Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 23. Februar 2009)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Viviane Reding, EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien spricht sich im Interview mit „Das Parlament“ für einen neuen Finanzierungsmix des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland aus: „Es gibt in Europa Beispiele von öffentlich-rechtlichen Sendern etwa in Großbritannien und Frankreich, die auf Werbung verzichten. Deshalb habe ich die politische Frage in den Raum gestellt. Ich habe gefragt, ob man in Deutschland nicht einmal über die Finanzierung nachdenken will.“ Reding hatte schon im vergangenen Jahr einen Werbeverzicht der öffentlich-rechtlichen Sender vorgeschlagen. Sie begründet dies mit größerer Unabhängigkeit: „Wer allein durch öffentliche Mittel finanziert wird, der gerät auf jeden Fall weniger in den Verdacht, Wettbewerb und Medienvielfalt zu verzerren.“
Gleichzeitig geht Reding davon aus, dass Deutschland die neue EU-Fernsehrichtlinie, die unter bestimmten Voraussetzungen und mit Kennzeichnungspflicht das sogenannte Product-Placment in TV-Produktionen erlaubt, zügig regelt : „Ich erwarte, dass Deutschland die Fernsehrichtlinie eins zu eins umsetzt. Ich habe versucht, diese so klar wie möglich zu halten. Daher meine Bitte an die Regierung, aus einem Artikel in einer EU-Richtlinie nicht 500 Artikel in einem deutschen Ausführungsgesetz zu machen.“
Nach dem neuen Rundfunkänderungsstaatsvertrag müssen die Öffentlich-Rechtlichen unter anderem nachweisen, dass ein Online-Angebot einen gesellschaftlichen Mehrwert bringt. Für diese Bewertung fordert Reding unabhängige Gutachter: „Am besten ist es, wenn externe Gremien den Drei-Stufen- oder auch Public-Value-Test übernehmen. Wir brauchen unabhängige und sachkundige Schiedsrichter. Andernfalls wird es automatisch zu Beschwerden seitens der Privaten kommen. Die EU-Kommission wird dem nachgehen, wenn sie berechtigt sind.“
Das Interview im Wortlaut:
Frau Reding, Sie haben einmal gesagt, mit Deutschland hätten Sie in den neun Jahren als Medienkommissarin mehr Arbeit gehabt als mit den anderen 26 Ländern zusammen. Sind sie mit dem neuen 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RFäSTv.) arbeitslos geworden?
Das bin ich Gott sei Dank nicht, denn ich habe ja nicht nur Rundfunk in meinem Ressort. Die ganze Technologieforschung, die Internet- und Telekom-Branche gehört zu meiner Generaldirektion. Da habe ich noch intensiv zu tun. In Deutschland besteht zum Beispiel weiter das Problem der „weißen Flecken“: Fast 30 Prozent der ländlichen Gebiete sind ohne Breitbandanbindung, also nicht mit schnellem Internet versorgt.
Der neue RFäStv. beinhaltet einen so genannten „Drei-Stufen-Test“. Das heißt, die Öffentlich-Rechtlichen müssen nachweisen, dass ein neues Angebot im Online-Bereich einen gesellschaftlichen Mehrwert bringt. Wo sehen Sie Änderungsbedarf?
Ich bin zunächst einmal sehr froh, dass Deutschland mit dem Vertrag seine Regeln wieder in Einklang mit europäischem Recht gebracht hat. Wenn er in Kraft tritt, wird meiner Meinung nach die Diskussion über die Anwendung der EU-Regelungen auf den Rundfunk in Deutschland ein Ende haben.
Unbeantwortet bleibt die Frage, wer das Ganze bewerten soll. ARD und ZDF wollen ihre Rundfunkräte damit beauftragen – die aber keine völlig unabhängigen Organe sind. Glauben Sie, dass sie diese Aufgabe trotzdem wahrnehmen können?
Am besten ist es, wenn externe Gremien den Drei-Stufen- oder auch Public-Value-Test übernehmen. Wir brauchen unabhängige und sachkundige Schiedsrichter. Je unabhängiger und stärker die Rundfunkräte werden, um so weniger wird sich die EU-Kommission um die deutsche Medienpolitik kümmern. Andernfalls wird es automatisch zu Beschwerden seitens der Privaten kommen. Die EU-Kommission wird dem nachgehen, wenn sie berechtigt sind.
Eine externe Kontrolle ähnlich dem britischen Modell der nationalen Aufsichtsbehörde Ofcom könnte hohe Kosten verursachen. Wie sehen Sie das?
Die Öffentlich-Rechtlichen haben in Deutschland 2008 rund 7,28 Milliarden Euro Gebühren eingenommen. Das ist bei Weitem europäische Spitze! Allein die Erhöhung der Rundfunkgebühr 2009 bringt den Sendern voraussichtlich 400 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen. Da geht es wirklich nicht darum, wie viel ein unabhängiger Public Value-Test kostet.
Einige EU-Staaten werfen der Kommission vor, sie beabsichtige eine schleichende Ausweitung ihrer Rechte in der Rundfunkpolitik. Was entgegnen Sie ihnen?
Zum Beispiel? Es wird immer geredet. Deshalb muss das noch nicht so sein. Die EU-Kommission ist Hüterin der Verträge und überwacht den Wettbewerb. Die bevorstehende Modernisierung der Rundfunkmitteilung wird an der Aufgabenverteilung zwischen Brüssel und den Mitgliedstaaten nichts ändern. Die Definition des Auftrags der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist Sache der Mitgliedstaaten, die Prüfung der Finanzierung durch EU-Wettbewerbsrecht Aufgabe der Kommission.
Sie wollen die „Digitale Dividende“ – freie Funkfrequenzen, die entstehen, da digitales Fernsehen weniger Frequenzen braucht als analoges – zugunsten des schnellen Internets verwenden. Warum?
Da hat sich sehr viel geändert! Noch vor ein paar Monaten waren weder die „weißen Flecken“ beim Breitband noch die „Digitale Dividende“ in Deutschland ein Thema. Jetzt aber gibt es eine Diskussion. Natürlich muss der Rundfunk einen Teil der Frequenzen bekommen, für neue Kanäle und für hoch auflösendes Fernsehen. Wir brauchen aber auch den drahtlosen Zugang zum Internet, weil wir mit der Glasfasertechnik nicht in jedes Bergdorf kommen.
Glauben Sie, Deutschland wird das letzten Endes so umsetzen?
Ja. Politiker können nicht zulassen, dass es in Sachen Internet Bürger erster und zweiter Klasse gibt. Das erste Mal, dass das sehr klar und deutlich zur Sprache kam, war während der Wahlen in Bayern. Deutschland würde sich andernfalls selbst ein Bein stellen. Die Wirtschaft und die Bürger brauchen diese Anbindung. Wie aber die Verteilung der digitalen Dividende erfolgt, ist eine nationale Entscheidung.
Sie haben Anfang November ARD und ZDF aufgefordert, freiwillig auf Werbung zu verzichten, „um künftige Konflikte mit der EU-Kommission zu verhindern“. Wie haben Sie das gemeint?
Es gibt in Europa Beispiele von öffentlich-rechtlichen Sendern etwa in Großbritannien und Frankreich, die auf Werbung verzichten. Deshalb habe ich die politische Frage in den Raum gestellt. Ich habe gefragt, ob man in Deutschland nicht einmal über die Finanzierung nachdenken will. Die Kommission hat nicht darüber zu entscheiden, welchen Finanzierungsmix ein Staat anwendet. Aber anregen kann man es doch wohl.
Warum funktioniert das System der Werbefreiheit in Großbritannien, aber nicht in Deutschland?
Es hängt davon ab, wie ein System aufgebaut wurde. Die Kommission schreibt kein System vor. Es muss aber transparent sein und darf nicht den Wettbewerb stören. Wer allein durch öffentliche Mittel finanziert wird, der gerät auf jeden Fall weniger in den Verdacht, Wettbewerb und Medienvielfalt zu verzerren.
Apropos Werbung: Sie sagten, dass es mit Ihnen keine neuen Werbeverbote geben wird. Dennoch fürchten Werbewirtschaft und Privatsender weitere Einschränkungen der Alkohol-, Lebensmittel und Automobilwerbung...
Ja, was würden diese Lobbyisten denn sonst tun! Dann wären die ja arbeitslos. Ich habe das vor vier Jahren gesagt. Und seit dieser Zeit ist – dank harter Arbeit hinter den Kulissen – tatsächlich nichts passiert. Aber trotzdem wird in Deutschland regelmäßig von den Lobbyisten gestreut, dass doch etwas in der Pipeline wäre.
Sie sagten, dass nichts passiert sei, war harte Arbeit. Was meinen Sie damit?
In einzelnen Generaldirektionen kommen immer wieder diese Ideen auf. Das kann von Umwelt über Gesundheit über Industrie gehen. Aber ich habe versprochen, dass ich solche Initiativen verhindern werde, bevor sie die politische Ebene erreichen.
Deutschland muss dieses Jahr die Fernsehrichtlinie umsetzen, die bezahlte Produkthinweise in Filmen erlaubt...
Ich erwarte, dass Deutschland die Fernsehrichtlinie eins zu eins umsetzt. Ich habe versucht, diese so klar wie möglich zu halten. Daher meine Bitte an die Regierung, aus einem Artikel in einer EU-Richtlinie nicht 500 Artikel in einem deutschen Ausführungsgesetz zu machen.
Deutschland kann nationale Verbote darin aufrechterhalten. Glauben Sie, dass es das Product-Placement trotzdem liberalisieren wird?
Es wäre im Interesse der deutschen Filmschaffenden, wenn das geschehen würde. Produktionen aus den USA, aber auch aus Großbritannien oder Frankreich sind ja gespickt mit Produktplatzierungen. Das ist eine Benachteiligung für die deutsche Filmindustrie. Laut den neuen Regeln muss der Zuschauer informiert werden, ob und wie Product-Placement stattfindet. Dann kann er selbst entscheiden, ob er ausschaltet.
Wie werden Sie selbst im Jahr 2020 fernsehen? Sind Sie Ihr eigener Programmdirektor oder sehen Sie, was man Ihnen anbietet?
Also, ich werde garantiert mein eigener Programmdirektor sein. Ich werde mir die Sendung anschauen, die mir am interessantesten scheint – und zwar wann ich will.
Die Fragen stellten
Isabel Guzmán und Annette Sach.
Die Luxemburgerin Viviane Reding (57) ist seit 2004 EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien.