Seit Jahrzehnten sind die Hochschulen, vor allem die Universitäten, Gegenstand des öffentlichen Interesses und der Kritik. Das Unbehagen äußert sich mit Blick auf die große Zahl der Studierenden (rund zwei Millionen insgesamt an den Hochschulen, davon mehr als zwei Drittel an Universitäten), der Überfüllung in einzelnen Studiengängen (bis zu 10.000 in einigen wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten), der langen Studiendauer (über 13 Semester), dem hohen Durchschnittsalter der Absolventen (28 Jahre) und deren angeblich fehlendem Praxisbezug. Dies und anderes wird als unerträglich empfunden; es müsse geändert werden. Die Reform des Hochschulwesens sei dringend und zwingend.
Die unterschiedlichen Interessen von Politik, Wirtschaft, Verbänden und Betroffenen an dem, was Universität ist und was sie hervorbringt, wirken sich in allen Bereichen aus, die für das Gesamtgefüge der Institution entscheidend sind. Sie können durch Gesetze - abhängig von den politischen Mehrheiten - sehr unterschiedlich ausgestaltet werden. In der Vergangenheit sind die Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes als Vorteil verstanden worden, weil auf diese Weise ein gewisses Maß an Übereinstimmung und Vergleichbarkeit im Hochschulwesen gewährleistet schien. Je deutlicher es aber wird, dass es eine Illusion ist, von einem einigermaßen gleichmäßigen Niveau in der Ausbildung und im Abschluss auszugehen, verliert auch die Position an Boden, welche die Einheitlichkeit des Hochschulwesens de iure erhalten möchte.
Die Universitäten "in die Freiheit entlassen", wie es Bundespräsident Herzog empfohlen hat, war darum die konsequente Folgerung aus der gegebenen Situation. Die Gefahr, dass politisch extreme Ausgestaltungen auftreten, ist nicht besonders hoch einzuschätzen. Auch wenn sich inzwischen manche Stimmen bemerkbar machen, welche die Schlachten um Mitwirkung und Politisierung der Hochschulen erneut bestreiten wollen - ein flächendeckender Unfug wird mutmaßlich nicht angerichtet werden. Aber es gibt ein anderes Risiko, das unausweichlich ist.
Mit dem Wegfall verbindlicher Rahmenbestimmungen wird die Unübersichtlichkeit zunehmen und das Erscheinungsbild der Hochschulen noch undeutlicher sein, als es das jetzt schon ist. Das wird nicht nur die interessierte Öffentlichkeit zu spüren bekommen, das werden Personalchefs in noch größerem Maße als bisher zu beachten haben; vor allem aber werden es die Studierwilligen und die Studierenden erfahren. Die Informationen über die Hochschulen, insbesondere deren Selbstdarstellungen, werden es sehr schwer machen, ein objektives Bild zu gewinnen. Daran werden auch so genannte Rankinglisten nichts ändern. Die Vielfalt wird verwirrend sein, aber andere Möglichkeiten sind verspielt.
Die Universität der Zukunft ist kein Gebilde, das heute neu konzipiert wird. Sie ist in ihren konkreten Ausformungen und mit all ihren Eigenarten und Auffälligkeiten ein Produkt ihrer Geschichte. Diese lässt sich nicht abschütteln. Die handelnden Personen bringen ihr Wissen und ihre Erfahrungen ein. Diejenigen Studierenden, die seit Ende der 60er-Jahre des vorigen Jahrhunderts und später ihre Universitätsausbildung erfahren haben, Entscheidungsträger von heute, kennen nur den Typ Universität, der die akuten Probleme bereitet. Sie haben Universität nur erfahren als Gegenstand der Auseinandersetzung und als vom Zickzackkurs der Politik bestimmte Institution.
Es wird nicht "die" Universität der Zukunft geben. Unsere Ausbildungs- und Forschungsstätten werden zwar eine einheitliche Bezeichnung tragen, sich aber in noch größerem Maße als bereits bisher voneinander unterscheiden.
Wie sollte, wenn die Universitäten in die Freiheit entlassen werden, das neue Gebilde aussehen? Von entscheidender Bedeutung ist, welches Ziel bei der Aufgabenerfüllung verfolgt wird. Begreift man die Hochschulen als Stätten, die ein Spiegelbild der Gesellschaft sein sollen, in denen Mitwirkung und politische Rechte geübt werden, sieht die Konstruktion anders aus, als wenn man möglichst gute Leistungen bei optimalem Mitteleinsatz anstrebt, das heißt wenn oberste Maxime ist: Qualität in der Ausbildung und bei den Ergebnissen in der wissenschaftlichen Arbeit sowie den Dienstleistungen unter sparsamer Verwendung der verfügbaren Mittel. Das hat dann für die zentralen Punkte, die das Geschehen an der Hochschule bestimmen, ganz konkrete Bedeutung.
Die Auswahl der Studenten durch die Hochschulen selbst würde einen Markt schaffen, bei dem man wüsste, wo was gefordert wird und wer an welchem Ort gute Möglichkeiten hat. Es würde sich damit auch die unbegründete Behauptung von selbst erledigen, die deutschen Universitäten brächten keine herausragenden Absolventen hervor und man müsse deshalb private Elite-Universitäten gründen. Zum einen gibt es wie schon immer hervorragende Berufsanfänger, die von deutschen Hochschulen kommen. Zum anderen käme es nach einer Liberalisierung des Zulassungswesens mit Sicherheit schnell zu einer Differenzierung dessen, was man die Hochschullandschaft nennt, in anspruchsvolle, mittelmäßige und vielleicht auch die eine oder andere darunter liegende Institution.
Gerade plädiert die SPD für die Schaffung von Eliteuniversitäten nach amerikanischem Vorbild. Gemeinsam mit den Bundesländern soll die Struktur der Hochschullandschaft so verändert werden, dass sich die Universitäten in Deutschland als internationale Spitzenhochschulen etablieren können. Bedenkt man, dass nicht zuletzt unter dem Einfluss der SPD Hochschulgesetze in Kraft getreten sind, die geradezu kontraproduktiv für die Elitebildung sind, mag man den neuerlichen Vorstoß als Umkehr begrüßen.
Solange die SPD keine Versuche macht, das Zulassungswesen zu reformieren, das heißt die ZVS und die Kapazitätsverordnung abzuschaffen und an dem durch sie in das Hochschulrahmengesetz hinein gezwungenen Verbot der Erhebung von Studiengebühren festhält, wirken solche Versuche hilflos und mit heißer Nadel genäht.
Das hier entwickelte Grobkonzept ist, wie gesagt, an dem Ziel von Effizienz und Leistung orientiert. Man kann alles auch ganz anders machen. Nur darf man sich dann nicht wundern, wenn der Zustand an den Hochschulen nicht befriedigt.
Das aber ist das Risiko: in die Freiheit entlassen bedeutet, auch in Kauf zu nehmen, wenn Konstruktionen gewählt werden, die dem eigenen Standpunkt nicht entsprechen. Der Wettbewerb zwischen den unterschiedlich ausgerichteten Institutionen wird dann über den Erfolg - und eben auch über die Zukunftsfähigkeit - entscheiden.
Der Autor ist em. o. Professor Dr. iur. Er war Universitätspräsident (Hohenheim 1970 - 86), Präsident der Rektorenkonferenz (Bonn 1979 - 83) und parteiloser Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin (1986 - 89).