Jerusalem. "Ich möchte die bitten, die Gilad gefangenhalten, dass er bei guter Gesundheit bleibt. Ich bin sicher, dass sie selbst Familien haben und unsere Gefühle in diesen schwierigen Zeiten verstehen", flehte Noam Schalit, der Vater des israelischen Soldaten. Dessen Entführung setzte eine gewaltige diplomatische Maschinerie in Gang. Europäische und ägyptische Politiker haben vermittelt. Kofi Annan und Papst Benedikt XVI. hatten sich für die Freilassung des Soldaten eingesetzt.
Rückblende: Am Sonntag, dem 25. Juni, erschossen palästinensische Milizen zwei israelische Soldaten am Armeestützpunkt Keren Shalom und nahmen Gilad Schalit gefangen. Nach zwei Tagen erfolgloser diplomatischer Bemühungen startete die israelische Armee die Operation "Sommerregen". In Luftangriffen atta-ckierte sie das einzige Elektrizitätswerk des Gazastreifens sowie drei zentrale Brücken. Das palästinensische Parlament hat dies als unvereinbar mit der Vierten Genfer Konvention von 1949 bezeichnet.
Der Gazastreifen wurde wegen der zerstörten Brücken zweigeteilt. Etwa drei Viertel der Einwohner mussten von da an ohne Strom und teilweise auch Wasser auskommen, da viele Wasserpumpen elektrisch betrieben werden. Zusätzlich ließ Israel seine Luftwaffe über den Palast des syrischen Präsidenten Assad fliegen. Dessen Land oder zumindest der Hamas-Führer Chalid Maschal in Damaskus hätten mit der Gefangennahme des Soldaten zu tun, hieß es.
Mittlerweile sind auch Bodentruppen im Gazastreifen im Einsatz. Ziel ist, etwa eineinviertel Kilometer Land bei Beit Hanun zu besetzen, um den Abschuss von Kassam-Raketen zu verhindern. Nachdem diese erstmals die Küstenstadt Aschkelon erreicht und Menschen verletzt hatten, hat Verteidigungsminister Amir Peretz Mitte vergangener Woche seinen Streitkräften befohlen, "eine Stufe höher zu schalten". Der israelische Premierminister Olmert sieht in dem Angriff auf Schkelon eine "schwerwiegende Eskalation im Terrorkampf, für die die Hamas verantwortlich ist". Vertreter der harten Linie wie etwa Effi Eitam hatten längst eine schärfere Gangart gefordert.
Doch gibt es auch Kritiker von "Sommerregen". Die Friedensorganisation "Gusch Schalom" sieht im gefangenen Unteroffizier Schalit weder einen Entführten noch eine Geisel, sondern einen "Kriegsgefangenen". Premierminister Olmerts "arrogante" Rede gefährde nur das Leben des israelischen Soldaten, so die Friedensaktivisten. Wenn der Schlüssel zur Befreiung von Schalit wirklich in Syrien liege, "welchen Sinn hat es dann, die palästinensische Führung vor Ort unter Druck zu setzen?", fragt der Leitartikler der Tageszeitung "Ha'aretz" und spielt damit auch auf die Verhaftung von mehr als 80 palästinensischen Hamas-Mitgliedern an, darunter acht Ministern. "Olmert sollte wissen, dass die Verhaftung von Führern nur diese und deren Anhänger stärkt."
Will Israel, wie die meisten politischen Analysten des Landes behaupten, tatsächlich die Hamas-Regierung zu Fall bringen? Dann breche "totale Anarchie und Chaos" aus, so Gerschon Baskin, der israelische Co-Direktor von IPCRI, dem israelisch-palästinensischen Zentrum für Information und Forschung.
Davon ist der Gazastreifen, zumindest humanitär gesehen, nicht mehr weit entfernt. Seit dem 2. Juli liefern die israelische "Nahal Oz"-Erdölleitung Öl und die israelische Elektritzitätsgesellschaft Strom in den Streifen am Mittelmeer. Damit soll den "meisten Haushalten sechs bis acht Stunden Strom pro Tag" zur Verfügung gestellt werden, teilt OCHA, das Büro für humanitäre Angelegenheiten der Vereinten Nationen, mit. Dieses berichtet auch von Lebensmittelengpässen - Zucker reiche noch für zwei Tage, Milch und Milchprodukte seien nur in kleinen Mengen vorrätig. Insgesamt 405 Container der UN-Flüchtlingsorganisation UNWRA mit Hilfsgütern sitzen nach wie vor im israelischen Hafen Aschdod fest. Wenigstens hat Israel den Karni-Warenübergang am 4. Juli wiedereröffnet. Dieser war seit dem Tag der Geiselnahme des israelischen Soldaten an einem einzigen Tag geöffnet - nur für die Wareneinfuhr.
Dem "Sommerregen" sind bisher mindestens 25 Palästinenser und ein israelischer Soldat zum Opfer gefallen - durch Hunderte von israelischen Artilleriegranaten, durch die etwa 90 Luftangriffe der israelischen Luftwaffe und durch die Kassam-Raketen. Bereits 25 Überschnallknalle, meistens im Morgengrauen, hat OCHA über dem dichtestbevölkerten Gebiet der Welt registriert. Dieses explosionsähnliche Knallen entsteht, wenn Flugzeuge die Schallmauer durchbrechen.
Sind diese Angriffe geeignet, einen Gefangenen freizubekommen? Für den palästinensischen Geistlichen Mitri Raheb ist der israelische Einmarsch in Gaza ein Ablenkungsmanöver, ähnlich wie die Operation "Verteidigungsschild" im März 2002. "Beide Invasionen hatten das Ziel, solch turbulente Bedingungen zu schaffen, dass sich Diplomatie nur auf den eskalierenden Konflikt konzentrieren konnte - anstatt die Gelegenheit zu wirklichem Frieden zu ergreifen." Damit meint der lutherische Pastor die Erklärung auf dem arabischen Gipfel in Beirut vor vier Jahren. Und die Einigung von Fatah und Hamas beim "Gefangenendokument" zwei Tage nach der Entführung von Schalit und einen Tag vor dem Start der Militäroperation. Diese Übereinkunft - vom Büro des israelischen Premierministers als "Fehlstart" bezeichnet - ist in den Augen des Pfarrers aus Bethlehem ein "sehr wichtiges Friedensangebot".
Inzwischen mehren sich auch auf der internationalen Bühne kritische Stimmen über die iraelische Reaktion auf die Geiselnahme des Soldaten: Italien hat sie als unverhältnismäßig bezeichnet. Ein Resolutionsentwurf arabischer Staaten, die den sofortigen Abzug Israels aus dem palästinensischen Küstengebiet fordert, ist zunächst als "unausgewogen" am Veto der USA und Frankreichs gescheitert.