Bis zu seinem Ausscheiden im Juni 2008 war die Hypo Real Estate Bank (HRE) kein zentrales Thema im Bundesfinanzministerium (BMF). Das sagte der ehemalige Staatssekretär im BMF, Thomas Mirow, am 28. Juli 2009 als Zeuge vor dem HRE-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Vielmehr hätten damals die „erheblichen Probleme“ verschiedener Landesbanken im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Bei der HRE hingegen seien zwar Risiken durch den Handel mit strukturierten Produkten bekannt gewesen, nicht jedoch ein Liquiditätsproblem, sagte Mirow.
Auch nach der Adhoc-Mitteilung vom 18. Januar 2008, in der von
einem erhöhten Abschreibungsbedarf bei der HRE die Rede war,
habe es nach Aussage der Bundesanstalt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) „keine
Bestandsgefahr“ gegeben.
Auf Nachfrage der Abgeordneten bestätigte der ehemalige Staatssekretär, am 23. Januar einen Brief des BaFin-Chefs Jürgen Sanio erhalten zu haben, in dem dieser ihn darüber unterrichtete, Ende 2007 Sachverhalte bei der HRE aufgedeckt zu haben, über die der HRE-Vorstand bisher nicht informiert hatte. „Dabei war nicht von Liquiditätsproblemen die Rede“, sagte Mirow.
Mit Sanio sei er so verbleiben, dass der Bafin-Chef „auf mich
zukommen wird, wenn es weitere Probleme bei der Bank gibt“.
Das sei bis zu seinem Ausscheiden aus dem Ministerium jedoch nicht
der Fall gewesen.
Auf die Frage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, ob es im BMF „Drehbücher für einen Krisenplan“ gegeben habe, entgegnete der Zeuge, so etwas habe er „zu keiner Sekunde in Erwägung gezogen“. Zum einen könne man die Lage ohnehin nicht korrekt simulieren und zum anderen müsse mit einer nachteiligen Reaktion der Märkte gerechnet werden, würde jemand „davon Wind bekommen“. Mirow wehrte sich gegen den Vorwurf, passiv gehandelt zu haben. Die Entwicklung der Märkte sei nun einmal nicht vorauszusehen.
Die Einschätzung Mirows, die HRE-Krise sei vor dem 15.
September 2008 „nicht absehbar“ gewesen, teilte auch
der zweite geladene Zeuge. Axel Wieandt, seit 13. Oktober 2008
Vorstandsvorsitzender der HRE, bezeichnete die unvorhersehbare
Pleite von Lehman Brothers als „Auslöser“ der
Krise.
Wieandt, der bis zu seiner Ernennung zum HRE-Vorstandsvorsitzenden bei der Deutschen Bank für die Konzernentwicklung zuständig war, äußerte sich vor dem Ausschuss trotz intensiver Nachfragen nicht zu einer eventuell schon vor der Lehman-Pleite vorhanden Schieflage der Bank. Bis zu seinem Wechsel zur HRE habe er sich nicht mit deren Liquiditätssituation befasst, sagte der Zeuge.
Nach der im Oktober zwischen den zwei
„Bankenrettungswochenden“ nötig gewordenen
Aufstockung des Rettungspakets von 35 auf 50 Milliarden Euro
befragt, sagte er, dies gehe auf „Verwerfungen auf den
Geldmärkten“ zurück. Daher habe es einen
höheren Liquiditätsbedarf gegeben. Keine Stellung nehmen
wollte er zu der Aussage, der erhöhte Liquiditätsbedarf
habe mit falschen Zahlen, die der ehemalige HRE-Vorstand Georg
Funke genannt haben soll, zu tun.
Ob die Herabstufung der HRE bei den Rating-Agenturen mit einer Bemerkung von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), der von der „Abwicklung“ der HRE gesprochen hatte, in Verbindung zu bringen sei, wollte Wieandt nicht kommentieren. Bei seinen Gesprächen mit Rating-Agenturen habe die Aussage keine Rolle gespielt, sagte er.
Auf Nachfrage stellte Wieandt klar, dass 80 Prozent der staatlichen
Garantien für die HRE nach Irland gegangen seien, um die dort
beheimatete HRE-Tochter Depfa zu retten. Das sei nicht zu
verhindern gewesen, so der Vorstandsvorsitzende, da ohne die Depfa
die gesamte HRE-Gruppe nicht hätte gerettet werden
können.
Im Kern soll das unter dem Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD) tagende Untersuchungsausschuss herausfinden, ob das wesentlich durch die Schieflage der Depfa verursachte Desaster der HRE allein durch die Pleite des US-Instituts Lehman Brothers und durch den folgenden Zusammenbruch des Interbankenmarkts Mitte September 2008 herbeigeführt wurde – oder ob ein frühzeitiges Eingreifen von Regierung, BaFin und Bundesbank das HRE-Debakel hätte verhindern oder abmildern können.
Die HRE wird zwischenzeitlich mit fast 90 Milliarden Euro an
öffentlichen Garantien gestützt und steht vor der
Verstaatlichung. Die bislang befragten Zeugen aus der Fachebene von
BaFin, Bundesbank und Finanzministerium erklärten, schon vor
dem Lehman-Fiasko hätten bei der Depfa und der HRE
Liquiditätsrisiken existiert, die Depfa-Refinanzierung sei
riskant gewesen, auch seien Probleme beim Risikomanagement offenbar
geworden.
Allerdings habe trotz dieser Schwierigkeiten die Refinanzierung von Depfa und HRE bis September 2008 funktioniert, auch hätten Eigenkapitalausstattung und Liquiditätslage bis zu diesem Zeitpunkt den Vorschriften entsprochen. Ein ehemaliger Risikocontroller der HRE führte hingegen aus, bereits mit dem 2007 erfolgten Erwerb der stark durch kurzfristige Refinanzierungen belasteten Depfa sei das Umfallen der HRE programmiert gewesen.
Am Mittwoch, 29. Juli, will das parlamentarische Gremium Manfred
Nötzel anhören, der als Leitender Oberstaatsanwalt in der
bayerischen Hauptstadt für die Ermittlungsverfahren im
HRE-Umfeld zuständig ist, sowie den Chef der Commerzbank,
Martin Blessing, und Wolfgang Sprißler, Vizevorsitzender des
Aufsichtsrats bei der Hypo-Vereinsbank..
Am Donnerstag tritt mit BaFin-Chef Jochen Sanio sowie Bundesbankpräsident Prof. Dr. Axel A. Weber und dessen Vize Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler die Spitzengarde der Bankenaufsicht vor dem Ausschuss auf. Bislang wurden mehrere mit der Kontrolle von HRE und Depfa befasste Vertreter der Fachebene aus den Reihen dieser Institutionen vernommen.
Sanio, Weber und Zeitler sollen den Abgeordneten berichten, wie
sich aus ihrer Sicht die Krisenlage bei HRE und Depfa bis Mitte
September 2008 und die folgenden Rettungsaktionen dargestellt
haben. Für kontroverse Diskussionen dürfte auch bei
diesen drei prominenten Zeugen die Frage sorgen, ob BaFin,
Bundesbank und Regierung sich nicht schon vor der Lehman-Pleite bei
der HRE hätten einschalten müssen.
Die letzten drei öffentlichen Sitzungen des Untersuchungsausausschusses sind für den 18., 19. und 20. August vorgesehen. Dann sollen unter anderen Finanzminister Peer Steinbrück, dessen Staatssekretär Jörg Asmussen und Jens Weidmann angehört werden, der wirtschaftspolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel.
Nach den bisherigen Planungen will das Gremium am 18. September und
damit rund eine Woche vor der Bundestagswahl den Abschlussbericht
verabschieden.
Zeit: | Mittwoch, 29. Juli 2009, 9:30 Uhr |
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Ort: | Paul-Löbe-Haus, Raum 4 900 |
Zeugenvernehmung von: |
Eckehard Schmidt, Treuhänder, München |
Zeit: | Donnerstag, 30. Juli 2009, 9.30 Uhr |
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Ort: | Paul-Löbe-Haus, Raum 4.900 |
Zeugenvernehmung von: | Jochen Sanio, Bonn Prof. Dr. Axel A. Weber, Frankfurt am Main Prof. Dr. Franz-Christoph Zeitler, Frankfurt am Main |
Medienvertreter müssen sich im Pressereferat des Bundestages schriftlich anmelden (Fax 030/227-36192). Bei Platzmangel kann pro Redaktion nur ein Platz besetzt werden. Der Ausschuss entscheidet jeweils vor der Vernehmung über die Möglichkeit von Auftaktbildern. Während der gesamten Sitzung sind elektronische Aufnahmen verboten.