Alles begann so gut. Die sozial-liberale Koalition aus SPD und FDP wollte „mehr Demokratie wagen”, ein Jahrzehnt des großen gesellschaftspolitischen Aufbruchs ausrufen. Die Westpolitik Adenauers sollte mit einer neuen Ostpolitik ergänzt und die Gräben zum anderen Teil Deutschlands zugeschüttet werden. Doch dann platzte der Traum vom ewigen Wachstum. Ölschock und Wirtschaftskrise erreichten die junge Republik. In einem Jahrzehnt der Krisen mussten Politik und Gesellschaft ihre Reifeprüfung ablegen.
Ein Bild ging um die Welt: Der Kniefall von Warschau. Ein Foto, das die Sicht auf die Deutschen veränderte. Denn mit dem Kniefall von Bundeskanzler Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos bat jemand im Namen der Deutschen um Verzeihung für die Verbrechen der Nazis, der an ihnen mit am wenigsten Schuld trug; schließlich hatte Willy Brandt gegen die Nazis gekämpft und vor ihnen fliehen müssen.
Die neue deutsche Ost- und Deutschlandpolitik hatte in rasantem Tempo begonnen. Im März 1970 traf sich Brandt unter dem Jubel der Bevölkerung in Erfurt mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph. Im selben Jahr unterzeichnete seine Regierung den Moskauer Vertrag, in dem sich die Bundesrepublik verpflichtete, die bestehenden Grenzen in Europa einschließlich der Oder-Neiße-Linie als unverletzlich zu betrachten. Es folgten Abkommen mit Polen, der Tschechoslowakei, das Berlin-Abkommen und schließlich der deutsch-deutsche Grundlagenvertrag.
Die Ratifizierung dieser Verträge in Bundestag und Bundesrat erwies sich als langwierig und schwierig. Die Ost- und Deutschlandpolitik der Regierung Brandt war innenpolitisch ebenso umstritten, wie es die Westpolitik Adenauers in den 50er-Jahren gewesen war. Für die sozial-liberale Regierung kam erschwerend hinzu, dass ihre ohnehin knappe parlamentarische Mehrheit durch Parteiübertritte weiter abbröckelte.
In dieser Lage versuchte im April 1972 der Vorsitzende der Unionsfraktion, Rainer Barzel, Willy Brandt durch ein konstruktives Misstrauensvotum zu stürzen und selbst die Regierung zu übernehmen. Der Versuch scheiterte; die Bundestagswahlen einige Monate später bescherten der SPD einen glanzvollen Sieg. Doch Brandt blieb nicht mehr für lange Zeit Kanzler. Zermürbt von innenpolitischen und innerparteilichen Herausforderungen und geschwächt durch die Affäre um den DDR-Spion Guillaume, trat er im Mai 1974 zurück. Als Kanzler folgte ihm Helmut Schmidt.
Neben ihren außenpolitischen Erfolgen konnte die Regierung Brandt zunächst auch große innenpolitische Leistungen vorweisen. Mit großem Eifer schrieb sie sich eine Antwort auf den Warnruf des Pädagogen Georg Picht vor einer „deutschen Bildungskatastrophe” auf die Fahnen. Überdies wurde der Strafvollzug, das Ehe- und Familienrecht und das Demonstrationsrecht neu gestaltet. Ein Schwerpunkt war auch die Reform des Abtreibungsrechts, bei der die vom Parlament mit knapper Mehrheit beschlossene Fristenlösung allerdings am Widerspruch des Bundesverfassungsgerichts scheiterte und durch eine relativ weit gefasste Indikationslösung ersetzt wurde.
Helmut Schmidt musste ein schweres Erbe antreten. Die Scheichs drehten den Ölhahn zu, schwere Wirtschafts- und Währungsturbulenzen schüttelten das Land, die Zahl der Arbeitslosen stieg auf über eine Million [» Zum Artikel]. Krisenbewältigung hieß nun die Devise, für die der „Macher” Helmut Schmidt als der richtige Mann galt. „Wir konzentrieren uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche”, erklärte der neue Kanzler.
Zur wohl größten Herausforderung für Schmidt und seine Regierung wurde aber nicht die schwierige Weltwirtschaftslage, sondern der immer brutaler werdende Terrorismus der „Roten-Armee-Fraktion”. Mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und dem Drama um die entführte Lufthansamaschine „Landshut” hatte der Terrorismus im „Deutschen Herbst” 1977 seinen Höhepunkt gefunden. So perfide die Erpressungen waren: Der Staat blieb hart und zeigte Stärke. Damit bestand er eine seiner schwersten Bewährungsproben.
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Chronik
„50er-Jahre bis zur Gegenwart” »
Text Dr. Sönke
Petersen
Erschienen am 12. Juni 2009