Bundesverfassungsgerichts, diese Zuständigkeiten klar zu regeln.
Der Bundestag wird im August über ein neues Begleitgesetz
beraten. Da es um seine eigenen Belange geht: Wäre es nicht
wünschenswert, auch die Opposition in die Gestaltung mit
einzubeziehen?
Das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Es geht ja nicht um parteipolitische Fragen, sondern um grundsätzliche verfassungsrechtliche Kompetenzen. Fragen von solcher Tragweite sollten, wenn irgend möglich, mit breiter Mehrheit beschlossen werden.
Noch ein weiteres Urteil aus Karlsruhe steht aus, das die Arbeit
des Bundestages direkt betrifft: FDP, Grüne und Linksfraktion
verlangen nach ihren Erfahrungen im BND-Untersuchungsausschuss mehr
Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Regierung. Was
versprechen Sie sich von dem Urteilsspruch?
Auch hier erwarte ich eine Klärung dessen, was die Rechte und Aufgaben des Parlamentes sind und wo die Geheimhaltungsansprüche der Bundesregierung enden. Es ist wichtig, dass mühsame und dauerhafte Streitigkeiten in Zukunft vermieden werden können. Das einzige Gremium mit der Kompetenz zu einer solchen Grenzziehung ist in Deutschland eben das Bundesverfassungsgericht.
Nun gab es seit Beginn der Legislaturperiode immer wieder Stimmen,
die sagen, fünf Fraktionen im Bundestag seien zu viel. Je mehr
kleine Parteien, desto schwieriger die Willensbildung. Was ist Ihre
Erfahrung als Bundestagsvizepräsident?
Vor allem bin ich überzeugter Demokrat. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, und wenn das Volk fünf Parteien in den Deutschen Bundestag entsendet, dann ist das eben so. Es hat sich ja auch herausgestellt, dass wir mit fünf Fraktionen und sechs Parteien leben und arbeiten können. Viel schädlicher war, dass die Große Koalition eine Mehrheit mit zwei Dritteln der Abgeordneten gebildet hat und dadurch die Vorschläge der Opposition häufig erst gar nicht zur Kenntnis genommen worden sind geschweige denn zu Änderungen geführt hätten.
Manche Kritiker gehen sogar so weit, für eine Abschaffung der
Verhältniswahl zu plädieren und nur noch eine
Mehrheitswahl nach angelsächsischem Vorbild
durchzuführen. Damit hätten kleine Parteien kaum Chancen
auf Mandate.
Das sind höchst undemokratische Überlegungen. Natürlich wäre die Machtausübung für große Parteien mit einem solchen, ausschließlichen Wahlsystem einfacher. Aber darum geht es nicht. Das Verhältniswahlrecht ist in Deutschland in der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung anerkannt. Es repräsentiert viel besser die gesellschaftspolitischen Strömungen in diesem Land. Und es gibt aus dem Volk heraus keinen Entschluss, das zu ändern.
Die FDP spielte über zehn Jahre die Rolle einer kleinen Partei
in der Opposition. War es nicht auch angenehm? Die
Prügelknaben sind schließlich immer die
anderen.
Na ja, wir sind eine kleine, aber immer größer werdende Partei. Die FDP war in dieser Legislaturperiode die größte Oppositionspartei und hat die Chancen, die sich dadurch bieten, auch genutzt. Ein Nachteil war das unausgewogene Verhältnis von Regierung und Opposition. Die beiden großen Fraktionen haben es mit ihrer Übermacht oft als nicht nötig befunden, auf die Interventionen der Opposition überhaupt einzugehen. Das hat der Debattenkultur im Deutschen Bundestag nicht gut getan.
In punkto Parteienfinanzierung blieb allerdings auch der FDP die
Rolle des Prügelknaben nicht erspart. Nun hat die
Bundestagsverwaltung der Partei einen Strafzahlungsbescheid
über mehr als vier Millionen Euro ausgestellt. Zahlt die
Bundespartei nun die Zeche für die Verfehlungen des
Landesverbandes Nordrhein-Westfalen?
Wir haben immer zu unserer Verantwortung in der so genannten „Spendensache Möllemann“ gestanden und konsequente eigene Aufklärungsarbeiten geleistet. Wir sind ja selbst hintergangen worden. Den Bescheid des Präsidenten des Deutschen Bundestages werden wir rechtlich prüfen und dann in enger Abstimmung mit dem Landesverband Nordrhein-Westfalen entscheiden, ob und in welchem Umfang gegen den Bescheid Rechtsmittel eingelegt werden. Die Handlungs- und Kampagnenfähigkeit der Partei ist dadurch jedoch nicht gefährdet.
Nicht Millionen, sondern Milliardenbeträge spielten im letzten
Jahr dieser Legislaturperiode die Hauptrolle. War die
Verabschiedung des Bankenrettungsgesetzes auch für Sie ein
Höhepunkt?
Es war kein Höhepunkt – eher ein Tiefpunkt, was die Dramatik und das Volumen angeht. Der Staat und seine Organisationen zur Überwachung der Banken und Risiken haben versagt und das Fehlverhalten Einzelner nicht erkannt. Dafür ist staatliche Regulierung und Überwachung aber da. Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war, musste das Parlament diesen riesigen Rettungsschirm ausbreiten, um einen völligen Zusammenbruch der Finanzwirtschaft zu verhindern. Für das Parlament als Herr über den Haushalt und damit Treuhänder der Steuerzahler kein schöner Moment. Für das Versagen der Regierung und einzelner Banken muss nun der Steuerzahler die Zeche zahlen.
Sie bringen Ihre Forderungen seit kurzem auch auf Youtube in Ihrem
monatlichen Videokommentar mit Otto Fricke unters Volk. Reicht
Ihnen der Schlagabtausch im Bundestag nicht mehr aus?
Wir haben versucht, eine neue Form der Kommunikation zu finden. Das war einfach mal ein Experiment. Und als die Resonanz positiv war, haben wir das fortgesetzt. Wir haben unseren Spaß dabei. Das Internet bietet einfach so viele Möglichkeiten, da kann man improvisieren und einfach mal was Neues wagen.
Der Schlagabtausch für die nächste Bundestagswahl geht
langsam in die heiße Phase. Das Wahlrecht bleibt nun aber
noch das alte und damit verfassungswidrig. Ist das richtig
so?
Man kann das Wahlrecht nicht in der letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl ändern. Das wäre ausgesprochen unseriös. Zumal der Vorschlag der Grünen nicht erfolgversprechend ist. Er ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Wie soll denn beispielsweise die Verrechnung von Mandaten über die Landesgrenzen hinweg funktionieren, wenn die CSU nur in Bayern antritt? Das Bundesverfassungsgericht hat dem Deutschen Bundestag ja bewusst eine Frist bis 2011 gesetzt. Der neue Bundestag kann also ohne Zeitdruck Reformalternativen diskutieren.