Das Verhältnis von Nationalstaat und Europäischer Union haben mehrere Abgeordnete am 26. August 2009 in den Mittelpunkt ihrer Redebeiträge zu den geplanten Begleitgesetzen zum EU-Grundlagenvertrag von Lissabon gestellt. Die Fraktionen hatten zur ersten Lesung fünf Gesetzentwürfe eingebracht, über die der Bundestag am 8. September abstimmen will. Die Neuregelungen waren erforderlich geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht am 30. Juni das Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag wegen unzureichender Beteiligungsrechte für Bundestag und Bundesrat an Rechtsetzungen und Vertragsänderungen auf EU-Ebene für verfassungswidrig erklärt hatte.
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, sagte, die EU sei die beste Voraussetzung dafür, dass Krieg und Nationalismus in Europa dauerhaft überwunden werden. "Wir brauchen Europa, wenn wir deutsche Interessen in der Welt glaubhaft vertreten wollen", sagte Oppermann. Das Grundgesetz wolle das vereinte, demokratische und soziale Europa. Bundestag und Bundesrat müssten künftig in EU-Angelegenheiten befragt werden, und zwar "nicht nur im Nachhinein". Die Bundesregierung müsse Stellungnahmen des Bundestages bei ihren Verhandlungen in Brüssel zugrunde legen. Nach außen bleibe die Bundesregierung unbeschränkt verhandlungsfähig, nach innen sei sie dem Bundestag voll rechenschaftspflichtig, unterstrich der SPD-Politiker.
Jörg van Essen (FDP) betonte: "Wir wollen Europa verbessern. Wir haben gesehen, dass einige Kräfte im Land Europa offensichtlich nicht wollen." Der Bundestag erhalte nun zusätzliche Möglichkeiten, aber auch Pflichten. Zu viele Ausschüsse im Bundestag beschäftigten sich bisher zu wenig mit dem, was in Brüssel passiert. Die Länder seien in der Pflicht, auch ihre Landtage bei der Mitwirkung in EU-Angelegenheiten einzubinden. Ungeklärt ist nach Darstellung van Essens das Verhältnis des Europäischen Gerichtshofs zum Bundesverfassungsgericht: "Dieses Verhältnis muss geklärt werden."
Für Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU) hängen Nationalstaat und Europa existenziell voneinander ab. Auf viele Fragen gebe es keine nationalen Antworten mehr: die Ordnung der Kapitalmärkte sei international, ebenso der Terrorismus, der Klimaschutz, die Handelspolitik. Die europäische Integration, so Röttgen, sei die Möglichkeit, nationale Interessen zu vertreten: "Der Nationalstaat braucht Europa, Europa braucht den Nationalstaat." Ein Europa ohne die Mitgliedstaaten und deren kulturelle Identität sei nicht denkbar. "Wir müssen europäische Gesetzgebung, europäische Politik als Innenpolitik verstehen. Die demokratische und humane Gestaltung der Globalisierung dürfe nicht zu einer Entparlamentarisierung führen.
Dr. Gregor Gysi (Die Linke) wies darauf hin, dass erste die Klagen unter anderem der Linken vor dem Bundesverfassungsgericht zu dieser Debatte geführt hätten. Die Linke hatte sich an den Gesetzentwürfen der anderen vier Fraktionen nicht beteiligt, sondern einen eigenen Gesetzentwurf zu Änderungen des Grundgesetzes ( 16/13928) vorgelegt. "Vier Fraktionen wollen ein Europa der Eliten, wir wollen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger", betonte der Fraktionsvorsitzende. Wenn der Bundestag eine Stellungnahme abgebe, dann müsse diese auch für die Bundesregierung verbindlich sein, forderte Gysi.
Rainder Steenblock (Bündnis 90/Die Grünen) nannte den Karlsruher Richterspruch einen "Tritt ans Schienbein" des Bundestages, denn: "Das hätten wir alles schon vorher allein regeln können." Auch nach Meinung Steenblocks braucht es die Nationalstaaten und die europäischen Strukturen. Im Verhältnis von Parlament und Regierung sei es zu einem "schleichenden Prozess der Exekutivdemokratie" gekommen. Das Urteil sei daher auch eine Chance, "unser Selbstbewusstsein und unsere Identität als Parlamentarier wahrzunehmen". Steenblock sprach sich gegen ein imperatives Mandat des Parlaments aus, weil dies mit der politischen Wirklichkeit "nicht viel zu tun" habe.
Der Bundestag überwies die Gesetzentwürfe aller Fraktionen mit Ausnahme der Linken über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union ( 16/13923), über die Grundgesetzänderungen ( 16/13924) und über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union ( 16/13925) ebenso zur Beratung an die Ausschüsse wie den Gesetzentwurf von Union, SPD und FDP zur Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union ( 16/13926) sowie den Gesetzentwurf der Linken zur Änderung der Grundgesetzartikel 23, 45 und 93 ( 16/13928).