Nach seinem knappen Sieg bei der tschechischen Wahl Anfang Juni braucht der Spitzenkandidat der bürgerlich-demokratischen Partei (ODS) vor allem diplomatisches Geschick: Das konservative Lager, das Mirek Topolánek führt, verfügt über exakt 100 der insgesamt 200 Sitze im Prager Abgeordnetenhaus. Die andere Hälfte der Mandate ist fest in den Händen des linken Lagers um den bisherigen Premierminister Jiri Paroubek, der allerdings am 28. Juni überraschend seinen Rücktritt angekündigt hat.
Die neue Regierungsmannschaft indes steht schon in den Startlöchern: Innerhalb von drei Wochen hat sich eine konservative Dreier-Koalition aus ODS, der kleinen christdemokratischen Partei und den Grünen auf ein Programm geeinigt und sämtliche Personalien einvernehmlich geregelt. Über den raschen Fortschritt der Regierungsbildung zeigen sich politische Beobachter erstaunt - vor allem deshalb, weil alle drei beteiligten Parteien spürbare Kompromisse eingehen mussten. Im Regierungsprogramm stehen eine einheitliche Steuer auf Unternehmensgewinne und Privateinkommen, ein abgespecktes Sozialsystem und Änderungen im Gesundheitswesen. Die inhaltliche Einigung dürfte durch die Patt-Situation im Abgeordnetenhaus beschleunigt worden sein. Die sozialdemokratische Partei (CSSD) nämlich hat die Hoffnung auf eine dritte Legislaturperiode in Regierungsverantwortung bis zur Rücktrittsankündigung Paroubeks nicht aufgegeben.
Die beiden großen Parteien bezeichnen sich jeweils selbst als Sieger. Die ODS errang 35,4 Prozent, die Sozialdemokraten liegen mit 32,3 Prozent dicht dahinter. Das ist eine Besonderheit: In Tschechien hat es zuvor noch nie eine politische Kraft über die 30-Prozent-Hürde geschafft. Die Kommunisten mussten mit 12,8 Prozent ihr bislang schlechtestes Ergebnis seit der politischen Wende verkraften, die Christdemokraten lan-deten bei 7,2 Prozent und die erstmals im Parlament vertretenen Grünen kamen auf 6,3 Prozent der Stimmen. Staatspräsident Václav Klaus (ODS) beauftragte den Sieger Topolánek mit der Regierungsbildung.
Viele Optionen hat dieser allerdings nicht. Eine große Koalition haben schon im Wahlkampf beide Seiten ausgeschlossen. Sie sehen in ihren Programmen nicht ausreichend viele Anknüfungspunkte für eine gemeinsame Regierung. Tatsächlich scharen sich die großen Volksparteien in Tschechien traditionell nicht um die politische Mitte, sondern verfallen in Extreme. Die Sozialdemokraten verkündeten im Wahlkampf ihre Vision von einer Minderheitsregierung unter kommunistischer Duldung, während die ODS vor allem mit einem neoliberalen Reformkonzept nach slowakischem Vorbild um die Unterstützung der Wähler geworben hat. Damit sprachen sie grundverschiedene Klientelen an: "Die tschechischen Wähler kümmern sich nicht um die ideologische Aufteilung in Rechts und Links", urteilt der Prager Politikwissenschaftler Jiri Pehe, "sie wählen nach ihrem Geldbeutel." Meinungsforscher bestätigen diese Einschätzung. Die ODS bekommt ihre Stimmen vor allem aus der Unternehmerschaft und aus den wohlhabenden Ballungsräumen um Prag und Brünn, während die Sozialdemokraten eher bei den Arbeitern und generell in den wirtschaftlich schwachen Regionen punkten können.
Der Richtungsstreit in der Politik weist auf eine Trennlinie hin, die auch die tschechische Gesellschaft durchzieht. Die Generation, die ihre Karriere erst nach der politischen Wende gestartet hat, findet heute so gute Bedingungen vor, wie es sie in der jüngeren Geschichte des Landes noch nicht gegeben hat. Die Wirtschaft legte im ersten Quartal des Jahres um mehr als sieben Prozent zu, die Tendenz ist weiter steigend. Wer eine internationale Ausbildung hat, kann in Führungspositionen schon heute mit einem Gehalt auf Westniveau rechnen. Von einer weiteren Öffnung und vor allem Deregulierung des Marktes versprechen sich die Jungen und Erfolgreichen den endgültigen Anschluss an die alten EU-Länder. Derzeit allerdings liegt der Durchschnittslohn in Tschechien trotz des kontinuierlichen Wachstums immer noch bei knapp 700 Euro. Viele Bürger, die von den neuen Möglichkeiten nicht profitieren können, sehnen sich deshalb zurück nach weitreichenden staatlichen Schutzmechanismen.
Diese Polarisierung der politischen Szene hat die tschechischen Grünen stark gemacht. Sie sind in Ostmitteleuropa die erste grüne Partei, die den Sprung ins Parlament geschafft hat. Zuvor landeten die Grünen stets weit abgeschlagen jenseits der Fünf-Prozent-Hürde. Als Vater des plötzlichen Erfolgs gilt Martin Bursík, ein smarter Unternehmer, der pünktlich vor den Wahlen das Kommando bei den Grünen übernommen hat. Ihm gelang es, die zerstrittene Partei zu einen und als Alternative zu den etablierten Kräften salonfähig zu machen. Mit ihrem Programm, das einschließlich Ökosteuer und LKW-Fahrverboten eng an jenem der deutschen Grünen angelehnt ist, können die politischen Neulinge vor allem zwei Zielgruppen ansprechen, sagt Jiri Pehe: "Einige Wähler wollen schlicht etwas frischen Wind in die Politik bringen, die über lange Jahre von den immer gleichen Personen geprägt war. Gleichzeitig schließen die Grünen aber auch eine Lücke für die sozialliberalen Wähler, die den Linkskurs der Sozialdemokraten nicht mitgehen möchten."
Besonders umstritten sind in Tschechien die Anbandelungsversuche des bisherigen Premiers Jiri Paroubek mit den Kommunisten, die bislang von allen übrigen Parteien gemieden wurden. Paroubek lässt das kalt: In den vergangenen Monaten hat seine CSSD mehr Gesetze mit den kommunistischen Abgeordneten verabschiedet als mit ihren eigentlichen Koalitionspartnern, den Christdemokraten und der jetzt ausgeschiedenen Freiheitsunion. Wenn die Gesetze dem Wohlstand des Landes dienten, sagt Jiri Paroubek, dann sei es ihm egal, wer für sie stimme: "Wenn Marsmännchen auf die Erde fielen, würden wir die Gesetze auch mit denen beschließen - vorausgesetzt, sie sitzen im Abgeordnetenhaus!"