Wesentliche neue Beschlüsse, über die intensiv hätte gestritten werden können, waren vom jüngsten EU-Gipfeltreffen von vornherein nicht zu erwarten. Zu gut waren die Erklärungen zum Terrorismus und den Wirtschaftsreformen von den Außen-, Innen- und Wirtschaftsministern vorbereitet worden. Deshalb war auch von der frostigen Atmosphäre des letzten Gipfeltreffens nichts mehr zu spüren. Hatten sich die Regierungschefs der EU im Dezember noch zutiefst über die neue Verfassung der Union zerstritten, stand nun demonstrative Einigkeit auf dem Programm.
Dazu hatte neben den grausamen Ereignissen von Madrid vor allem der von nahezu allen anderen Regierungschefs als ungewöhnlich geschickt gelobte derzeitige irische Ratspräsident Bertie Ahern beigetragen.
Dennoch haben die Terroranschläge vom 11. März auch im Umfeld des Gipfels ihre Spuren durch erheblich verschärfte Sicherheitsvorkehrungen hinterlassen. Unter den Teilnehmern selbst rückt die Erkenntnis in den Vordergrund, dass man zur Zusammenarbeit verpflichtet ist. Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus, die bisher auf die lange Bank geschoben wurden, sollen jetzt im Schnelldurchlauf in Kraft gesetzt werden, wobei im Notfall auch die nationalen Streitkräfte im Innern eingesetzt werden sollen. Ob die Mitgliedstaaten der EU, wenn der erste Schock über die Anschläge vorüber ist, allerdings mehr tun als nach den Anschlägen des 11. September 2001, wird weitgehend von dem neu eingesetzten Sicherheitskoordinator abhängen. Über dessen Rechte und Zuständigkeiten soll allerdings erst im Juni entscheiden werden.
Bereits nach den Anschlägen von New York hatte die EU ein Aktionsprogramm beschlossen, das von nicht einem einzigen Land vollständig umgesetzt wurde. Nach der Diskussion auf dem Gipfel befürchtet die Luxemburgische Außenministerin Lydie Polfer für die Zukunft allerdings wenig Besserung. Zu unverbindlich und ohne jede Selbstkritik sei die Aussprache verlaufen. Dabei beinhalte jeder Absatz ausreichend Problematik für mehrstündige Diskussionen.
Hoffnung gibt es aber in der Frage der im Dezember zunächst gescheiterten Verfassung. Vor drei Monaten hatten Polen und Spanien die Einigung blockiert, weil ihnen durch das System der doppelten Mehrheit, bei der neben den Staaten selbst auf deren Bevölkerungsstärke bei Ministerratsabstimmungen berücksichtigt wird, der Verlust an Einfluss bei EU-Entscheidungen zu groß erschien. Jetzt gebe es die notwendige Flexibilität und den politischen Willen, in den kommenden Monaten abzuschließen, stellte Polens Außenminister Wlodzimierz Cimoszewski in Brüssel fest: Ein Signal des Durchbruchs für alle anderen Partner. Spaniens Premierminister José Aznar, der zweite Blockierer beim Dezembergipfel, ist in Brüssel nach seiner Wahlniederlage zwar noch dabei, Beachtung findet er bei seinen Kollegen kaum noch.
Seine Kollegen richten ihre Blicke bereits auf seinen sozialistischen Nachfolger José Luis Rodriguez Zapatero. Der hatte nach den Madrider Anschlägen und Aznars Versuchen, diese der baskischen Terrororganisation ETA durch eine gezielte Medienbeeinflussung in die Schuhe zu schieben, überraschend die Parlamentswahlen gewonnen und direkt danach den Politikwechsel angekündigt: Spanien werde seine Soldaten aus dem Irak abziehen, sich innerhalb der EU Deutschland und Frankreich annähern und auch die Verfassung nicht weiterhin blockieren. Das ist nicht mehr Aznars Sicht der EU, der er mit seiner starren Haltung auf den Gipfeln in Berlin und Nizza Milliarden Euro und spanisches Gewicht bei Abstimmungen abgetrotzt hatte. Frustriert, so meldeten Agenturen, habe er am Freitag das Abendessen der Chefrunde vorzeitig verlassen.
Innerhalb der EU haben sich damit die Gewichte entscheidend verschoben. Vor allem aber wurde damit auch das nunmehr isolierte Polen zum Einlenken bewegt. Für den Brüsseler EU-Gipfel war so das Signal zu neuer Einmütigkeit gegeben. Dass man sich nicht schon an einem Durchbruch bei der Verfassungsfrage versuchte, lag aber nicht nur an der Anwesenheit Aznars. Europa wartet zwar auf dessen Nachfolger Zapa-tero, dessen Regierung aber wohl erst nach Ostern ihr Amt übernimmt, doch mehrere Länder wollen eine Einigung erst nach der Europawahl im Juni, weil sie durch Ihre Aufgabe früherer Positionen das Wahlergebnis nicht gefährden wollen. Dazu gehört neben Warschau vor allem auch Paris. Hartmut Hausmann