Als der Bundestag vor 60 Jahren seine Arbeit aufnahm, hatten die meisten Abgeordneten keine eigenen Büros. Ähnlich bescheiden begann zur gleichen Zeit auch die Arbeit der Bundestagsverwaltung, wie Dr. Rudolf Kabel, Direktor beim Deutschen Bundestag von 1991 bis 1998 und damit Chef dieser Verwaltung, am Mittwoch, 9. September 2009, rückblickend deutlich machte. Kabel ist einer der drei noch lebenden ehemaligen Direktoren, die zusammen mit dem Amtsinhaber Staatssekretär Dr. Hans-Joachim Stelzl Redner einer Vortragsveranstaltung der Reihe W-Forum der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages waren. Thema: 60 Jahre Bundestagsverwaltung.
1961 habe die Bundestagsverwaltung 742 Mitarbeiter gezählt und sei damit eine der großen obersten Bundesbehörden gewesen, erinnerte sich Rudolf Kabel. Wie bescheiden die Stellenausstattung war, zeigt sich daran, dass der Bundestagspräsident gerade mal zwei Mitarbeiter hatte, während die Vizepräsidenten über kein eigenes Personal verfügten.
Personalentscheidungen habe der Präsident damals allein getroffen. Der Führungsstil sei ausgesprochen autoritär gewesen, nicht nur gegenüber der Verwaltung, sondern auch gegenüber den Abgeordneten, berichtete Kabel. "Die Atmosphäre war intimer, überschaubarer als heute", so der ehemalige Verwaltungschef weiter. Im höheren Dienst habe es nur 61 Mitarbeiter gegeben: "Die kannten einander."
Entscheidende Veränderungen seien 1969 eingetreten, nachdem Kai-Uwe von Hassel Eugen Gerstenmaier als Präsident abgelöst hatte. Auch in der Leitung der Parlamentsverwaltung gab es Wechsel: die Gründergeneration trat ab. Den Abgeordneten wurde erstmals ermöglicht, aus Haushaltsmitteln des Bundestages eigene Mitarbeiter einzustellen.
1975 zählte die Parlamentsverwaltung bereits 1.645 Personen: "Stellenvermehrungen waren damals nichts Ungewöhnliches", so Rudolf Kabel. Die Folge: Die "alte Arbeitsweise" konnte nicht beibehalten werden, wobei die Umstellung auf "geordnete, nachvollziehbare Verfahren" nicht einfach gewesen sei, weil sie auch als "Bürokratisierung und Hierarchisierung" empfunden worden sei.
Staatssekretär a.D. Dr. Peter Eickenboom stand von 1998 bis 2002 an der Spitze der Bundestagsverwaltung, weshalb sich sein Vortrag auch überwiegend mit der Phase des Umzugs von Bonn nach Berlin befasste. Atmosphärisch seien die neunziger Jahre ein "langer Marsch zwischen Aufbruchstimmung, Pflichtgefühl und Wehklagen" gewesen. Noch 1995 hätten 74 Prozent der Beschäftigten in einer Umfrage erklärt, lieber in Bonn bleiben zu wollen.
Das Misstrauen in der Politik, die Verwaltung könnte den Umzugsbeschluss unterlaufen, sei erst langsam abgeebbt, ohne allerdings "ganz zu verschwinden". Die Verwaltung habe damals die Aufgabe erhalten, die "Aktionsfähigkeit des Bundestages jederzeit sicherzustellen". Der eigentliche Umzug der Verwaltung spielte sich vom 5. bis 31. Juli 1999 ab. 24 Eisenbahnzüge mit Umzugsgut fuhren von Bonn nach Berlin. Im September habe dann der Ältestenrat des Bundestages erklärt, dass der Umzug "gelungen" sei.
Die heutige Bundestagsverwaltung als Dienstleister für die Abgeordneten skizzierte der derzeitige Direktor Staatssekretär Dr. Hans-Joachim Stelzl. Die Europapolitik gewinne immer mehr an Bedeutung. Aus diesem Grund habe der Bundestag im Jahr 2007 ein eigenes Büro in Brüssel eröffnet, einen "strategischen Brückenkopf" aus Bundestags- und Fraktionsmitarbeitern. Der monatliche Bericht aus Brüssel sei eine wichtige Informationsquelle für die Abgeordneten. Stelzl erwähnte ferner die elektronischen Informationsmöglichkeiten für die Abgeordneten wie etwa den Bibliothekskatalog, den digitalen Bilderdienst, das Informationssystem zum Stand der Gesetzgebung.
Vier Millionen Besucher monatlich verzeichnet der Internetauftritt des Bundestages, 330.000 Zugriffe das WebTV mit der Video-on-Demand-Abruffunktion. Die neue Internet-Startseite sei "ansprechend gestaltet". Stelzl verwies ferner auf das neue Corporate Design des Bundestages, auf den Audio-Guide für die Besucher der Reichstagskuppel mit ihren drei Millionen Besuchern jährlich und auf die Möglichkeit, auf elektronischem Wege Petitionen einzureichen, mitzuzeichnen und in einem Online-Forum zu diskutieren. Dies sei eine "wichtige und völlig neue Form der Demokratie".
Prof. Dr. Wolfgang Zeh, Direktor beim Deutschen Bundestag von 2002 bis 2006, setzte sich mit den Rechten des Parlaments auseinander, wobei er auf jüngste Urteile des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag und zum Auskunftsanspruch des Parlaments gegenüber der Bundesregierung Bezug nahm. Zeh stellte klar, dass die Bundesregierung ein Produkt des Bundestages sei, das vom Bundestag so lange im Amt gehalten werde, wie der Bundestag das wolle. Die Regierung sei "Fleisch vom Fleische des Parlaments", das zugleich deren Personalreservoir sei.
Die Frontlinie verlaufe nicht mehr wie in der klassischen Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament, sondern durch das Parlament hindurch. Die Mehrheit im Parlament nehme eine "mitsteuernde Kontrolle" der Regierung wahr, während die Opposition eine andere Regierung wolle und ihr daher die Zustimmung entziehe. "Das ist keine verschwiemelte Verfassungswirklichkeit, sondern das ist das Grundgesetz, die Verfassung", betonte Zeh.
Im Unterschied zum Parlament der Weimarer Republik müssten die Abgeordneten heute dafür geradestehen, "wie das Land regiert wird". Die Bundestagsverwaltung müsse dies verteidigen, denn das Regieren, mitgetragen von der Mehrheit im Parlament, sei genauso legitim, wie das Opponieren. Diese kontroverse, funktional gespaltene Existenz des Parlaments sei ein Alleinstellungsmerkmal der Bundestagsverwaltung und mache ihre Unverwechselbarkeit aus, unterstrich Professor Zeh.