"Dazu weiß ich nicht mehr, als in der Zeitung stand", sagt der Zweimetermann und lacht etwas spitzbübisch, während ich heimlich die Finger meiner Rechten prüfe, ob sie Schaden genommen haben beim Händedruck zur Begrüßung. Dann wird Friedrich Merz wieder ernst: "Nein, nichts" antwortet er auf die nochmalige Frage, ob es denn wirklich kein Telefonat, keine Anfrage in Sachen Europäische Union - etwa als Kommissar - gegeben habe: "Es hat zu diesem Thema keinerlei Gespräche gegeben."
Als ich dann "wenigstens wissen" will, ob er denn gerne würde oder wolle, erwidert er ebenso freundlich wie entschieden, "über diese Frage brauche ich mir offenkundig keine Gedanken zu machen". Dennoch bezieht er natürlich Position zur EU-Politik, schließlich war er bis 1994 Abgeordneter im Europaparlament.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, der Bundestag müsse mehr mitentscheiden und mehr mitsprechen, "um einen schleichenden Prozess der ‚Entparlamentarisierung’ der Europapolitik zu stoppen, halte ich für absolut richtig", sagt Merz. Der Arm des Gerichts reiche "aber eben nur bis zum deutschen Parlament und nicht bis zum europäischen".
So gilt für ihn noch immer die Überzeugung der Fraktion, "dass wir den Prozess in der EU nicht verstanden wissen wollen als gouvernementalen Prozess, der aus den (nationalen) Parlamenten herausgelöst und auf die Exekutive übertragen wird". Es müsse vielmehr ein in gleichen Schritten erfolgender parlamentarischer Prozess zur Übertragung von Kompetenzen auf die europäische Ebene sein.
Problematischer scheint die Frage, warum er als Finanz- und Rechtsexperte im Plenum denn nicht zur weltweiten Krise Stellung genommen und wann er sich denn überhaupt das letzte Mal zu Wort gemeldet hat. Das erfordere eigentlich drei Antworten, sagt Merz: Generell entscheide die Fraktion, ob jemand etwas zu einem Thema sagen soll, und dann müsse in der derzeitigen Konstellation auch die Regierung erklären, ob sie das will oder nicht. An ihn jedenfalls sei "kein entsprechender Wunsch herangetragen" worden, und "meine letzte Rede im Plenum war, wenn ich mich recht erinnere, am 23. November 2004".
"Kritik von außen" wolle man angesichts dessen von ihm bitte nicht erwarten, erklärt der frühere Debattenprimus. Gleichwohl hat die Bundesregierung nach seiner Einschätzung "im Wesentlichen die richtigen Antworten gegeben" - auch wenn er sich "ein bisschen mehr europäische Koordinierung und gemeinsame europäische Politik" gewünscht hätte. Im Übrigen müsse man bedenken, "dass diese Krise, für die wir ja kein Vorbild haben, die Politik(er) und die gesamte Gesellschaft derart gefordert hat, dass wir bis jetzt eigentlich nur sagen können, ja, wir haben im Wesentlichen alles richtig gemacht".
Für wenig hilfreich hält Merz eine Problematisierung von zehn Milliarden Euro, die binnen zehn Tagen an die IKB Deutsche Industriebank AG geflossen sind, während Ministerin von der Leyen zwei Jahre habe kämpfen müssen, um zweieinhalb Milliarden für Kinder zu erhalten.
Er betont: "Wir müssen vielleicht noch stärker verdeutlichen, wie existenziell es für die ganze Volkswirtschaft ist, ein funktionsfähiges Bankensystem zu haben. Bestimmte Transaktionen sollten nicht in Beziehung zu Familien- oder Sozialpolitik oder anderen Themen gesetzt werden." Gut streiten lasse sich aber über fünf Milliarden Euro für die Abwrackprämie, ob man die nicht zumindest teilweise für Bildung hätte ausgeben sollen.
Die Entscheidung des früheren CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden, den Bundestag zu verlassen und nicht wieder zu kandidieren, war bereits im Februar 2007 gefallen. Er habe das früh bekannt gegeben, sagt Merz, weil man in seinem Wahlkreis "an lange Kontinuität gewöhnt ist". Er sei - "nach Heinich Lübke, Ernst Majonika und Ferdi Tillmann - erst der vierte Abgeordnete seit 1949 gewesen, dem die Bürger des Hochsauerlandkreises in Nordrhein-Westfalen (der früher allerdings anders zugeschnitten war) das Bundestagsmandat angetragen haben: "So etwas verpflichtet."
Nachfolger Patrick Sensburg könne sich auf seine "volle Unterstützung verlassen", auch wenn sich Merz nicht am Auswahlverfahren beteiligt habe ("ein Gebot der Fairness allen Kandidaten und auch der Partei gegenüber"). Bei so umsichtiger Betrachtung politischer Befindlichkeiten mag man Merz schwer glauben, dass er seine "bisherige Priorität der Politik in seinem Beruf zugunsten der Kanzlei ändern" wird. Auch wenn er unterstreicht, dass sich die Auftragssituation der Anwaltskanzlei nun eher verbessere, da Interessenkonflikte weitgehend ausgeräumt seien.
Merz räumt ein: "Meine Frau misstraut meinen Ankündigungen, dass es etwas besser wird nach meinem Ausscheiden. Vielleicht hat sie recht." Er selbst habe ja mitbekommen, wie schwer es ihm fällt, dass der unmittelbare Kontakt mit den Menschen im Wahlkreis abnimmt - auch wenn für ihn auf der anderen Seite manche Verpflichtungen entfallen.
Für ihn und die Familie bedeutet es auch eine Erleichterung, "nicht mehr jeden Tag in der Zeitung zu stehen." Natürlich freue er sich "auf ein bisschen mehr Privatleben und Zeit füreinander und darauf, mal wieder öfter ins Theater oder in die Oper gehen zu können". Aber viel Manövriermasse gebe es nicht, wiegelt er ab, denn "meine Frau arbeitet ganztags, und ich geh’ ja auch nicht in den Ruhestand, sondern habe nun ein paar Zusatzaufgaben in der Kanzlei".