Berlin: (hib/WOL) Behörden und
Gerichte in Deutschland halten sich nach Einschätzung der
Bundesregierung an die Vorgaben der Europäischen
Menschenrechtskonvention. Dies geht aus ihrer Antwort (
16/1045) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion
Die Linke (
16/870) hervor. Die Fragesteller hatten ein
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
vom Juni 2005 angeführt, wonach eine Aufenthaltsbeendigung
"einen unerlaubten Eingriff" in das Privatleben nach Artikel 8 der
Menschenrechtskonvention darstellt. Dies sei der Fall, wenn
Migranten über starke persönliche, soziale und
wirtschaftliche Kontakte zum Aufnahmestaat verfügen, einen
Großteil ihres Lebens dort verbrachten haben,
gesellschaftlich integriert sind und nicht wegen schwerer
Straftaten ausgewiesen wurden. Entsprechend hätten die
Verwaltungsgerichte Stuttgart und Darmstadt die jeweiligen
Ausländerbehörden verpflichtet, eine Aufenthaltserlaubnis
auszusprechen oder einen Aufschub bis zur Entscheidung in der
Hauptsache zu genehmigen. Die Linksfraktion hatte angeführt,
vielen Verwaltungsgerichten und vor allem
Ausländerbehörden in Deutschland sei die Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht
bekannt. Deshalb komme es in der Praxis häufig zu
Verstößen. Die Bundesregierung stellt klar, dass Artikel
8 der Konvention geltendes Recht in Deutschland "im Rang eines
förmlichen Bundesgesetzes" sei. Der Artikel richte sich auch
an Behörden und Gerichte, die so zu entscheiden hätten,
dass im konkreten Einzelfall kein Widerspruch zu dieser Norm
besteht. Das Bundesverfassungsgericht habe in einer Entscheidung
festgestellt, völkerrechtlich binde ein Urteil des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur die
EU-Vertragsstaaten. Innerstaatlich seien jedoch alle staatlichen
Organe verpflichtet, einen konventionsgemäßen Zustand
herzustellen. Die Regierung sieht keinen gesetzesgeberischen
Handlungsbedarf. So habe der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte zunächst seine Entscheidung bekräftigt,
wonach die Konvention Ausländern kein Recht auf Einreise und
Aufenthalt in einem Staat garantiert. Unbeschadet dessen könne
es aber sein, dass von den Staaten getroffene Einzelentscheidungen
unter gewissen Umständen einen Eingriff in das von der
EU-Menschenrechtskonvention geschützte Recht auf Achtung des
privaten Familienlebens darstellen. In zwei Einzelfällen war
der Gerichtshof zur Auffassung gelangt, dass die zuständige
Behörde ein Aufenthaltsrecht hätte gewähren
müssen, heißt es in der Antwort. Laut Regierung ist der
Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen, dass nationale Gesetzgeber
verpflichtet sind, eine Bleiberechtregelung für ganze
Personengruppen zu schaffen. Aus diesen Gründen sieht die
Regierung nach eigenen Angaben keinen Anlass, eine
Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen, um die EU-Konvention und
die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu sichern. Gleichwohl sei im
Koalitionsvertrag ausdrücklich die Absicht aufgenommen, im
Zuge der Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes zu prüfen, ob
eine befriedigende Lösung des Problems so genannter
Kettenduldungen erreicht worden ist und ob alle humanitären
Probleme etwa mit Blick auf die Deutschland aufgewachsenen Kinder
befriedigend gelöst sind.