Es ist die Stunde des Dick Marty. Mit kriminalistischem Spürsinn recherchieren: Dieser Leidenschaft kann der Ex-Staatsanwalt jetzt auch in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats frönen, in der er für die Schweizer Liberalen sitzt. Im heimischen Tessin hatte sich Marty einst den Ruf eines exzellenten Mafiajägers erworben. Damals wie heute sind Hartnäckigkeit und ein langer Atem vonnöten. Der eidgenössische Abgeordnete: "Der Weg ist noch lang und kompliziert, aber ich bin zuversichtlich, dass er ans Ziel führt."
Dieses Mal ermittelt Marty nicht im kriminellen Milieu, sondern in einem politischen Minenfeld: Im Auftrag des Staatenbunds nimmt er die CIA und die europäischen Regierungen ins Visier. Der Schweizer Politiker soll untersuchen, was es mit den ominösen Gefangenenflügen des US-Geheimdiensts im kontinentalen Luftraum, mit Folterverhören in verdeckten Gefängnissen in Osteuropa und mit der Unterstützung europäischer Nationen für diese Operationen auf sich hat. Marty rührt am Nerv des Skandals: Es geht um Verstöße gegen die überall auf dem Kontinent geltende Straßburger Menschenrechtscharta mit ihrem Verbot von staatlich organisierter Freiheitsberaubung und Folter.
Diese Woche wird der Eidgenosse im Schweinwerferlicht der Medien stehen: Das Europarats-Parlament wird einen Zwischenbericht Martys über die Affäre diskutieren, und da wird man auch in Washington und in den kontinentalen Hauptstädten genau hinhören. Der Staatenbund steht vor seiner größten Bewährungsprobe seit Jahren: Wie ernst nimmt die Organisation gegenüber den 46 Mitgliedsländern und auch gegenüber der Supermacht USA ihren Auftrag, demokratische Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen?
Nach den hitzigen Debatten um die Entführungen von Terrorverdächtigen bei CIA-Lufttransporten und angesichts des hiesigen Streits um BND-Aktivitäten während des Irak-Kriegs ist es etwas still geworden um den internationalen Kern des Skandals. Nun aber scheint man ernsthaft um Aufklärung bemüht zu sein. Die von der EU-Volksvertretung vergangenen Mittwoch beschlossene Einsetzung eines Sonderausschusses, der ebenfalls die Vorwürfe gegen die CIA und die europäischen Regierungen erforschen soll, macht zusätzlich Druck. René van der Linden (Holland), Präsident des Europarats-Parlaments, hofft auf eine enge Zusammenarbeit mit dem EU-Gremium.
Die Verschleppung des Deutsch-Libanesen Khaled El Masri von Mazedonien nach Afghanistan und der Transport des in Mailand gekidnappten Ägypters Abu Omar mutmaßlich über die US-Airbase Ramstein zählen zu den prominentesten der Entführungsfälle, die vermutlich auf das Konto des US-Geheimdiensts gehen. Nach zahlreichen Erkenntnissen fanden hundertfach Tarnflüge statt, die von der CIA über kontinentale Airports abgewickelt wurden und die auch zu so genannten "black sites" geführt haben sollen, zu geheimen Kerkern etwa in Rumänien und Polen. Dort soll, so die Kritik von Menschenrechtsgruppen und Medien, auch gefoltert worden sein.
Durch seine bisherigen Recherchen sieht Marty den Verdacht gestützt, dass die CIA unter Beteiligung oder Duldung europäischer Regierungen beim Kampf gegen den Terrorismus rechtstaatliche Prinzipien verletzt haben soll. Die Vermutung habe sich erhärtet, dass Personen "außerhalb jedes juristischen Verfahrens in europäischen Ländern" festgenommen wurden. Aus Sicht des Schweizer Ex-Staatsanwalts mehren sich die Indizien, wonach die CIA Menschen entführt und in andere Staaten gebracht habe. Es sei schwer vorstellbar, dass sich all dies "ohne eine gewisse Zusammenarbeit oder eine gewisse Passivität" zuständiger Stellen in den betreffenden Nationen abgespielt habe.
Neue Nahrung haben die Ermittlungen des Europarats-Beauftragten durch ein brisantes Fax zwischen dem Außenministerium in Kairo und der ägyptischen Botschaft in London vom November erhalten, das der helvetische Geheimdienst abfing und das jüngst publik wurde. Laut diesem Papier, dessen Echtheit Bern bestätigt hat, sollen über 20 Iraker und Afghanen in einem rumänischen Camp verhört worden sein. Marty: "Das ist neu für mich". Laut diesem Fax soll es ähnliche Verhörzentren in der Ukraine, im Kosovo, in Mazedonien und in Bulgarien geben. Zwar dementierte auch Bulgarien, wie zuvor schon Polen und Rumänien, die Existenz von Geheimkerkern. Marty aber will hartnäckig die Spuren verfolgen. Terry Davis, Generalsekretär des Europarats, fordert von der Nato, den Inspektoren des Staatenbunds endlich Zugang zu deren Gefängnis Bondsteel im Kosovo zu gewähren, wo bis zum Jahr 2004 Personen unter ungeklärten Umständen inhaftiert gewesen sein sollen.
Der Ermittler des Europarats will zur Aufklärung der CIA-Flüge auch die Daten des EU-Satellitenzentrums im spanischen Torrejón und der Luftbehörde Eurocontrol nutzen. Dazu ist es bisher nicht gekommen. Der Brüsseler Justizkommissar Franco Frattini hat bereits angekündigt, bei dem für Eurocontrol zuständigen Kommissar Jacques Barrot und dem für Torrejón verantwortlichen EU-Außenbeauftragten Javier Solana auf die Freigabe von Informationen zu dringen. Parallel zu Martys Recherchen läuft eine von Generalsekretär Davis gestartete förmliche Untersuchung des Europarats. Sie läuft noch bis Mitte Februar.