Am 22. März hat das Kabinett die zweite Novelle des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft auf den Weg gebracht. Die Vorschriften sind kompliziert, und das Interessengeflecht der Betroffenen ist schwer zu durchdringen. Denn ob Urheber und Verwertungsgesellschaften, Musikindustrie und Verlage, Vertriebe, Gerätehersteller oder Konsumenten – jede Seite hat eigene Vorstellungen, wie mit „geistigem Eigentum“ umzugehen ist. Die Heftigkeit der öffentlichen Auseinandersetzung macht deutlich: Es geht um viel Geld. Dabei hatte das Justizministerium die Formulierungen in enger Abstimmung mit Wissenschaftlern und den Betroffenenverbänden erstellt. Die Reform dürfte Einfluss auf den Alltag der Verbraucher ausüben: Denn es geht auch darum, wie Musik oder Literatur künftig privat genutzt werden kann.
Das gegenwärtige Gesetzespaket ist der zweite Teil einer Reform des Urheberrechts, die aus wirtschaftlichen und europarechtlichen Gründen unabweisbar geworden war. Wirtschaftlich erschienen viele der eigentlich noch jungen Vorschriften des Urheberrechts schon wenige Jahrzehnte nach ihrer Einführung überholt. Sie beruhten auf einer Informationstechnologie ohne PC und Internet. Zugleich waren auf Ebene der Europäischen Union Richtlinien erlassen worden, die zwingend in deutsches Recht übertragen werden mussten.
So hatte der Bundestag zu Beginn dieses Jahrzehnts beschlossen, den Stoff in zwei „Körbe“ aufzuteilen. In Korb I kamen nur diejenigen Reformen, die aufgrund der EU-Vorschriften keinen Aufschub duldeten. Alles andere kam in Korb II. Die 2003 beschlossene erste Novelle hieß deshalb im politischen Sprachgebrauch „Korb I Gesetz“. Es garantierte einerseits den Urhebern das ausschließliche Recht zur Verwertung ihrer Werke in den neuen digitalen Medien („in unkörperlicher Form“), sicherte andererseits der Öffentlichkeit, der Wissenschaft und den Schulen den Zugang zu geschützten Werken. Nun berät das Parlament das „Korb II Gesetz“, das „Zweites Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ heißen soll.
Aus dem ursprünglichen „Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte“ aus dem Jahr 1965 stammen einige einprägsame Definitionen, etwa Paragraf 1: „Die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst genießen für ihre Werke Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes“, oder Paragraf 7, der nur aus sechs Wörtern besteht: „Urheber ist der Schöpfer des Werkes.“ Doch anders, als dieser Wortlaut vermuten lässt, schützt das Urhebergesetz eine breite Palette von Tätigkeiten, bis hin zur PC-Programmierung.
Umstrittene Bagatellklausel
Die öffentliche Debatte aber bestimmt vor allem der Streit um das Recht der Verbraucher, von einem „Werk“, das sie legal besitzen, kostenlos private Kopien zu ziehen, zum Beispiel: die Fotokopie eines Artikels aus einer Tageszeitung oder die Übertragung eines gerade erworbenen Musikstücks auf den PC.
Dieser Vorgang greift ohne Zweifel bereits in die Rechte eines Urhebers – etwa einer Musikerin oder eines Autors – ein, die dem Nutzer nur im genau definierten Umfang die Rechte an ihrem Werk übertragen haben und die von dem Erlös ihrer Arbeit leben. In der Realität nehmen es viele Konsumenten mit diesem Recht nicht allzu genau. Bei Musiktiteln fertigen sie gleich reihenweise Kopien und bedienen sich sogenannter Tauschbörsen – wo die Kopien allerdings nicht getauscht, sondern vermehrt werden. Der Referentenentwurf aus dem Justizministerium enthielt hierzu eine „Bagatellklausel“, die die Strafbarkeit bei Verstößen in geringem Umfang zu privatem Gebrauch ausschloss, um die meist jungen Menschen nicht zu kriminalisieren. Das stieß bereits im Vorfeld auf Kritik, etwa von Abgeordneten der Koalitionsfraktionen und besonders von der FDP: Gerade hier gehe es darum, den Respekt vor geistigem Eigentum erst einmal zu erzeugen. Davon ließ sich Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) überzeugen und strich die Klausel wieder.
Trotzdem schränkt der Staat das Recht am geistigen Eigentum ein. Er erlaubt den Nutzern schon heute per Gesetz die Anfertigung von Privatkopien. Die Entschädigung der Urheber erfolgt indirekt, über die Preise der Kopiergeräte und Datenträger. Das soll so bleiben. Konkret bezahlt deshalb die Industrie (oder der Importeur), die den Fotokopierer, das Aufnahmegeräte oder den Tonträger vermarkten, das Geld an die Urheber. Das geschieht über eine Umlage gemäß den Verkaufszahlen ihrer Produkte. Für den einzelnen Urheber geht es dabei oft um sehr viel Geld, das er meist per Jahreszahlung erhält.
Die jeweilige Zahlpflicht der Industrie und ihre konkrete Höhe schreibt bislang das Gesetz fest. Das will die Bundesregierung ändern. Erstens soll sich die Industrieumlage nicht mehr danach richten, ob der Gerätetyp zur Vervielfältigung bestimmt ist, sondern danach, ob er tatsächlich zur Herstellung von Kopien genutzt wird. Zweitens sollen die Vergütungssätze nicht mehr vom Parlament beschlossen, sondern zwischen der Industrie und den Verwertungsgesellschaften ausgehandelt werden. Die bekannteste dieser Organisationen dürfte die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (GEMA) sein. Viele kennen auch die Verwertungsgesellschaft Wort (kurz VG Wort) oder die VG Bild-Kunst, die sich um die Rechte von Künstlern, Fotografen und Filmurhebern kümmert. Es sind diese Verbände, die die Umlage bei der Industrie einsammeln und ihren Mitgliedern überweisen.
Unsicherer Kopierschutz
Doch die Verwertungsgesellschaften fürchten, künftig gegenüber der Industrie am kürzeren Hebel zu sitzen, wenn sie in Verhandlungen beweisen sollen, welche Geräte tatsächlich in welchem Umfang benutzt werden. Bevor die Urheber schließlich ihr Geld bekommen, rechnen Experten mit Prozessen bis in höchste Instanzen.
Hinzu kommt, dass technische Vorrichtungen komplett verhindern können sollen, dass zum Beispiel eine CD überhaupt kopiert werden kann. Ob das real möglich ist, gilt als umstritten. Schon das geltende Urheberrechtsgesetz sieht aber vor, dass der Nutzer, etwa der Käufer einer CD, diesen Kopierschutz respektieren muss und ihn nicht knacken, also auch keine Privatkopie ziehen darf. Daran soll sich durch die Novelle nichts ändern.
Parallel wird zunehmend eine neue Technologie eingesetzt, das Digital Rights Management (DRM), mit dem eine unmittelbare individuelle Vergütung jeder einzelnen konkreten Mediennutzung möglich ist. Hierbei wird durch Sicherungsmaßnahmen die Nutzung digitaler Daten kontrolliert, so dass sie genau in einem individuell mit dem Nutzer vereinbarten Rahmen möglich ist. DRM wird von den großen Medienunternehmen gefördert. Pauschal vergütet würden solche Kopien freilich nicht, weil sie nicht auf der gesetzlichen Erlaubnis der Privatkopie beruhen; die Urheber erhalten ihren Erlös aus den vertraglichen Entgelten, die der Verbraucher des jeweiligen Dienstes zahlt.
In der zur Beratung stehenden zweiten Novelle geht es also in massiver Weise um den Interessenausgleich zwischen Urhebern, wirtschaftlichen Verwertern und Nutzern. Dies gilt nicht nur bei der Frage der Privatkopie, sondern auch für andere Bereiche, etwa die Verwendung urheberrechtlich geschützter Werke für Wissenschaft und Forschung.
So soll ein künftiger Paragraf 52 b den Bibliotheken erlauben, ihren Lesern elektronische Leseplätze anzubieten. Doch wenn dadurch eine einzige Zeitschriftenausgabe parallel von vielen Personen genutzt werden könnte, gäbe es deutlich weniger Anreiz, sie in höherer Stückzahl zu abonnieren. Das aber, so die Fachverlage, hätte für sie „ruinöse Folgen“. Rechtliche Unsicherheit herrscht derzeit auch über die Grenzen, innerhalb derer Bibliotheken oder der bestehende Versanddienst „Subito“ einzelne Aufsätze aus Zeitschriften oder Büchern elektronisch versenden dürfen. Die Verlage reklamieren das alleinige Recht für sich selbst: ein Konfliktfeld, das dem Rechtsausschuss des Bundestages kontroverse Beratungen bescheren wird.
Ungehobene Schätze
Eine völlig andere Dimension des Gesetzentwurfs betrifft die Verträge zwischen den Urhebern und den Verwertern. Oftmals sind das die großen Medienunternehmen. Zum Schutz der Urheber enthält das Urheberrechtsgesetz bislang eine Vorschrift, die untersagt, dass Urheber und Verwerter Verfügungen über sogenannte „unbekannte“ Nutzungsarten bereits für die Zukunft abschließen. Eine Folge: Als das Internet aufkam, sahen sich viele Verlage daran gehindert, Texte im Netz zu veröffentlichen, die sie früher einmal als Buch- oder Zeitschriftenmanuskript gekauft hatten oder von Angestellten hatten schreiben lassen. Jetzt liegen in den Archiven große „ungehobene Schätze“, so der Verband der Zeitschriftenverleger, die nicht digital zugänglich gemacht werden dürfen, ohne dass die Autoren erneut bezahlt werden. Sie zu ermitteln, ist jedoch schwer. Das Gesetz will die Verwertung nun möglich machen, indem es die gesetzliche Vertragsbeschränkung im Wege einer Fiktion – rückwirkend – aufhebt und auch in Zukunft den Vertragsschluss über unbekannte Nutzungsarten zulässt. Der Urheber ist dabei durch die Möglichkeit des Widerrufs und eine gesonderte Vergütungspflicht für die neue Nutzung geschützt.
Fotos: Picture-Alliance,
Photothek
Grafik: Marc Mendelson
Text: Michael Weisbrodt
Erschienen am 25. September 2006
Rechtsausschuss des Bundestages
Federführender Ausschuss bei der Urheberrechtsnovelle
Webseite: www.bundestag.de/ausschuesse
Kopien brauchen Originale Kampagnenwebsite des
Bundesjustizministeriums
Webseite:
www.kopien-brauchen-originale.de
Institut für Urheber- und Medienrecht
Ausführliche Dokumentation der Gesetzgebung
Webseite:
www.urheberrecht.org
Initiative privatkopie.net Kampagne für das
Recht auf private Kopien im digitalen Zeitalter
Webseite:
www.privatkopie.net
Ja zur privaten Kopie Eine Initiative von GEMA, VG
Wort, VG Bild-Kunst
Webseite:
www.privatkopieren.de
Respe©t Copyrights Initiative gegen
Raubkopien der deutschen Filmtheater
Webseite:
www.respectcopyrights.de
Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft
Aktionsbündnis und „Göttinger
Erklärung“
Webseite:
www.urheberrechtsbuendnis.de
Stellungnahmen:
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