Trotz des gestiegenen Gefahrenpotenzials durch das derzeit vor allem in Asien und in der Türkei grassierende Vogelgrippevirus H5N1 sieht die Bundesregierung keinen Grund zur Panik. Eine Gefährdung der Bevölkerung sei derzeit nicht aktuell, sagte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) am 18. Januar in einer Aktuellen Stunde des Bundestages unter Berufung auf Experten; es gebe keine Hinweise, dass es "irgendwo eine Infektion von Mensch zu Mensch gegeben hat", so die Ministerin. Hintergrund der Debatte und zuvor einer gemeinsamen Sitzung des Ernährungs- und Gesundheitsausschusses waren weitere Todesopfer des von Fachleuten als "außergewöhnlich aggressiv" eingestuften Virus in Indonesien, China und ein Verdachtsfall im Irak.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sind weltweit rund 150 Menschen an der Vogelgrippe erkrankt, etwa 80 sind daran gestorben. Angesichts der steigenden Gefahr will die Weltgemeinschaft gemeinsam gegen das Virus vorgehen. Dafür mobilisierte vergangene Woche eine internationale Geberkonferenz in Peking 1,9 Milliarden Dollar. Deutschland will bis 2008 rund 26 Millionen Euro dafür zur Verfügung stellen, kündigte ein Regierungsvertreter in der Ausschusssitzung an.
Bund und Länder seien mit einem Pandemieplan auf den "theoretischen Fall" vorbereitet, so Schmidt in der Aussprache im Plenum, dass sich aus dem Vogelgrippevirus eine mutierte Form bildet, die auch für Menschen gefährlich ist. Letztlich könne aber nur ein Impfstoff helfen, der allerdings erst entwickelt werden könne, wenn das Virus entstanden und erforscht sei.
Bis genug Impfstoff zur Verfügung steht, vergehen rund zehn Wochen, so die Einschätzung von Johannes Löwer, Präsident des Paul-Ehrlich-Insituts, der sich in der Ausschusssitzung dazu geäußert hatte. Da aber zweimal geimpft werden müsse, um einen wirksamen Schutz beim Menschen zu bekommen, geht Löwer von einem Zeitraum von fünf Monaten aus, bis die Bevölkerung "durchgeimpft" sei. Kritisch beurteilte die Informationslage in Deutschland der Präsident des
Robert-Koch Instituts, Reinhard Kurth, der Bund und Länder bei Entwicklung eines Influenza-Pandemie-Planes berät. Er habe wenig Einblick, wie dieser Plan in den Bundesländern umgesetzt werde. Der Erreger lasse sich nicht so viel Zeit, bis Deutschland seine Föderalismusprobleme geklärt habe.
Die größte Gefahr liegt nach Einschätzung von Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) in der illegalen Einfuhr von Geflügel und Geflügelprodukten aus den betroffenen Regionen. Eine Einschleppung über Zugvögel sei derzeit unwahrscheinlich. Dies könne sich aber ändern, wenn der erneute Vogelzug im Frühjahr ansetzt. Dann könne - auf der Grundlage einer Risikobewertung des Friedrich-Loeffler-Instituts - wieder eine Stallpflicht für Geflügel in Deutschland notwendig werden. Die Regierung unternehme "alles Menschenmögliche" für eine erfolgreiche Abwehr der Seuche. Sie und andere öffentliche Akteure wie Länder und wissenschaftliche Institute seien aber auf das verantwortliche Handeln der Bürger angewiesen. Der Minis-ter appellierte im Bundestag an die "gesamte Bevölkerung", die Hinweise und Ratschläge der Fluggesellschaften und Reiseveranstalter "peinlichst genau" einzuhalten. Wichtig sei aber auch eine internationale Zusammenarbeit, denn kein Land könne dieses Problem allein lösen. Das gemeinsame Vorgehen werde ausführlich am 23. Januar im EU-Agrarrat besprochen.
Deutschland und Frankreich planen nun nach Auskunft des Verbraucherschutzministeriums eine Task-Force zur Bekämpfung der Vogelgrippe. Derzeit gebe es dazu Gespräche auf Arbeitsebene. Über die Eckpunkte werde Anfang der Woche gesprochen. Der französische Premierminister Dominique de Villepin hat bereits am 18. Januar vorgeschlagen, ein EU-Kriseninterventionsteam zur Bekämpfung der Vogelseuche einzurichten.