Seit dem Sommer 2002 verfügt Norfolk über eine neue Atrraktion: Bei einem Referendum sprach sich die Mehrheit der 1800 Einwohner für ein Verbot von Handys überall auf der Insel aus. Nun ist Norfolk die erste großflächige handyfreie Zone der Welt.
Sind die Nachfolger der legendären Meuterei von allen guten Geistern verlassen? Oder haben wir es hier mit einem Signal zu tun? Microsoft hat mittlerweile auf Meetings das (drahtlose) Online-Gehen untersagt - immer mehr Teilnehmer hatten diese Treffen zum E-Mail-Abrufen und zum Surfen genutzt. In den Hörsälen US-amerikanischer Universitäten hängen ebenfalls immer mehr Online-Verbote an den Wänden. Eine britische Firma mit 5.000 Beschäftigten rief den Freitag als "Real-Meeting-Day" aus - keine Mails mehr, dafür Gespräche von Mensch zu Mensch.
Zukunftsforscher registrieren all das sehr aufmerksam: Geht das "Always-On"-Zeitalter, das die menschliche Kommunikation revolutionieren sollte, bereits wieder zu Ende? Die Erkundung des menschlichen Kommunikationskosmos, der Blick auf die Entwicklungspfade der medialen Welt gehören für die Wissenschaft zu den spannendsten Herausforderungen.
Wir sind inzwischen gedrillt, auf technische Geräte und Plattformen zu starren. Aber diese technizistische Sichtweise führt nicht weit, und die Flops häufen sich - man denke nur an die Ernüchterung über das Internet oder an die UMTS-Krise. Definieren wir Kommunikation hingegen als "Soziotechnik", sieht die Sache ganz anders aus. Zunächst muss man die Dialektik zwischen "Information" und "Kommunikation" begreifen. Informationen sind nie objektiv, sie sind immer auch kommunikative "Codes", die nur in einem bestimmten Zusammenhang aufgeschlüsselt werden - wenn ich den Lehrer nicht mag, ein Beispiel, verstehe ich nur Bahnhof.
Deshalb ist es so schwer, das "Wissen" eines Unternehmens einfach auf einen Server, auf ein Intranet zu legen - oder die "Wissensgesellschaft" zu schaffen, indem man alle Informationen für jeden Bürger verfügbar macht. Aus diesem Grund ist es auch so schwierig, politische Inhalte zu "kommunizieren".
Vier Grundmuster der menschlichen "Medialität" lassen sich herausfiltern:
Jede dieser Kommunikationsformen hat eine eigene Grammatik, eine eigene Logik, ja eine eigene "Physis". So dominiert bei der "anschließenden Kommunikation" eine entspannte Körperhaltung. Die "steuernde Kommunikation" ist durch eine breit herausgedrückte Brust gekennzeichnet, man stützt sich auf Daten und Fakten. Beim Chatten räkeln wir uns gern auf dem Sofa.
Innerhalb dieses ausdifferenzierten Kosmos eignen sich die "Medienplattformen" wie etwa Telefon, Radio, Fernsehen, Zeitung, Handy oder Mail in unterschiedlichem Maße für diese oder jene Kommunikationsform. Verabschieden sollte man sich von einem Gerücht, das seit einigen Jahren den medienfuturistischen Diskurs prägt: dass sich alle digitalen Medien zu einem einzigen Meta-Medium verbinden. Jede mediale Plattform hat neben Vorteilen auch Nachteile.
Wer etwa häufig E-Mails benutzt, merkt schnell, dass diese durchaus ihre Tücken haben. Dieses Medium ist zwar in hohem Maße interaktiv, benötigt aber gerade deshalb soziale Grundtechniken mit verbindlichen Regeln - "Antworte bitte in spätestens zwölf Stunden" oder "Schreibe keine dämlichen Rund-Mails!". Sehr gut fungieren E-Mails beim Abwickeln laufender Gruppen-Prozesse. Versucht man indes, auf diesem Weg emotionale Konflikte zu lösen, versagt dieses Medium.
Eine digital individualisierte Tageszeitung macht keinen Sinn. Zeitungen dienen eben nicht nur der Information, bei ihnen handelt es sich auch um "Realitätskonstruktionen": Stünde in jeder Zeitung etwas anderes drin, wäre eine atomisierte Öffentlichkeit die Folge - und die wäre keine Öffentlichkeit mehr.
Ein gutes Beispiel ist auch das immer wieder mal als Super-Event angekündigte Bildtelephon. Kontakte dieser Art machen die Freiheit und Flexibilität, die sich durch Telephonieren, Mailen und SMS-Austausch eröffnen, wieder zunichte: Nun müssen wir plötzlich wieder auf unser Aussehen achten, den Schreibtisch aufräumen und uns ordentlich präsentieren. Kommunikation wird so verumständlicht statt vereinfacht. Deshalb werden Bildtelephone wie auch Videoschaltkonferenzen etwas Exotisches bleiben.
Zukunftsforscher betonen eines: Die Entwicklung der Medien hängt in erster Linie davon ab, wie schnell die sozioökonomischen Transformationsprozesse vorankommen. Wie gebildet und mobil sind die Menschen in einer Gesellschaft? Es ist kein Zufall, dass in Finnland, einem Staat mit großen Distanzen und einerAbitursquote von 70 Prozent, mehr als zwei Drittel der Bevölkerung regelmäßig das Internet nutzen. Hochleistungsgesellschaften, die auf Innovation und Dienstleistung setzen, bedienen sich der gesamten Klaviatur der Kommunikationsmedien.
Umgekehrt bleiben in wenig gebildeten ländlichen Regionen, wie sie etwa noch im Süden und Südosten Europas existieren, die neuen Medien von geringer Bedeutung: Wozu soll man sich mit den unendlichen Weiten des Datenraums herumschlagen, wenn im Dorf sowieso alles bleibt wie es ist? Wer mit Kommunikationstechnologie Geld verdienen will, müsste eigentlich in die Bildung investieren.
Jede Zeit hat ihr Primärmedium. Als mit den Telegrafen Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals die Fernkommunikation möglich wurde, entstand jener Typus von Zeitung, die als "klassische Tageszeitung" auch heute noch zu den Basismedien zählt. In den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts erklomm das Radio den Thron des neuen Zentralmediums. Das Radio transportierte die wesentlichen Kommunikationsformen der Industriemoderne: die Live-Reportage, das Feature, die Direktübertragung, die Propaganda. In Form der Hörerzuschaltung schuf das Radio bereits erste interaktive Formen und förderte so auch den demokratischen Diskurs. Bis in die 60er-Jahre hinein vermittelte das Radio die sozialen, kulturellen und politischen Grundorientierungen.
Dann kam das Fernsehen, das bereits Ende der 60er-Jahre das Radio überflügelte. Das neue Medium war für die Freizeit geschaffen: Dem Radio konnte man während der Arbeit zuhören, beim Fernsehen ging das nicht mehr. Dieses Medium formte die gesellschaftliche Kultur tiefgreifend um. Tagesschau, Fußballübertragungen, Durbridge-Krimis, Serien wie Dallas und Lindenstraße: All das hielt die Gesellschaft als eine Art "Fluidum" zusammen. Nebenbei fungierte das Fernsehen auch als informelle Bildungseinrichtung:
Hans Haber erklärte im Studio die Kernspaltung mit hüpfenden Pingpongbällen, Reisereportagen und Tierfilme brachten das Ende der Welt ins Wohnzimmer, wo noch Großmutters Standuhr tickte. Die Politik wandelte sich zu einem Echtzeit-Raum: Der Bürger nahm am politischen Geschehen in einer Direktheit teil, die historisch ohne Beispiel war.
Seinen Zenit überschritt das Fernsehen bereits in den 80er-Jahren, als es auf "Mainstream" getrimmt wurde. Nun haben wir den Dudelfunk und ein TV-Angebot, von dem sich die Gedildeten mehr und mehr verabschieden. Selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat sich auf diesen Weg begeben. Die Zukunftsforscher sehen auch für Zentraleuropa jene TV-Gewohnheiten voraus, die andernorts schon gang und gäbe sind. In einer griechischen Kneipe, in einem US-Haushalt oder in einem japanischen Sushi-Restaurant läuft der Fernseher im Hintergrund als "Teppich": Das Gerät ist ständig eingeschaltet, aber kaum jemand sieht hin. Der Fernseher dient mal als Babysitter, mal als Leuchttapete, mal als Pausenfüller. Überdies dürfte dieses Medium zusehends "vertrasht" werden: In der Mittagsmagazin-Show, ein Beispiel, bewerfen sich die Leute auf dem Bildschirm mit Torten.
Der Verfall medialer Öffentlichkeit beschwört auch Gefahren für die Demokratie herauf. Dieser politisch bedenkliche Niedergang präsentiert sich in der Gestalt dreier apokalyptischer Reiter: der Personalisierung, der Skandalisierung und der Alarmisierung. Die Tendenz zur Personalisierung und Skandalisierung zeigt sich etwa darin, dass bei Interviews Journalisten Politiker häufig nach ihren Karriereplänen befragen. Parteitage oder komplizierte politische Vorgänge werden als "Diadochenkämpfe" medial inszeniert: Die Frage lautet nicht mehr "Wie wichtig ist das Thema?", sondern "Wer fällt?". Auch bei Sabine Christiansen sind es meist bloß "Wort-Clips", die man sich an den Kopf wirft - und der einleitende Film, mit dem die Redaktion das betreffende Thema umreißt, ist perfekt in einer Videoclip-Ästhetik gedreht.
Unglaublich ausbeutbar ist die Angst, womit wir bei jenem Phänomen sind, das als "alarmistisches Syndrom" kritische Wissenschaftler beunruhigt. Das Fernsehen nutzt die Chance zur Instrumentalisierung der Furcht rigoros aus. In diesem Dauerfeuer geht das Gespür für die Relation der Dinge verloren. Warum haben wir das Gefühl, dass es für unsere Kinder "da draußen" angeblich so gefährlich ist? Fakt ist: Die Zahl der Kindermorde ist seit den 60er- und 70er-Jahren massiv zurückgegangen. Aber heute wird jeder Mord an einem Kind inszeniert, ja regelrecht "zelebriert".
Bilder klären nicht mehr auf. Vielmehr überfällt deren Macht die Zuschauer. Waldbrände sind im Fernsehen wunderbare Menetekel, obwohl sie seit altersher bekannt und für manche Tiere und Pflanzen sogar regenerativ sinnvoll sind. Wirbelstürme lassen sich als "die schrecklichsten seit Menschengedenken" darstellen. Früher traten Flüsse über die Ufer, jetzt haben wir "die schlimmste Flutkatastrophe der Geschichte". Alles wird zum Menetekel, zum Symbol für den - angeblichen - Niedergang. In seinem Buch "Erregte Gesellschaft" spricht Christoph Türcke vom "Sensationismus als zentraler Wahrnehmungsform moderner, urbaner Gesellschaften".
Jeder Evolutions- und Zivilisationsprozess ist mit der Überwindung von Gefahren verbunden. Um Bedrohungen zu überwinden, muss eine Gesellschaft diese jedoch vernünftig einordnen können. Der mediale Alarmismus raubt der Gesellschaft ihre Zukunft. Eine angstgepeitschte und deshalb apathische Öffentlichkeit wird leicht zur Beute populistischer Scharfmacher. Weit entfernt von einer "Paranoia-Politik" scheinen wir nicht mehr zu sein. Kommunikationswissenschaftler sollten ihre warnende Stimme erheben.
Pointiert gesagt: Information und Kommunikation drohen zu ernsthaften "Umweltproblemen" des 21. Jahrhunderts zu mutieren. Als Zukunftsforscher plädiere ich für eine "infotoxische Strategie" im Sinne eines kritischen Umgangs mit den Medien.
Schluss machen sollten wir mit der medialen Euphorie: Ein quantitatives Plus bei den Medien bedeutet nicht unbedingt einen qualitativen kommunikativen Gewinn. Die Strategie der ständigen "Technik-Hypes" neigt sich ihrem Ende zu. Immer mehr Leute haben bereits die Nase voll und reagieren mit Überdruss: Sie schalten den Fernseher ab, sie legen seufzend ihre überkomplexen Handys in die Ecke und schreiben wieder Briefe.
Vielleicht stehen wir auch vor einem "Medien-Recycling". Bewährte Medien könnten eine Renaissance erleben als "Rightsizing" in einem neuen Kontext - zu denken wäre etwa an seriöse Nachrichten-TV-Sender mit Tiefgang, an das Bildungs-Radio, an das Genre der Kulturzeitschrift. Erst in fernerer Zukunft dürfte das Internet von "intelligenten Organismen" besiedelt werden.
Die Zukunft wird auch den "Smart-Medien" gehören, also Kommunikationstechnologien, die "an Menschen angepasst sind". Wann wird an Schulen ein Hauptfach namens Medienkompetenz unterrichtet? Wann zieht die Medienpolitik einen klaren Trennungsstrich zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Trash-Medien? Als Exportschlager dürfte sich ein Handy erweisen, das wasserdicht und langlebig ist, das mit einer Brennstoffzelle ein Jahr lang läuft und das ohne umständliche Bedienungsanleitung einfach zu handhaben ist.
In der medialen Zukunft könnte sich "Retro" durchsetzen. Je verwirrender sich die Welt präsentiert, desto wichtiger wird die menschliche Stimme - das Morgenwird, so die Prognose des Zukunftsforschers, dieser ältesten aller medialen Formen gehören, dem persönlichen Kontakt von Mensch zu Mensch. Wir alle sind Bewohner der Insel Norfolk. Wagen wir die Meuterei auf der digitalen Bounty! Nieder mit dem Kapitän! Werft ihn den Haien vor!
Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx ist Inhaber des Zukunftsinstituts mit Sitz in Kelkheim/Taunus und Wien.