Berlin: (hib/) Der Europäische
Stabilitäts- und Wachstumspakt stellt nach Auffassung der
Deutschen Bundesbank keine ökonomische "Zwangsjacke" dar.
Vielmehr sei der Pakt ausreichend flexibel und vor allem ein
Instrument der Prävention, heißt es in der schriftlichen
Stellungnahme der Währungshüter zur heutigen
öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses, die um 16
Uhr im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus beginnt. Die geladenen
Sachverständigen nehmen zu dem Antrag von SPD und Bündnis
90/Die Grünen (
15/3957) Stellung, den Europäischen
Stabilitäts- und Wachstumspakt zu modifizieren. Gegenstand der
Anhörung sind darüber hinaus ein Antrag der CDU/CSU (
15/3719), den Pakt nicht zu ändern, sowie
ein Gesetzentwurf der FDP (
15/3721), die Stabilitätskriterien des
Paktes in das Grundgesetz aufzunehmen. Die Bundesbank
befürchtet, dass eine Lockerung der Haushaltsregeln in den
EU-Mitgliedstaaten zu Entwicklungen führen könnte, die
Konflikte zwischen Finanz- und Geldpolitik wahrscheinlicher werden
lassen. Der Anreiz zu solider Haushaltspolitik würde
vermindert und es würden falsche Signale an jene Länder
gesendet, in denen der Euro bislang noch nicht eingeführt
wurde. Auch der Bundesrechnungshof plädiert dafür, an den
"Eckpfeilern" des Paktes ohne Abstriche festzuhalten. Zu den
Eckpfeilern des Paktes sollten nach wie vor das öffentliche
Defizit von höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) und das Schuldenstandskriterium von höchstens 60 Prozent
des BIP gehören, weil sie erkennen ließen, ob die
Haushaltsdisziplin eingehalten wird. Die Rechnungsprüfer
schlagen darüber hinaus vor, den Pakt wirkungsvoller
anzuwenden. Dies gelte vor allem für eine bessere Transparenz
bei der Überwachung der Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten.
Auch könnte es sinnvoll sein, dem Schuldenstand mehr Gewicht
beizumessen, heißt es weiter. Das Institut für
Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen
Hans-Böckler-Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass der Pakt an
seinen ökonomischen Konstruktionsfehlern gescheitert ist. Die
Vorschläge der Koalition gehen den Wissenschaftlern nicht weit
genug, während sie die Empfehlungen von Union und FDP für
"ökonomisch kontraproduktiv" halten. Ein sinnvoll reformierter
Pakt müsse einen klaren Bezug zur Schuldenstandsquote haben.
Die zur Konsolidierung notwendige Zielgröße müsse
auch tatsächlich kontrolliert werden können. Empfohlen
wird, der nationalen Finanzpolitik erst dann Begrenzungen
aufzuerlegen, wenn die Schuldenstandsquote den mittelfristigen
Referenzwert von 60 Prozent des BIP zu überschreiten droht.
Statt einer Defizitquote sollte eine verbindliche Obergrenze
für die Wachstumsrate der Staatsausgaben vorgegeben werden.
Diese Obergrenze müsse unterhalb der durchschnittlichen
Wachstumsrate des nominalen BIP der letzten sechs bis acht Jahre
liegen. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hält es
ebenfalls für sinnvoll, dem Schuldenstand mehr Bedeutung
beizumessen. Die Vorschläge der EU-Kommission zur Reform des
Paktes werden von den Kieler Experten negativ bewertet. Eine
Finanzpolitik ohne bindende Regeln hätte gravierende
Auswirkungen, heißt es. Daher sollten die Regierungen ihr
Bekenntnis zum Pakt "in die Tat umsetzen". Auch der Chefvolkswirt
der Hypo-Vereinsbank, Martin Hüfner, hält die
Brüsseler Reformvorschläge für nicht
zielführend. Das Regelwerk verlöre seinen "Biss", wenn
die Drei-Prozent-Defizitgrenze relativiert würde. Professor
Hans-Hermann Francke von der Universität Freiburg
unterstützt den Vorschlag der FDP, in das Grundgesetz
aufzunehmen, dass das Verhältnis zwischen dem
öffentlichen Schuldenstand und dem Bruttoinlandsprodukt den
Wert von 60 Prozent nicht überschreiten darf. Professor Rudolf
Hickel von der Universität Bremen hält dem entgegen, dann
existierten zwei unterschiedliche Arten der
Verschuldungsbegrenzung, wenn gleichzeitig Artikel 115 des
Grundgesetzes (Begrenzung der Nettokreditaufnahme durch die
Höhe der öffentlichen Investitionen) nicht gestrichen
wird. Hickel plädiert für Mut zur antizyklischen
Finanzpolitik und für eine Kooperation der Mitgliedstaaten in
der Finanzpolitik.
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Deutscher Bundestag, PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
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