Dass Lothar Ibrügger 2009 nicht noch einmal für den Bundestag kandidiert, entschied er bereits 2007, und es entspricht exakt seiner Lebensplanung. Es ist eine bewusste persönliche Entscheidung. Der SPD-Abgeordnete wird in diesem Jahr 65 Jahre alt, und seine Frau scheidet im Sommer 2010 aus dem Schuldienst als Schulleiterin aus. "Nach 33 Jahren im Bundestag kann ich tatsächlich wieder familiär planen und mir private Dinge vornehmen", sagt der studierte Architekt und Stadtplaner, der nach Wolfgang Schäuble der dienstälteste direkt gewählte Parlamentarier im Deutschen Bundestag ist.
1976 kandidierte er zum ersten Mal für den Bundestag, da war er 32 Jahre alt und selbstständiger Stadtplaner. "Damals konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich 33 Jahre lang Abgeordneter bleiben würde. Ich hatte zwar immer ein ganz klares Mandat meiner Wähler im Wahlkreis Minden-Lübbecke (Nordrhein-Westfalen), und die Erwartungen, die die Menschen in mich gesetzt haben, waren mir immer sehr wichtig - aber vorgenommen hatte ich mir das nicht. In den 33 Jahren gewann ich neun Mal hintereinander ein Direktmandat - und daraus wurde dann diese lange Zeit", sagt er resümierend. Sein Prinzip war, immer zwei Jahre nach der Wahl zu entscheiden, ob er wieder antritt oder nicht. "Das gebietet die Fairness gegenüber der Partei, der man angehört", sagt Lothar Ibrügger.
Politisch geprägt haben den jungen Abgeordneten zu Beginn seiner Parteikarriere vor allem Willy Brandt und Helmut Schmidt sowie Johannes Rau, mit dem er über viele Jahre befreundet war. Diese Politiker hatten Visionen, die Lothar Ibrügger halfen, politische Entscheidungen zu treffen und mitzutragen, um den Menschen zu nützen.
In mehr als drei Jahrzehnten hat Lothar Ibrügger als Abgeordneter sehr viel erreicht. Er war Mitglied des Europäischen Parlaments, von 1998 bis 2000 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen - dort schied er auf eigenes Verlangen aus, um dem Direktmandat Vorrang zu geben -, leitete zahlreiche Ausschüsse oder war deren Generalberichterstatter. Seit 1981 ist er Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO. Auch dort ist er dienstältester Abgeordneter.
"Belebend und lehrreich"
Seine Mitarbeit im Europäischen Parlament hat ihm besonders viel gegeben. Lothar Ibrügger sagt: "Die Zusammenarbeit mit Parlamentariern anderer Nationen in einem zusammenwachsenden Europa war für mich immer belebend und lehrreich. Dort habe ich auch gelernt, "über den eigenen Tellerrand zu schauen und empfand das immer als sehr wohltuend".
Die größte politische Enttäuschung war für den SPD-Politiker die "von der FDP mitbetriebene" Abwahl von Helmut Schmidt als Bundeskanzler 1982 - Folge eines Misstrauensvotums gegen Schmidt -, die zur Wahl von Helmut Kohl als Bundeskanzler führte. "Eine in sich gespaltene FDP-Fraktion verletzte den klaren Wählerauftrag von 1980. Bis heute ist das für mich ein beispielloser Vorgang, der mich als Parlamentarier tief enttäuscht hat", sagt er.
Zu seinen wichtigsten Erfahrungen als Bundestagsabgeordneter zählt Lothar Ibrügger die Friedens- und Sicherheitspolitik und die Überwindung des Blockdenkens, das Ende des Kalten Krieges, die Öffnung der ungarischen Grenze zu Österreich, den Fall der Berliner Mauer und natürlich die deutsche Einheit.
"In den 1980er Jahren konnte wirklich niemand den Mauerfall vorhersehen, weil das über die eigene Vorstellungskraft hinausging. Es war einer der glücklichsten Momente, die ich als Politiker überhaupt erlebt habe", sagt Lothar Ibrügger.
Keinesfalls wird Lothar Ibrügger Langeweile bekommen, wenn die Termine im Bundestag, in den Ausschüssen oder Gremien entfallen - aber er wird die vielen freundschaftlichen Kontakte im NATO-Parlament, zum Beispiel mit Al Gore, Joe Biden oder anderen Persönlichkeiten, vermissen, die er nun nicht mehr so häufig, aber ganz sicher persönlich pflegen wird.
Nach dem Ende seiner politischen Laufbahn will Lothar Ibrügger seine freiberufliche Tätigkeit als Stadtplaner in Minden wieder aufnehmen, die er in all den Jahren nie ganz aufgegeben hatte. "Von den 80 bis 100 Arbeitsstunden pro Woche, die ich als Parlamentarier absolviert habe, war ich etwa fünf Prozent als Stadtplaner tätig. Ich werde mich dieser wunderbaren Aufgabe jetzt wieder intensiver zuwenden - auf eine neue berufliche Karriere bin ich dabei natürlich existenziell nicht angewiesen", sagt er. "Außerdem werde ich jetzt mit meiner Frau Reisen unternehmen und auch darauf freue ich mich natürlich."
Mit Entzugserscheinungen, weil Privilegien entfallen, rechnet Lothar Ibrügger ebenfalls nicht. "Ich bin ganz entspannt und habe mich deshalb auch nicht für eine Parteifunktion nach meiner Parlamentarierzeit entschieden. Man muss loslassen und abschließen können und genau das tue ich jetzt."